MUSLIMISCHE AKADEMIKER

„Wer zu Gott will, kann nicht ohne das Tier“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Asmaa El Maaroufi über den richtigen Umgang von Menschen und Tieren.

30
03
2021
Asmaa El Maaroufi © Shirin Fachar, bearbeitet by iQ.
Asmaa El Maaroufi © Shirin Fachar, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Asmaa El Maaroufi: Nach meinem Abitur beschloss ich zunächst Philosophie und Germanistik und später auch Geschichte an der Universität in Darmstadt zu studieren. Als dann erstmals in Deutschland die Möglichkeit bestand, islamische Theologie zu studieren, entschloss ich mich zusätzlich auch das Studium der islamischen Theologie an der Goethe-Universität in Frankfurt anzunehmen. Nach meinem Abschluss durfte ich dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Zentrum für Islamische Theologie in Münster, genauer in der Professur für Kalam, Islamische Philosophie und Mystik. Dort konnte ich dann auch im Sommer letzten Jahres meine Dissertation abschließen. 

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

El Maaroufi: Es geht um die Frage nach der angemessenen Begegnung mit den Tieren. Es geht darum aufzuzeigen, warum eine Theologie, die Tiere vernachlässigt, auch den Menschen vernachlässigt. Dazu gehört auch zu fragen, wie sich die vermeintliche und ethische Unsichtbarkeit der Tiere in der Theologie überwinden lässt – und wie der Koran dabei behilflich sein kann. Deswegen habe ich mich für eine hermeneutisch-phänomenologische Herangehensweise entschieden, um der Frage nachzugehen, was passiert, wenn von einem Tier die Rede ist bzw. wenn wir Tiere sehen. 

Es geht daher auch um die Einordnung des Menschen in seine Mitwelt, im Angesicht dessen, was er gerade selbst nicht ist. Genau hier erfährt der Mensch, was er selbst ist. Dadurch wird bewusst, dass es sich um eine geteilte Welt handelt, in der der Mensch mit seiner Spezies nicht alleine ist. Eine Welt, in der ich als Beauftragter Gottes (Halîfa) meinen ethischen Auftrag nur dann nachkommen kann, wenn ich nicht nur den Menschen, sondern auch andere Spezie, ergo den Tieren, in Gerechtigkeit begegne. Zu Gott zu gelangen, ohne Tiere in irgendeiner Art und Weise ethisch Berücksichtigung erfahren zu lassen, wird hierdurch zu einem Akt der Unmöglichkeit. Daher auch der Ausruf: Wer zu Gott will, braucht die Tiere! Dieser Perspektive bedarf es, um in einem nächsten Schritt erst angemessen über konkrete tierethische Fragestellungen sprechen zu können. 

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselergebnis?

El Maaroufi: Es begann mit einem Kater, Miro hieß er. Einst wurde er von einem Auto angefahren und hat mehrere Brüche erlitten. Die Arztkosten für ihn beliefen sich auf mehrere tausend Euro. Die Alternative hierzu schien für alle simpel: das Tier einschläfern lassen. Denn es war eine Summe, die ich als Studentin nicht aufbringen konnte. Zudem hatten wir 2012: Die ersten Opfer des Syrienkriegs waren zu beklagen. Vermehrte Hungersnöte auf der Welt wurden ebenfalls sichtbar. Für Freunde und Familie stellte sich daher die Frage, inwiefern es legitim sei, so viel Geld für ein Tier auszugeben, obgleich es so viele Menschen gibt, die sich von diesem Betrag lange ernähren könnten. Ein ethisches Dilemma. Als Studentin der Theologie versuchte ich daher Antworten in der Theologie zu finden – und fand keine. Als ich dies einem meiner Professoren berichtete, sagte er bloß: Dann musst Du wohl eine Doktorarbeit zu dem Thema schreiben!

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

El Maaroufi: Ich erlaube mir zu behaupten, dass jede Person, die promoviert, beide Erfahrungen macht – ja gar machen muss. Auf diesem Weg scheint das Scheitern notwendig zu sein – denn im Scheitern wachse ich, gelange ich zu Widersprüchen, zu Fehlinterpretationen – und arbeite dann – hoffentlich – mit neuem positivem Blick und Kraft weiter. 

Meine persönlichen Herausforderungen bestanden jedoch in der Quellenlage: Es gibt keine systematische islamische Tierethik oder gar ein Grundlagenbuch, in dem ich einfach hätte nachblättern können. Auch gibt es nur wenige zeitgenössische Theologinnen und Theologen, auf die ich mich hätte beziehen können. Das machte es manchmal schwierig und ist frustrierend, weil der Austausch auf fachlicher Ebene zum Thema fehlte. Umso dankbarer war und bin ich über meinen Doktorvater, der mir stets die richtigen Impulse gab und stets geduldig die richtigen Fragen stellte. Positiv in Erfahrung sind mir auch die vielen Flurgespräche mit meinen Arbeitskoleginnen und -kollegen, deren Inhalte mich manchmal tagelang in meinem Schreibprozess begleiteten.  

