Muslimische Akademiker

„Lebenswelt muslimischer Kinder auch im Kitaalltag anerkennen“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Dr. Ebtisam Ramadan über die Rolle der islamischen Kindertagesstätten.

03
07
2021
Symbolfoto: Kindergarten, Kita © shutterstock, bearbeitet by iQ.
Symbolfoto: Kindergarten, Kita © shutterstock, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Dr. Ebtisam Ramadan: Ich bin promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Ab 2006 habe ich an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg Pädagogik mit dem Nebenfach Soziologie studiert. Nach dem Grundstudium habe ich an die Universität Bielefeld gewechselt, wo ich Erziehungswissenschaft mit der Studienrichtung Interkulturelle Bildung/Migrationspädagogik und Kulturarbeit und dem Nebenfach Psychologie studiert habe. Im Anschluss daran habe ich an der Universität Bielefeld zum Thema „Religiöse Differenz in der frühen Kindheit“ promoviert. Ich gehörte zum ersten Jahrgang der Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks, wo ich als Promotionsstipendiatin gefördert wurde. Aktuell arbeite ich am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in der Fachgruppe „Demokratie, Transfer und Politikberatung“. Diese Fachgruppe ist für die wissenschaftliche Begleitung von Modellprojekten im Handlungsfeld „Vielfaltgestaltung“ des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ zuständig.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Ramadan: Meine Dissertation behandelt das Thema „Religiöse Differenz in der frühen Kindheit“. Ich habe verglichen, wie eine islamische und eine evangelische Kindertagesstätte in einer deutschen Großstadt mit religiöser Differenz pädagogisch umgehen. Dabei habe ich einen sozialwissenschaftlichen Ansatz gewählt, keinen theologischen. Das heißt, dass ich religiöse Zugehörigkeit primär als soziale Unterscheidungsdimension betrachtet habe. Mein Ansatz ist intersektional, weshalb ich auch andere relevante Differenzlinien berücksichtigt habe. Meine Forschungsarbeit zeigt an konkreten Beispielen unter anderem Folgendes auf:

  • wie Sprache, Kultur und eben auch Religion miteinander verwoben sind
  • wie Kindergartenkinder in ihrem Verhalten gesellschaftliche Diskurse wiederspiegeln
  • und welchen Herausforderungen Kindertagesstätten in bestimmten großstädtischen Regionen begegnen

Interessant war vor allem, dass sich die evangelische Kindertagesstätte mit ihrem religiösen Selbstverständnis vor dem Hintergrund der multireligiösen Zusammensetzung der Kindergartengruppe auseinandersetzen muss. Dabei kam die Frage auf, was es als Einrichtung bedeute, evangelisch zu sein, wenn ein hoher Anteil nicht-evangelischer Kinder den Kindergarten besucht. Hierbei wird also quasi eine Identitätsfindungsfrage gestellt vor dem Hintergrund der Minderheitenzugehörigkeit von evangelischen Kindern in der entsprechenden Kita.

In der islamischen Kindertagesstätte hingegen ist konzeptionell die Verbindung zwischen dem Muslimisch-Sein und „Deutsch-Sein“ stark verankert. Trotz bzw. gerade aufgrund der muslimischen Differenz wird durch ein breites kulturelles pädagogisches Angebot, Zugehörigkeit zur deutschen Migrationsgesellschaft vermittelt. Damit geht der Versuch im Mikrokosmos Kita einher, eine muslimische Identität als Mehrheitszugehörigkeit zu bestätigen. Ich finde diese Wechselwirkung hierbei spannend, weil sich hier die Darlegungen teilweise entgegengesetzt zum Diskurs verhalten.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Ramadan: Ich habe dieses Thema gewählt, weil ich während des Studiums den Eindruck gewonnen habe, dass das Thema Religion als Unterscheidungskomponente im erziehungswissenschaftlichen Diskurs wenig Beachtung findet. Den Fokus auf Kindertagesstätten habe ich gewählt, weil ich nach dem Studium eine Freundin, die einen Quereinstieg in den Erzieherberuf anstrebte, bei ihrer Facharbeit unterstützt habe. Bei der Facharbeit handelt es sich um einen ausführlichen Praktikumsbericht. Die Hilfestellung zog sich über einige Wochen hin, und wir tauschten uns über ihre Erfahrungen im Kindergartenalltag aus. Erst bei der Fertigstellung der Facharbeit habe ich erfahren, dass sie ihr Praktikum in einer islamischen Kindertageseinrichtung absolviert hat. Dabei habe ich mir die Frage nach der Rolle der religiösen Zuschreibung in Bezug auf eine Kindertagesstätte gestellt. Mir fiel dann schnell auf, dass das elementarpädagogische Handlungsfeld von relativ vielen Kitas in kirchlicher Trägerschaft gekennzeichnet ist.

