HINZ UND KUNST

„Ich will die Schönheit der Musik genießen“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Muslimische Künstler nutzen die Freiheit und machen deutlich: Wir gehören zu Deutschland. Heute mit Tayfun Guttstadt.

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2020
Tayfun Guttstadt
Tayfun Guttstadt

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Tayfun Guttstadt: Ich heiße Tayfun Guttstadt und bin in Hamburg geboren. In meiner frühen Jugend habe ich begonnen, Gitarre zu spielen, und seitdem ist Musik einer der wichtigsten Bestandteile meines Lebens. Nach einem der vielen Besuche in der Türkei hat mich dann die Musik dort nicht mehr losgelassen. Kurz darauf habe ich angefangen, Ney zu spielen. Zu der Zeit habe ich auch begonnen, mich intensiver mit Sufismus und Religion allgemein, sowie mit kultureller Identität auseinanderzusetzen. Verschiedene Auslandsaufenthalte, zum Beispiel im Iran, in Guatemala und viele Jahre in der Türkei haben meine Musik und meine Sicht auf die Welt geprägt.

IslamiQ: Was möchtest Du mit Deiner Arbeit bewirken?

Guttstadt: Zuallererst möchte ich einfach die der Musik innewohnende Schönheit genießen. Deshalb spiele ich auch oft alleine, ohne ein bestimmtes Ziel. Ich denke, dass Musik das Berührendste ist, was es in dieser wunderbaren Welt gibt. Darüber hinaus möchte ich gerne Menschen zusammenbringen, zum Beispiel durch neue musikalische Zusammenarbeit, oder durch das Aufzeigen und Zelebrieren der Gemeinsamkeiten von angeblich verfeindeten Gruppen.

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Guttstadt: Ja, denn ich merke, wie stark mich diese Hintergründe beeinflussen. Ich sage Hintergründe, denn eigentlich haben wir ja alle mehrere davon. In unser Familie kommen deutsche, türkische, jüdische, kurdische, muslimische Geschichten zusammen, und all das prägt mich, mal bewusst, mal unbewusst. Mir macht es Spaß, mich damit auseinanderzusetzen und Klischees und Marker von Identitäten immer wieder neu auszuhandeln. Ich will aber gleichzeitig niemanden auf solch eine kulturelle/religiöse/ethnische/sexuelle Identität reduzieren und auch selbst nicht reduziert werden. Ich bin also vor allem Tayfun, Musiker – alles andere kommt danach.

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Guttstadt: Türkische und generell nahöstliche Musik ist ein entscheidender Einfluss für mich, obwohl ich nicht unbedingt mit dieser Musik aufgewachsen bin. Gleichzeitig hat mich lateinamerikanische Musik auch beeinflusst, wenn auch viel weniger. Hip Hop ist zudem auch ein wichtiger Bestandteil meiner Musik, und das hat ja mit meinem familiären Hintergrund erstmal nur wenig zu tun. Ich will damit sagen, dass diese Zusammenhänge nicht zwingend sind – man kann sich intensiver mit der Kultur seiner Vorfahren auseinandersetzen oder nicht, und man kann dort Inspiration finden, oder nicht.

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende antiislamische Stimmung in Deutschland. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt?

Guttstadt: Ich denke, ich hatte in mancher Hinsicht Glück: Mein Name mutet auf die meisten nicht unbedingt türkisch oder muslimisch an, das hat mir vielleicht bei Bewerbungen etc. geholfen, ohne, dass ich das mitbekomme habe. Geboren bin ich in Hamburg-Schanze, und da sind rassistische Einstellungen wirklich sehr selten.

Später, im Studium zum Beispiel, hat es mich manchmal gestört, dass ich beim Thema Islam oder Türkei immer als Experte oder auch lebendes Beispiel herhalten sollte, aber das kann man verkraften, denke ich. Im Gegensatz zu dem, was andere erleben, habe ich keine nennenswerten negativen Erlebnisse gehabt.

Ich möchte aber betonen, dass wir aus der türkischen und muslimischen Community eine ebenso große Verantwortung haben, Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus in diesen Communities zu bekämpfen. Gerade wenn es um Armenier, Juden, Kurden, Aleviten und weitere geht, sind extreme Positionen unter Türken zum Beispiel sehr häufig, da gibt es sehr viel Arbeit für uns alle. Da dürfen wir nicht einfach weghören. Es ist zu einfach, sich nur als Opfer zu portraitieren.

IslamiQ: Denkst Du, dass der Islam zu Deutschland gehört? Wieso? 

Guttstadt: Na klar. Das ist für mich überhaupt keiner Diskussion wert. Millionen von Muslimen leben in Deutschland, Punkt aus. Die Welt verändert sich ständig, die Staaten, die Grenzen, die Kulturräume die wir kennen, sind alle menschengemacht und werden irgendwann weggewischt. Ich belächle Menschen, die sich an so etwas festklammern.

Leserkommentare

Stratmann sagt:
Stratmann sagt (wiederholter Versuch, da bisher leider nicht erschienen) : Gerne und mit großem Gewinn lese ich regelmäßig die Beiträge von IslamiQ. Folgende Passage fand ich heute sehr bemerkenswert, weil dieser Aspekt sonst nicht thematisiert wird. „Ich (nämlich: Tayfun Guttstatt) möchte aber betonen, dass wir aus der türkischen und muslimischen Community eine ebenso große Verantwortung haben, Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus in diesen Communities zu bekämpfen. Gerade wenn es um Armenier, Juden, Kurden, Aleviten und weitere (als Kommentator ergänze ich : auch Deutsche) geht, sind extreme Positionen unter Türken zum Beispiel sehr häufig, da gibt es sehr viel Arbeit für uns alle. Da dürfen wir nicht einfach weg- hören. Es ist zu einfach, sich nur als Opfer zu portraitieren.„ Als Kommentator gehe ich noch darüber hinaus: Erst ein einziges Mal habe ich bei IslamiQ einen Beitrag gelesen, wo eine Muslimin sich über Diskriminerung innerhalb der muslimischen Community beklagen durfte. Diesen Aspekt müsste IslamiQ ebenfalls ins Auge fassen, wo Muslime auch in Deutschland, in der Schule, in Familien anderen Muslimen oder Musliminnen das wahre Muslimsein ab- sprechen und mit Diskriminierung und Druck (in Einzelfällen auch Drohungen) auf ihren Kurs bringen wollen. Auch dies überaus heikle Thema müsste IslamiQ thematisieren und Leser sensibilisieren. Schließlich gelten Menschenrechte für Muslime und Nichtmuslime und auch innerhalb der muslimischen Community.
02.01.20
19:39