Jugendarbeit

Aktion statt Prävention

„Prävention“ und „Extremismus“, zwei Begriffe die das öffentliche Islambild dominieren. Die Konzentration auf den sicherheitspolitischen Umgang mit Muslimen rückt die wertvolle Arbeit von Moscheegemeinden in den Hintergrund. Ein Umstand, den Ali Mete nicht unkommentiert lassen möchte.

10
05
2015
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Täglich wird über „Extremismus“, „Radikalisierung“ und „Terrorismus“ berichtet – fast selbstverständlich denkt man an Muslime. Im selben Atemzug wird von „Salafisten“ gesprochen – als eine der vermeintlich größten Bedrohungen für den gesellschaftlichen Frieden hierzulande. Es zwingt sich geradezu die Frage auf, was man dagegen tun kann. Der Begriff „Prävention“ ist da nicht mehr weit.

Die Politik sieht sich in der Pflicht. Man möchte nicht derjenige sein, der nichts getan hat, als es noch die Möglichkeit gab, ein „mögliches“ Unheil abzuwenden. So lassen sich allerlei Präventions- und Aussteigerprogramme rechtfertigen. Es werden Stellen eingerichtet, Personal wird geschult und Literatur produziert. Dass im Bereich der deutschsprachigen Literatur zum Salafismus zuerst solche zum Umgang – also zwecks Intervention – mit Salafisten erschienen ist, bevor man sich sachlich mit dem Thema befasst hat, entspricht ganz der Logik der Prävention.

Vorauseilender Gehorsam

Die Gesellschaft hat sich inzwischen so sehr an die Präventionslogik gewöhnt, dass auch Muslime so denken. Es passiert sehr schnell, dass im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams dieses und jenes verurteilt wird – also präventiv, weil man glaubt, es werde von einem erwartet oder weil entsprechender Druck ausgeübt wird. Beim Beispiel präventive Moscheekontrollen lautet das Argument so: Wenn ihr – die Muslime – nichts zu verbergen habt, solltet ihr nichts dagegen haben, wenn bewaffnete Polizisten Passkontrollen vor Moscheen durchführen. Das dient auch zu eurer Sicherheit.

Das entsprechende Argument auf muslimischer Seite lautet: „Die“ sind die bösen, „wir“ die guten Muslime. Das mag zwar richtig sein, doch solange man den Teufelskreis des gefährlichen Präventionsdenkens nicht durchbricht, bringt Abgrenzung nicht viel. Sie dient lediglich zur Beruhigung derer, die sie einfordern. Für die langfristige gesellschaftliche Partizipation ist eine solche Haltung, egal ob auf muslimischer Seite oder auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft, kontraproduktiv.

Suche nach Alternativen

Gibt es keine Alternative? Muss fast alles, was mit Muslimen zu tun hat, aus sicherheitspolitischer Sicht betrachtet werden? Folgender Vorschlag: Wie wäre es, wenn die Öffentlichkeit ihre – zugegeben – tief sitzende, aber faktisch kaum begründbare Angst besiegen und das Potenzial der Muslime und ihrer Einrichtungen erkennen würde? Besser: Wieso hat sie es bis jetzt nicht erkannt?

Vor allem Moscheen sind eines der deutlichsten Merkmale muslimischer Präsenz in Deutschland. Sie sind Zeichen der Identifikation und Verwurzelung und waren schon immer Ausgangspunkt gesellschaftlichen Engagements. Sie waren und sind heute noch mehr Orte der Begegnung, Bildung und des Austausches. Hier steckt das Potenzial einer jeden Moscheegemeinde in Deutschland, die zum allergrößten Teil ehrenamtlich organisiert sind. Nicht von ungefähr lautete das Thema des Tages der offenen Moschee 2014: Soziale Verantwortung – Muslime für die Gesellschaft.

Damit Moscheen ihr Potenzial entfalten und vor allem junge Muslime fördern können, müssen sie als Bereicherung wahrgenommen, akzeptiert und gefördert werden. Hierzu muss die Präventionslogik aufgegeben und Muslime als selbstverständliche Partner betrachtet werden. Muslime und ihre Organisationen müssen viel aktiver werden, um deutlich zu machen, dass und welchen Beitrag sie leisten und bereit sind zu leisten.

Junge Muslime in Moscheen

Hier sind gerade junge Menschen gefragt, die in den Gemeinden bis heute bestimmte Verantwortungsbereiche und Aufgaben übernehmen. Diese neue Generation junger Muslime muss sowohl von der Gesellschaft als auch von den islamischen Gemeinschaften gestärkt und gefördert werden. Denn diese Generation ist es, die durch ihren Einsatz z. B. Gesprächskreise, Ausflüge, Bildungsseminare, Hausaufgabenbetreuungen und vieles mehr mitgestalten. Dies ist Teil der selbstverständlichen Arbeit in den Moscheegemeinden, auch wenn sie insgesamt viel systematischer und qualitativer werden muss.

Zusätzlich zu den zahlreichen türkisch-, arabisch- oder bosnischsprachigen Angeboten finden viele Veranstaltungen auch in deutscher Sprache statt. Die Jugendlichen stellen ihre sprachlichen und kulturellen Qualifikationen in den Dienst ihrer Gemeinde, indem sie ihresgleichen dabei unterstützen, sich in mehreren Sprachen und Kulturen gleichermaßen heimisch zu fühlen.

Projekt „Großer Bruder-Kleiner Bruder“

Ein Projekt, das gut geeignet ist, um die seit Jahrzehnten fortgeführte selbstverständliche Arbeit muslimischer Gemeinschaften an der Basis zu verdeutlichen, ist das Projekt „Großer Bruder-Kleiner Bruder“ der IGMG-Jugend. Dieses Mentoringprojekt wird durch die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş seit 1994 systematisch durchgeführt. Es erreicht mit 100 Gruppen in sechs Ländern jährlich Tausende Jugendliche in ganz Europa.

Das Konzept ist schnell erklärt: Im Rahmen des Projektes werden in den Moscheegemeinden jüngeren Schülern Studenten als „großer Bruder“ zur Seite gestellt. Diese unterstützen ihre „kleinen Brüder“ bei Problemen in der Schule, Familie, Moschee oder im Freundeskreis. Entsprechendes gilt für das Projekt „Kleine Schwester-Große Schwester“.

Diese beiden Mentoringprojekte wurden bisher als selbstverständlicher Teil der Jugendarbeit fortgeführt. Man sah nicht die Notwendigkeit, sie als „Prävention“ zu benennen. In diesem Sinne sollten muslimische Gemeinschaften ihre Basis-Arbeit stärken und professionalisieren, ohne diese als Präventionsarbeit wahrzunehmen.