









Hungernde Kinder, klagende Mütter und verzweifelte Väter: Die Bilder des Genozids in Gaza sind erschreckend. Nach 20 Monaten verschärft Deutschland erstmals den Ton. Für viele überraschend.
In Deutschland wächst parteiübergreifend die Kritik am Kriegseinsatz Israels im Gazastreifen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betonte in Berlin zwar die Partnerschaft Deutschlands mit Israel, mahnte aber: „Die israelische Regierung darf nichts tun, was nun irgendwann ihre besten Freunde nicht mehr bereit sind, zu akzeptieren.“
Merz sagte weiter: „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.“ Deutschland müsse sich mit öffentlichen Ratschlägen an Israel so weit zurückhalten, wie kein zweites Land. „Aber wenn Grenzen überschritten werden, wo einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt wird, dann muss auch Deutschland, dann muss auch der deutsche Bundeskanzler dazu etwas sagen.“
Unterstützung für diesen Kurs kam von SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil. „Wir müssen auch als Bundesrepublik, auch in der historischen Verantwortung, die wir gegenüber Israel tragen, unter Freunden, deutlich machen, was nicht mehr geht“, sagte er in Berlin nach einem Treffen mit dem für Wohlstand und Industriestrategien zuständigen Exekutiv-Vizepräsidenten der EU-Kommission Stéphane Séjourné. Dieser Punkt sei erreicht, sagte der Vizekanzler. Humanitäre Hilfe müsse stattfinden. In der Koalition sei abgestimmt, den politischen Druck auf Israel zu erhöhen.
Außenminister Johann Wadephul (CDU) sagte bei einem Treffen mit seinem spanischen Amtskollegen José Manuel Albares in Madrid: „Niemand sagt, dass die jetzige Situation akzeptabel ist und länger hingenommen werden könnte. Auch Deutschland nicht.“ Eine Vertreibung aus dem Gazastreifen und eine Politik des Aushungerns dürfe es nicht geben.
Gleichzeitig bleibe Israels Sicherheit deutsche Staatsraison. „Dazu gehört selbstverständlich für die Zukunft auch die Bereitschaft, Waffen zu liefern.“ Wadephul nannte dies „ein großes politisches und moralisches Dilemma für uns“. Spanien setzt sich für ein internationales Waffenembargo im Nahen Osten ein.
Mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete sprechen sich gegen eine Fortsetzung der deutschen Waffenlieferungen an Israel in heutiger Form aus. „Deutsche Waffen dürfen nicht zur Verbreitung humanitärer Katastrophen und zum Bruch des Völkerrechts genutzt werden“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Adis Ahmetovic dem „stern“.
Sein Parteikollege Ralf Stegner sagte: „Die humanitäre Katastrophe für die palästinensische Zivilbevölkerung und der Bruch des Völkerrechts durch die Regierung Netanjahu müssen sofort beendet und dürfen nicht auch noch mit deutschen Waffen verlängert werden.“
Gegen einen kompletten Stopp von Waffenlieferungen nach Israel wandte sich Grünen-Chef Felix Banaszak. «Dieses Land ist seit seiner Gründung existenziell bedroht», sagte er in der Sendung „Frühstart“ von RTL und ntv. Der Iran wolle Israel vernichten. „Gegenüber einer solchen Bedrohung darf Israel nicht schutzlos ausgeliefert sein.“ Gleichzeitig würden aber Waffen, die an Israel geliefert worden seien, auch im Gazastreifen eingesetzt. Banaszak sprach sich daher für eine Differenzierung in der Debatte um Waffenlieferungen aus.
Derweil fordert die deutsche Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi und die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft in einer Petition von der Bundesregierung die Anerkennung Palästinas. Auf der Plattform openPetition sammeln sie dafür Unterschriften von Einzelpersonen und Organisationen. Damit greifen sie eine entsprechende Resolution des evangelischen Kirchentags von Hannover von Anfang Mai auf. Am 10. Juli sollen die Unterschriften an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) übergeben werden.
Statt auf Gewalt, Vertreibung und Tod zu setzen, brauche es eine Zukunftsperspektive für die Menschen in Israel und Palästina, hieß es am Dienstag in dem Aufruf beider Organisationen. Die Erfahrungen von Gewalt erzeuge nur neue Gewalt und Verzweiflung. Deutschland beteuere zwar, für eine Zwei-Staaten-Lösung zu sein, wolle einen Staat Palästina aber erst nach erfolgreichen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien anerkennen. (dpa, KNA iQ)