Vor diesem Hintergrund interessierte mich die Entwicklung der frühen Betreuungs- und Bildungseinrichtungslandschaft hinsichtlich des Umgangs mit religiöser Zugehörigkeit. Basierend auf diesen Erfahrungen und Überlegungen bildete ich meine Leitfrage nach dem Umgang mit religiöser Differenz in der frühen Kindheit und formierte mein Forschungsanliegen.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was trieb Sie voran?

Ramadan: Ich weiß nicht, ob ich meine Erfahrungen in positive und negative Erfahrungen unterteilen würde. Ich habe sehr gerne studiert und mich auch mit den Inhalten meiner Dissertation immer sehr gerne beschäftigt, sie werden mich auch künftig weiter beschäftigen. Mich treibt vor allem das Erkenntnisinteresse an. Letztlich sind auch negativ bewertete Erfahrungen ein Teil dieses (persönlichen) Erkenntnisgewinns. Damit möchte ich negative Erfahrungen wie rassistische Diskriminierungen oder dergleichen nicht bagatellisieren, aber hervorheben, dass Erkenntnisse aus den Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen zumindest bei mir den Fortschritt der Arbeit unterstützen können.

Zu meinen positiven Erfahrungen während meiner Doktorarbeit gehören die Förderung durch das Avicenna Studienwerk und die Unterstützung durch meine Familie in dieser Zeit. Außerdem habe ich den Austausch im engsten Freundeskreis immer sehr geschätzt und bin dafür enorm dankbar.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Ramadan: Meine Doktorarbeit soll u. a. Verständnis schaffen für die Rolle, die islamische Kindertagesstätten in der deutschen Migrationsgesellschaft spielen. Die Ursachen und Gründe, die zur Entstehung von islamischen Kindertagesstätten in Deutschland geführt haben, sind vielschichtig. Grundsätzlich gilt: Genauso wie Eltern, die beispielsweise eine vegetarische Ernährung bevorzugen, das Recht haben, für ihr Kind eine entsprechende Kita zu wählen, haben auch muslimische Eltern und Erziehungsberechtigte das Recht, sich für oder gegen eine Kita zu entscheiden, in der ihre Religion eine Rolle spielt. Die Realität widerspricht dem verbreiteten Bild, dass Muslime die Erhaltung oder den Aufbau einer Parallelgesellschaft anstreben, weil sie unter sich bleiben wollen.

Ich gehe davon aus, dass meine Doktorarbeit eine Grundlage liefern kann, um über Differenzierungsprozesse in der Kindertagesstättenlandschaft zu sprechen, und in welchem Zusammenhang sie mit dominanten gesellschaftlichen Diskursen stehen. Sie könnte einen Beitrag dazu leisten, den Bedarf an religiöser Früherziehung zu ermitteln. Damit meine ich nicht die Vermittlung von theologischen Inhalten, sondern die Akzeptanz und den Raum, um über religiöse Erfahrungsräume ohne Abwertung sprechen zu können. Das gilt auch für nichtreligiöse Kindertagesstätten. Und ich hoffe, sie kann dazu beitragen, dass die Lebenswelt von muslimischen Kindern auch im Kitaalltag grundsätzlich mehr Anerkennung findet.

Leserkommentare

Vera sagt:
Leider äußert sich die Diplom-Pädagogin eher unkonkret als konkret. Wie sollte denn die Anerkennung der Lebenswelt von muslimischen Kindern im Kitaalltag grundsätzlich ablaufen? Welche Ziele werden bei welchen Differenzierungsprozessen in der Kindertagesstättenlandschaft von ihr konkret angestrebt? Und wie soll dann der Tagesablauf bei religiöser Früherziehung gestaltet sein? Sollen überall speziell islamische Kitas entstehen, in denen die islamische Religion eine dominierende Rolle spielt? Und welches Islamverständnis soll jeweils die Basis sein, welches wiederum von wem bestimmt wird? Welche Glaubensvorstellungen und Wert-Normen sollen frühkindlich vermittelt, vorgelebt und angelernt werden? Nur vage Andeutungen, die viel Spielraum zulassen, können nicht überzeugen oder gar willkommen geheißen werden. Frau Ramadan tritt gerne in traditionsbewußt-islamischer Kleidung auf und zeigt gerne, wie man ein Hijab (Kopftuch) trägt, wenn sie danach gefragt wird. Ein Foto von ihr fehlt leider bei diesem Artikel. Wieso eigentlich?
04.07.21
21:16