Gesellschaftskritik

„Immer nur die zweite Geige spielen“

Navid Kermani und Martin Mosebach kritisieren die „Ich Sucht“ der Gesellschaft. Zudem sei die christliche Religion nicht mehr präsent wie früher, auch von Muslimen verlange man, dass diese Religion immer nur die zweite Geige spielen soll.

28
08
2015
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Navid Kermani
Navid Kermani

Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani kritisiert eine „Ich-Aufladung“ und „Ich Sucht“ der jungen Generation. Auch er sei in einer Zeit aufgewachsen, in der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung großgeschrieben worden sei, sagte der Islamwissenschaftler dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“(Freitag). „Aber was wir jetzt erleben, ist die Perversion dieses Gedankens.“ Das Selfie sei das Gegenteil von Ichwerdung.

Er sei sich sicher, dass sehr bald eine Generation kommen werde, der es wieder mehr um die innere Verfasstheit, weniger um Wirkung und Repräsentation gehen werde, zeigte sich Kermani überzeugt. Denn eines sei klar: „Immer nur sich selbst betrachten ist auf Dauer eine ziemlich langweilige Angelegenheit.“

Bei dem Gespräch, in dem auch Martin Mosebach anwesend war erklärte er, dass die christliche Religion in Westeuropa praktisch unsichtbar geworden sei. Sie habe den Kopf eingezogen, und präsentiere sich so angepasst wie möglich. „Dauernd betonen die Bischöfe, dass die Kirche einen Beitrag zu diesem oder jenem leisten möchte, aber sie ist eben nicht mehr die Kraft, die bestimmen will, wonach der Mensch sich ausrichten soll.“ Die Religion, die fordere, dass sich der Mensch von ihr ergreifen lasse, sei dem Publikum unheimlich.

In dem Wort „Islamophobie“ sieht Mosebach weniger eine Phobie gegenüber dem Islam bezeichnet, sondern gegenüber der Religion schlechthin. „Wir reden ständig von Toleranz, sind in Wirklichkeit aber indifferent.“ In Wahrheit werde verlangt, „dass sich die Muslime unserer Zivilreligion unterwerfen und akzeptieren, dass die Religion immer nur die zweite Geige zu spielen hat“. Nach Ansicht von Kermani gibt es eine Scheu vor Konflikten. Dabei könne und solle man Uneinigkeit bestehenlassen, solange es seinen Rahmen gebe, in dem man sich nicht die Köpfe einschlage. (KNA, iQ)