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

El Maaroufi: Ich glaube insofern, dass Muslime zunehmend nicht an Fragen zur Tierethik vorbeikommen. Mehr noch nehmen tier- und umweltethische Fragestellungen seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft und hierdurch selbstverständlich auch der muslimischen Gemeinschaft zu. Wie wollen wir in der heutigen Zeit mit Massentierhaltung umgehen? Wie verstehen wir Halal-Fleisch? Wie gehen wir mit der Frage nach dem Opfertier um? Wenn die Arbeit einen bescheidenen positiven Einfluss auf diese Diskurse geben könnte, der auch den Tieren zugutekommen könnte, wäre ich bereits sehr erfreut. 

Leserkommentare

Vera Praunheim sagt:
Ist die Frage erlaubt, welche angemessenen Umgangsformen der Mensch mit den Tieren pflegen sollte? Zu welcher Erkenntnis ist die befragte Akademikerin mit ihrer Dissertation gelangt? Die Bundestierärztekammer äußerte sich ja zur islamischen Schlachtmethode 'Schächten': "Es liegt ein klarer Fall von Tierquälerei vor." Soll nun derartiges in tierethischer Hinsicht trotzdem vertretbar sein? Soll das sog. 'Schächten' ein richtiger Umgang mit den Tieren sein und eine akzeptable Form der islamischen Gottesverehrung im 21. Jahrhundert? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg urteilte jetzt, daß ein Schächtverbot grundsätzlich nicht gegen das Recht auf Religionsfreiheit verstößt. Muslime und Juden seien damit nicht in der Ausübung ihrer Religion beeinträchtigt, so die EuGH-Richter. Fleisch aus ritueller Schlachtung könne aus anderen Ländern importiert werden. Zudem sei nicht generell untersagt, Tiere rituell zu schlachten, sondern nur, wenn dies ohne Betäubung stattfindet. Es gilt, das Tierwohl zu fördern, was ein von der EU anerkanntes Ziel ist. EU-Staaten dürfen somit das grausame Schächten verbieten. Hoffentlich geschieht das möglichst schnell überall. Die Tiere werden dafür dankbar sein. Auch Frau Asmaa El Maaroufi?
30.03.21
20:44
Mira M. sagt:
Spannende Gedanken! Danke für die Einblicke.
01.04.21
9:58
Gerhard sagt:
Liebe Frau Praunheim, es lohnt sich hier der differenzierte Blick: Die Bundestierärztekammer hat über das betäubungslose Schächten gesprochen, nicht aber über das Schächten an sich. Das Schächten mit Betäubung, das von einer Vielzahl von muslimischen Gelehrten anerkannt wird und in Deutschland die gängige (und legale) Praxis darstellt, stellt also auch nach der Bundestierärztekammer keine Tierquälerei dar. Ich will Ihnen das gar nicht unterstellen, aber alles über einen Kamm zu scheren ist in dieser ideologisch aufgeladenen Debatte leider oftmals Taktik. Beste Grüße Gerhard
02.04.21
19:15
Salsabeel Wayun sagt:
Was ist aus dem Kater geworden? 😬
03.04.21
8:59
Vera Praunheim sagt:
Lieber Gerhard, ein differenzierter Blick lohnt sich immer und ist ein gutes Hilfsmittel bei Intoleranz und Einseitigkeit. Die Folge des betäubungslosen Schlachtens ist ein minutenlanger, qualvoller Todeskampf. Lt. Schätzungen der Bundestierärztekammer werden bis zu 500.000 Schafe auf diese Weise in Deutschland pro Jahr - der Religion wegen - geschlachtet. In muslimischen Schlachthöfen werden somit Schafen bei vollem Bewusstsein die Kehlen durchgeschnitten. Nicht nur Polit-Magazine berichteten detailliert darüber. Das ist religiöses Brauchtum mit rituellem Charakter zur göttlichen Verherrlichung - basierend auf alten Traditionen. Und das ist natürlich Tierquälerei zur angeblichen Ehre Gottes - was denn sonst? Soll das Schicksal des Katers Miro hier wichtiger sein als das erbärmliche Schicksal der Schlacht-Opfer-Tiere in ihren islamischen Todes-Ritus-Qualen beim Schlachter? Ist das dann eine besondere Ablenkungs-Taktik vom grauenhaften Schlachtungsablauf? Alle guten Wünsche für Sie!
03.04.21
17:40