Bayern

Über 900 Schusswaffen von „Reichsbürgern“ in Bayern eingezogen

Eine „Reichsbürger“-Gruppe will die staatliche Ordnung stürzen – auch in Bayern nehmen Ermittler deshalb mehrere Verdächtige fest. Sicherheitsbehörden haben bis Mitte des Jahres 911 Schusswaffen eingezogen.

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Verfassungsschutz: Zahlreiche Überprüfungen von Waffenbesitzern, Schusswaffen © Shutterstock, bearbeitet by iQ
Verfassungsschutz: Zahlreiche Überprüfungen von Waffenbesitzern, Schusswaffen © Shutterstock, bearbeitet by iQ

Bayerische Sicherheitsbehörden haben bis Mitte des Jahres sogenannten „Reichsbürgern“ im Freistaat 911 Schusswaffen weggenommen. Dazu zählten sowohl Fälle, in denen die Behörden Waffenscheine und Besitzkarten widerrufen haben, als auch solche, in denen Menschen vor diesem Schritt freiwillig auf ihre Erlaubnis verzichtet hätten, teilte das Innenministerium am Montag in München mit. Insgesamt gehe es um 477 Waffenerlaubnisse.

Schusswaffen eingezogen: “ Haben sehr große Fortschritte gemacht“

Zum 30. Juni 2022 hätten damit nur elf polizeibekannte mutmaßliche „Reichsbürger“ im Freistaat waffenrechtliche Erlaubnisse gehabt. Bei den Betreffenden hätten die Behörden zu diesem Zeitpunkt schon Widerrufsverfahren eingeleitet oder diesen Schritt zumindest geprüft. Die kreisfreien Städte und Landratsämter als Waffenbehörden hätten somit „sehr große Fortschritte“ bei der Entwaffnung gemacht, hieß es aus dem Ministerium. Die Behörden seien zudem verpflichtet, bei der Zuverlässigkeitsprüfung angehender Waffenbesitzer eine Regelanfrage zu extremistischen Hintergründen beim Verfassungsschutz zu stellen.

Dennoch forderte Innenminister Joachim Herrmann am Montag nach der Großrazzia in der „Reichsbürger“-Szene mehr Waffenkontrollen im Freistaat. „Klar ist auf jeden Fall, die Zahl der Kontrollen muss erhöht werden“, sagte der CSU-Politiker in München. Es werde demnächst eine neue Empfehlung an die Oberbürgermeister und Landräte im Freistaat geben, wie sie „mit diesem Thema umgehen sollen“.

Es gehe vor allem darum, rechtzeitig mögliche Problemfälle zu erkennen, betonte Herrmann. „Die allermeisten Schützen und Jäger“ seien aber „kein Problem“. Daher müssten die Behörden bei Kontrollen „nicht nur blindlings einfach schematisch jeden aufsuchen, sondern ganz konkret sehen: Wo ist es besonders wichtig, nachzuschauen?“

Entwaffnung der Reichsbürger schneller vorantreiben

Herrmann hatte nach der Razzia mit vier Festnahmen in Bayern auch wiederholt gefordert, die Entwaffnung der Schusswaffen von sogenannter Reichsbürger noch schneller voranzutreiben. Diese sei aber nicht in allen Fällen möglich, hieß es am Montag aus seinem Ministerium.

Zum einen dürften Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu den Betroffenen, die älter als fünf Jahre sind, nicht mehr für den Entzug der Waffenerlaubnis verwendet werden. Zum anderen werde der Verfassungsschutz schon aktiv, wenn es „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen gebe. Vor Gericht zählten aber nachprüfbare und in einem Prozess verwertbare Beweise, die ein Nachrichtendienst „naturgemäß“ nicht immer liefern könne.

Dieser Rechtsweg stehe auch sogenannten Reichsbürgern offen, um gegen den Entzug ihrer Waffenerlaubnis vorzugehen, sagte ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz. „Auch wenn das bei Reichsbürgern, die die rechtsstaatliche Ordnung ablehnen, besonders paradox ist.“ Das könne die Verfahren deutlich in die Länge ziehen.

„Stand 1913“

Allerdings könne die Zugehörigkeit von Menschen zur „Reichsbürger“-Szene „in der Regel“ dann oft schon dadurch belegt werden, dass sie zum Beispiel im Antrag auf Erteilung von Ausweisdokumenten als Geburts-, Wohnsitz- und Aufenthaltsstaat zum Beispiel durchgehend „Königreich Bayern“ angeben und sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz „Stand 1913“ beziehen, teilte das Innenministerium mit. Nach Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs führten solche Angaben schon zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit.

Bedarf für Gesetzesänderungen im Waffenrecht sieht das Innenministerium daher nicht. „Vielmehr geht es darum, dass alle Waffenbehörden in Deutschland die Entwaffnung von „Reichsbürgern“ mit der notwendigen Priorität und dem gebotenen Nachdruck verfolgen, so dass die Verfahren zügig abgeschlossen werden können.“ Sonst könne es zu „verheerenden Folgen“ kommen, wie 2016 in Georgensgmünd.

Dort hatte ein sogenannter Reichsbürger bei einer Razzia im Jahr 2016 auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando hatte die Waffen des Jägers beschlagnahmen wollen. (dpa/iQ)