Die ÖH-Wahl hat begonnen. Veröffentlichte Chatverläufe der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft hatten die menschenverachtende Gesinnung mancher Kandidaten offengelegt. Wird ihre Neutralität in Frage gestellt, oder betrifft das nur Kopftuchträgerinnen? Ein Beitrag von Sevde Özdemir.
Genau eine Woche vor der ÖH (Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft) -Wahl in Österreich sorgen Chatprotokolle auf Whatsapp und Postings einer geheimen Facebook-Gruppe der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft für Furore. Der Wochenzeitung „Falter“ wurden diese vertraulichen Protokolle zugespielt, in denen Funktionäre der AG-Jus und Mitglieder der JVP xenophobe und NS-verherrlichende Nachrichten verbreiteten. Neben Hakenkreuzen und Hitler-Grüßen finden sich auch Witze über Menschen mit Behinderung sowie frauenverachtende Inhalte.
So sieht man auf einem Bild einen Haufen Asche und darüber den Spruch „Leaked Anne Frank nudes“. „Wenn Anne Frank das erfahren würde, würde sie sich im Grab umdrehen“ schreibt einer weiter über das jüdische Mädchen, das 1945 im KZ Bergen-Belsen von den Nazis ermordet wurde, während ein anderer korrigiert: „Du meinst im Aschenbecher“. Bei einem weiteren Meme ist Adolf Hitler abgebildet, darauf ist zu lesen: „Hey I just met you and this is crazy but here’s your number… so Auschwitz, maybe?“ Auch für lustig halten die Studierenden Witze über Menschen mit Down-Syndrom. So findet sich ein Meme mit der Abbildung eines Paares mit dem Spruch „Never gonna let you down“.
Noch bevor der Artikel im Falter online ging, veröffentlichte die Aktionsgemeinschaft Jus eine Stellungnahme auf Facebook und entschuldigte sich für die Inhalte und versicherte Konsequenzen. Im Türkischen gibt es ein Sprichwort „Özrü kabahatinden büyük“ (Die Entschuldigung ist schlimmer als die Schuld selbst) und genau so liest sich die Stellungnahme der AG-Funktionäre. So seien die Postings lediglich eine „dümmstmögliche und verurteilenswerte Art von schwarzem Humor“ und die Screenshots seien „aus dem Zusammenhang einer Diskussion gerissen“. Zudem vertrete keine einzige Person in der AGJus „so eine abscheuliche Haltung“. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass alle 32 der Betroffenen, Studierende der Rechtswissenschaften am Juridicum sind und Funktionäre sowie Mandatare der Aktionsgemeinschaft sowie JVP sind. 17 Beteiligte aus der AG Jus, darunter Spitzenkandidat Alexander Grün, wurden bereits ausgeschlossen bzw. werden auf ihr allfälliges Mandat für die bevorstehende Wahl verzichten.
Die Wiener Staatsanwaltschaft hat bereits Ermittlungen wegen Verdachts auf Verhetzung und eventuell auch Verstöße gegen das Verbotsgesetz eingeleitet. Auch der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät hat sich zu Wort gemeldet und die Stellungnahme der AGJus kritisiert, welche zeige, dass „selbst jetzt noch am Einsichtsvermögen fehlt (…)“.
Natürlich machte man auch vor islamfeindlichen Postings keinen Halt. Allerdings werden diese weder in den Zeitungen noch in diversen Stellungnahmen der Universität oder der Fraktionen erwähnt. Die Screenshots der Chat-Verläufe sind nach einer kurzen Google-Suche zu finden, so dürfte der Grund nicht daran liegen, dass der „Falter“ nur einen kleinen Teil der Screenshots veröffentlicht hat. Auf einem Posting ist beispielsweise ein Mann mit der Aufschrift „I’m muslim and I trust you. Do you trust me enough for a hug“ zu sehen. Das darauffolgende Bild zeigt einen Anschlag in der Menschenmenge. „I can’t say no if it’s a goat“ ist weiter auf dem Bild eines Mannes zu lesen, der offensichtlich einen Muslim darstellt. Es ist durchaus fragwürdig, weshalb diese konkreten islamfeindlichen Beispiele keiner Erwähnung wert sind, während andere xenophobe und sexistische Äußerungen (zu Recht) an den Pranger gestellt werden. Denn auch das bewusste Weglassen bzw. Schweigen kann Bände sprechen.
Die Vorfälle werfen zudem weitere Fragen auf, die in der ganzen Diskussion nicht zu kurz kommen dürfen. Die Spuren der Beteiligten in den Chats führen bis ins Büro der Jungen ÖVP. Deren Vorsitzender ist der Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz. Erst kürzlich forderte er auf Facebook „Null-Toleranz für jede Form des Antisemitismus“ und hob wie so oft vor, dass „großer Handlungsbedarf bei neu importiertem Antisemitismus“ herrsche. Den Antisemitismus in den eigenen Reihen verurteilte er lediglich auf Twitter, wo er um die Hälfte weniger und deutlich inaktivere Follower hat, als auf Facebook. Der Anlass wäre auf jeden Fall gegeben, den Fokus auf die Gesamtgesellschaft zu legen, statt menschenverachtende Inhalte nur bei Minderheiten festzustellen.
Erst im Februar einigten sich die ÖVP und die SPÖ auf ein Integrationsgesetz, welches u.a. ein Kopftuchverbot für Exekutive, Richter und Staatsanwälte vorsieht. Zentral-Argument für ein Verbot war die Wahrung der „Neutralität“. Dass sich Neutralität nicht an der Kleidung festmachen lässt, zeigt uns dieser Fall sehr deutlich. Die Beteiligten sind angehende Juristen, Richter und Anwälte, die mit dieser Gesinnung über das Recht in Österreich urteilen werden, weil sie den passenden Anzug dazu tragen.