Rohingya Muslime

„Ein Machtkampf, in dem der Verlierer schon feststeht“

In Myanmar werden Rohingya Muslime verfolgt und sogar getötet- doch darüber gesprochen wird wenig. Was kann getan werden, um auf die Verbrechen in Myanmar aufmerksam zu machen? Ein Interview mit Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

09
04
2017
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IslamiQ: Ihre Organisation setzt sich für bedrohte Völker ein. Wie sieht Ihr Einsatz für die Rohingya Muslime aus?

Ulrich Delius: Wir dokumentieren Menschenrechtsverletzungen an Rohingya und machen mit Presseerklärungen und Interviews auf die schweren Übergriffe aufmerksam. Denn ohne eine Medienberichterstattung gibt es keinen Druck auf die Politik, endlich zu handeln. Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen machten wir auf die dramatische Lage aufmerksam und drängten Regierungen in aller Welt zur Unterstützung einer internationalen Untersuchungskommission. Auch die ASEAN-Nachbarländer forderten wir mehrfach auf, dem Morden nicht tatenlos zuzusehen und Flüchtlingen Schutz zu gewähren. An die muslimischen Länder appellierten wir, die Rohingya nicht zu vergessen, sondern ihr Leiden in den Vereinten Nationen anzuprangern. Auch fördern wir Organisationen im Exil und unterstützen mit ihnen zusammen Hilfsprojekte für Rohingya-Flüchtlinge.

IslamiQ: Wie ist die Menschenrechtssituation in Myanmar?

Delius: Mindestens 67.000 Muslime sind in den letzten drei Monaten aus dem Norden des Bundesstaates Rakhine in Myanmar vor dem Terror der Armee geflohen. Doch ihre Lage ist sehr schwierig, da das muslimische Nachbarland Bangladesch ihnen leider keine Zuflucht gewähren will. Im Gegenteil, die dort schon lebenden ca. 300.000 Rohingya-Flüchtlinge sollen nun auf eine einsame Insel gebracht werden, um sie von der Bevölkerung zu isolieren. Dort müssten die Flüchtlinge unter unmenschlichen Umständen leben.

In Myanmar leugnen Militärs und Regierung noch immer die schweren Menschenrechtsverletzungen an Rohingya. Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen werden wegen ihrer Kritik offen angefeindet. Nur aufgrund massiven internationalen Drucks gab es inzwischen Hilfslieferungen für die Menschen in der von der Gewalt betroffenen Region. Myanmars Regierung ist in einer schwierigen Lage. Die Übergriffe machen deutlich, dass die Regierung die Armee nicht unter Kontrolle hat, sondern sie auch im Rohingya-Konflikt benutzt, um jede weitere Zurückdrängung ihres Einflusses zu verhindern. Die Rohingya werden hier offen missbraucht in einem Machtkampf, in dem ein Verlierer schon jetzt feststeht. Und das sind die Rohingya!

IslamiQ: Wie kann die Situation entschärft werden?

Delius: Viele Staaten sind zurückhaltend mit ihrem Engagement, weil sie fürchten mit Kritik der Regierung unter Aung San Suu Kyi zu schaden und die Demokratisierung des Landes zu hintertreiben. Doch wir betonen, dass es ohne Menschenrechte für Rohingya auch keine nachhaltige Demokratisierung geben wird. So fordern wir Myanmars Regierung immer wieder auf, endlich die Diskriminierung und Ausgrenzung der muslimischen Minderheit zu beenden und nach einer politischen Lösung des Rohingya-Konflikts zu suchen. Es ist wichtig, dass humanitäre Hilfe für Rohingya in Myanmar und den Nachbarländern geleistet wird. Dies ist aber keine Lösung für die Krise, die nur durch politische Maßnahmen erreicht werden kann.

Die Regierung Myanmars müsste endlich das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 abschaffen, das mit seinen engen Bedingungen den meisten Rohingya die Möglichkeit nimmt, als gleichberechtigte Staatsbürger des Landes anerkannt zu werden.

Ein positives Signal zur Vertrauensbildung wäre auch, wenn die umstrittenen „Rasse- und Religionsgesetze“ abgeschafft würden, die von buddhistischen Nationalisten durchgesetzt wurden und Nicht-Buddhisten diskriminieren. Diese Gesetze richten sich nicht nur gegen Rohingya, denen ohnehin die Heirat sehr erschwert wird, sondern pauschal gegen alle Muslime. Sie sind sehr gefährlich, weil sie aus dem ethnischen Konflikt um den Status der Rohingya-Minderheit nun auch noch einen religiösen Konflikt machen, in dem insgesamt die Rechte von Muslimen in dem überwiegend buddhistischen Land in Frage gestellt werden. Schon vor der Einführung dieser umstrittenen Gesetze im Jahr 2015 hatten wir nachdrücklich vor den diskriminierenden Bestimmungen gewarnt.

IslamiQ: Gibt es auch lokale Menschenrechtsorganisationen, die das Problem ansprechen? Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit diesen aus?

Delius: Wir arbeiten eng in einem Netzwerk mit nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen, in dem wir gemeinsam Appelle und Presseerklärungen zur Lage der Rohingya herausgeben. Burmesische Menschenrechtsgruppen tun sich mit dem Thema sehr schwer. Unsere lokalen Partner sind überwiegend in den Nachbarländern und betreuen dort Rohingya-Flüchtlinge. Aber auch dort ist ihre Arbeit sehr schwierig, weil lokale Behörden fürchten, dass noch mehr Flüchtlinge kommen könnten und daher sowohl Menschenrechts- als auch Hilfsorganisationen oft in ihrer Arbeit behindern. Die Helfer müssen sehr vorsichtig vorgehen, um nicht ausgewiesen zu werden.

IslamiQ: Was kann außer der Erstellung von Berichten auf internationaler Ebene, z. B. von den Vereinten Nationen, noch getan werden, um diese Verbrechen zu stoppen?

Delius: Eine Massenflucht von Myanmar nach schweren Menschenrechtsverletzungen hat es in den letzten 40 Jahren mehrfach gegeben. Doch niemals zuvor haben die Rohingya so viel politische Unterstützung durch Regierungen nicht nur von muslimischen Ländern bekommen. Vor allem engagiert sich die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) auf UN-Ebene sehr intensiv für die Menschen in Myanmar.

Leider konnte die OIC ihr eigenes Mitgliedsland Bangladesch noch nicht davon überzeugen können, eine menschliche Flüchtlingspolitik zu betreiben und Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Auch die US-Regierung hat unter Präsident Obama viel für Myanmar getan. Dringend brauchen die Rohingya in den UN noch mehr Unterstützung, denn nur politischer Druck aus dem Ausland kann Myanmar veranlassen, die Ausgrenzung der Gruppe zu beenden.

IslamiQ: Wie können Privatpersonen sensibilisiert werden?

Delius: Da europäische Medien wenig über Myanmar berichten, haben wir uns dazu entschlossen, in einem Blog fast täglich über neue Entwicklungen in der Rohingya-Frage zu berichten, um auch mehr Druck auf Politiker auszuüben, damit sie das Problem ernst nehmen. Darüber hinaus haben wir über soziale Medien mehrere Kampagnen gestartet, um Menschenrechte für Rohingya einzufordern.

Wir können dazu appellieren, an Außenminister Sigmar Gabriel zu schreiben und ihn zu bitten, dass sich die EU mehr für eine politische Lösung der Rohingya-Frage einsetzt und auf eine Rücknahme der Muslime diskriminierenden Gesetze in Myanmar drängt.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez