Merz spricht von „Problemen im Stadtbild“ – und schiebt sie Migranten zu. Nun sollen Kameras und Gesichtserkennung das lösen, was jahrelange Integrations- und Sozialpolitik versäumt hat.

Nach den umstrittenen Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) über Migration und das angeblich „veränderte Stadtbild“ hält die politische Debatte an – nun mit einem deutlichen Schwenk in Richtung Law-and-Order-Rhetorik. Während in zahlreichen Städten erneut Tausende gegen Merz’ Aussagen protestierten, fordert die Union mehr Videoüberwachung, Gesichtserkennung und verdachtsunabhängige Kontrollen. Kritiker sprechen von einem gefährlichen Ablenkungsmanöver, das rassistische Ressentiments bedient und strukturelles Politikversagen kaschiert.
Am Wochenende gingen in Hamburg, Bonn, Magdeburg und weiteren Städten Demonstrierende auf die Straße. In Hamburg zogen bei Regenwetter rund 2.600 Menschen unter dem Motto „Zusammenstehen gegen Rassismus und Spaltung“ durch die Innenstadt. Auf Transparenten forderten sie: „Merz raus aus unserem Stadtbild.“
Die Empörung richtet sich gegen Aussagen des Kanzlers, der Mitte Oktober erklärt hatte, Deutschland mache in der Migrationspolitik Fortschritte, „aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“. Auf Nachfrage, was er damit meine, sagte Merz: „Fragen Sie mal Ihre Töchter.“
Für viele Beobachter war spätestens da klar, dass der CDU-Vorsitzende nicht über Stadtentwicklung sprach – sondern über rassifizierte Zuschreibungen, die Schwarze Menschen und People of Color pauschal zu einem „Problem“ erklären.
„Diese Äußerungen haben viele von uns tief betroffen“, sagte eine Vertreterin eines afghanischen Frauenvereins bei einer Kundgebung in Magdeburg. Migration werde von Merz „nicht als Teil Deutschlands, sondern als Störung“ dargestellt. Auch Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD), Sohn iranischer Eltern, machte deutlich, dass sich viele Menschen durch Merz’ Worte angesprochen fühlen: „Wenn ich in Frankfurt ohne Sakko unterwegs bin, dann bin ich mit diesem sogenannten veränderten Stadtbild gemeint.“
Grünen-Chef Felix Banaszak warf Merz „Stammtisch-Gerede“ vor. Wer Integrationsarbeit an Ehrenamtliche auslagere, Frauenhäuser unterfinanziere und öffentliche Infrastruktur vernachlässige, könne sich nicht mit platten Ressentiments aus der Verantwortung stehlen. „Merz beklagt Zustände, die seine Partei über Jahrzehnte selbst mitgeschaffen hat“, so Banaszak.
Während die gesellschaftliche Kritik an Merz wächst, nutzt die Union die Gelegenheit, um sicherheitspolitisch nachzulegen. CDU-Innenpolitiker Alexander Throm forderte eine flächendeckende Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Datenschützer sollten, so Throm, „ihre überkommenen Bedenken“ aufgeben.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) plädiert für mehr Präsenz an Bahnhöfen und verdachtsunabhängige Kontrollen – ein Vorschlag, der von Bürgerrechtsorganisationen regelmäßig als diskriminierungsfördernd kritisiert wird.
Die sicherheitspolitische Verschärfung steht damit symptomatisch für eine politische Verschiebung: Statt strukturelle Ursachen von Unsicherheit – Armut, Wohnungsnot, soziale Entfremdung – anzugehen, rückt die Union Überwachung und Kontrolle in den Vordergrund.
Trotz der Proteste steht laut ZDF-Politbarometer eine Mehrheit der Bevölkerung hinter Merz. 63 Prozent halten seine Aussage über „Probleme im Stadtbild“ für berechtigt. Dass solche Stimmungen entstehen, sehen viele Politikwissenschaftler als Ergebnis einer jahrelangen Normalisierung rassistischer Narrative – und einer politischen Sprache, die Komplexität durch Angst ersetzt.
Während Städte und Gemeinden weiterhin auf Investitionen in öffentliche Räume, Bildung und soziale Infrastruktur warten, sucht die CDU ihr Heil offenbar in Symbolpolitik und Sicherheitskameras. Merz selbst schweigt bislang zu den anhaltenden Rassismus-Vorwürfen – und überlässt das „Stadtbild“ seiner Partei der Gesichtserkennung. (dpa/iQ)