Theologe

„Es geht nicht um das Spektakuläre, sondern um das gelungene Miteinander“

Ein Interview mit dem Theologen Dr. Thomas Lemmen über die Christlich-Islamische Gesellschaft e. V. und den Dialog zwischen den monotheistischen Religionen.

14
02
2016
Erfurter Dom © xommandcity auf flickr, bearbeitet by IslamiQ

IslamiQ: Sie sind Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft, kurz CIG. Was genau macht die CIG?

Thomas Lemmen: Die CIG ist ein Verein von Christen und Muslimen, die sich gemeinsam dafür einsetzen den Dialog, die Begegnung und die Verständigung von Menschen beider Religionen zu fördern. Das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam und partnerschaftlich tragen und auf Augenhöhe bestreiten. Explizite Vereinsarbeit wäre beispielsweise, dass wir Informations- und Bildungsveranstaltungen durchführen. Außerdem bilden wir Musliminnen und Muslime zu Notfallbegleiterinnen und Notfallbegleitern aus und erstellen den Interreligiösen Kalender NRW, organisieren Veranstaltungen über die Religionen und vor allem zwischen den Religionen. Unter unserer Moderation arbeiten muslimische Gemeinschaften und Kirchen in NRW seit mehr zehn Jahren im Christlich-Islamischen Forum zusammen. In dieser Kooperation haben wir 2014 den ersten Tag des christlich-islamischen Dialogs in Deutschland durchgeführt.

IslamiQ: Muslime und Christen arbeiten gemeinsam an zahlreichen Projekten, vor allem auch im sozialen Bereich. Welche Chancen und Herausforderungen bringt diese Zusammenarbeit mit sich?

Lemmen: Eine ganz wichtige Chance ist die, dass der interreligiöse Dialog durch unsere Arbeit eine konkrete Gestalt annimmt. Oft wird über Dialogsarbeit gesagt, sie geschehe auf einer abgehobenen, akademischen Ebene und sei nicht lebensnah. Das entspricht aber nicht unserer Erfahrung. Wir waren beispielsweise im September 14 Tage lang am Flughafen in Köln-Bonn. Dort haben unsere muslimischen Notfallbegleiter zusammen mit der Notfallseelsorge Flüchtlinge in Empfang genommen. Das war eine sehr wichtige Aktion, zum einen weil man Flüchtlinge willkommen geheißen hat und zum anderen weil Muslime und Christen es gemeinsam getan haben. Das ist eine große Chance für alle, denn so kann der Dialog, der oft als abstrakt und wirklichkeitsfremd dargestellt wird, eine Gestalt bekommen und greifbar werden.

Die Herausforderungen sind die, dass man offen sein muss für die Bedürfnisse der Menschen. Man muss bereit sein, sich auf die Lebensverhältnisse des anderen einzulassen. Konkret müssen wir zum Beispiel bei der Notfallseelsorge erkennen, was in der muslimischen Familie anders und besonders ist und diese Feinfühligkeit muss auch umgekehrt gelten.

IslamiQ: Der christlich-muslimische Dialog wird oft auf die Probe gestellt, zum Beispiel nach terroristischen Anschlägen. Wie wirken sich solche Krisen auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen aus?

Lemmen: Insofern, dass man von uns erwartet eine Art Feuerwehr zu sein. Solche Situationen werden dem Versagen des Dialogs angelastet ohne dass man sagen kann, ob die Täter wirklich aus der Religion heraus handeln. Natürlich gibt es Menschen, die versuchen sich auf die Religion berufen, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Doch sowohl dem Christentun als auch dem Islam ist bewusst, dass Religion missbräuchlich genutzt wird. Es ist schade, dass nach terroristischen Anschlägen der Dialog zwischen Andersgläubigen reflexartig angefragt wird und Menschen im Dialog, sich erklären oder rechtfertigen müssen. Diejenigen, die sich für mehr Verständigung einsetzen, werden plötzlich für schreckliche Übergriffe haftbar gemacht.

IslamiQ: Also meinen Sie dass Terroranschläge in erster Linie nicht als ein Konflikt der Religionen gesehen werden sollte und Sie somit der falsche Ansprechpartner hierfür sind?

Lemmen: Unsere Aufgabe ist nicht die Bekämpfung des Terrorismus, sondern der Dialog. Wir sind der Überzeugung, wo sich Christen und Muslime auf Augenhöhe im Dialog begegnen, werden sie zu Freunden und Partnern und leisten damit einen Beitrag für den Frieden. Dieser Prozess wird von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen und gefördert, so dass die negativen Themen öfter in den Vordergrund treten.

IslamiQ: Die mediale Berichterstattung –vor allem über den Islam- steht oft in der Kritik, wie könnte man eine differenziertere Medienarbeit gewährleisten?

Lemmen: Natürlich muss man über die Geschehnisse in der Welt berichten, so schlimm sie auch sind. Was das Wesen unserer Arbeit ausmacht, ist die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich zu gestalten. Es geht nicht um das Spektakuläre, sondern um das gelungene Miteinander. Das kommt in den Medien kaum vor. Da wünsche ich mir eine Berichterstattung, die ganz bewusst positive Beispiele aufgreift und auch sachlich mit dem Thema Islam und Muslime umgeht. Aber auch umgekehrt werden das Christentum und der Westen in nicht-deutschen Medien nicht sachlich behandelt und auch dem sollte man entgegenwirken.

IslamiQ: Beinträchtigen denn die Konflikte zwischen Christen und anderen Religionsgemeinschaften in anderen Ländern deren Verhältnis in Deutschland?

Lemmen: Vom Verständnis des Grundgesetzes und des Grundrechts der Religionsfreiheit her muss man sagen, dass es keine Wechselwirkung geben darf. Es ist nicht richtig zu sagen, dass wenn man in Saudi-Arabien keine Kirchen bauen darf, darf man in Deutschland auch keine Moscheen bauen. Diese Haltung ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dennoch ist es so, dass religiöse Konflikte im Ausland auf das Zusammenleben in Deutschland Auswirkungen haben. Als CIG setzen wir uns für die muslimische Minderheit in unserem Land und für christliche Minderheiten im Ausland ein. Das ist eine gemeinsame Aufgabe, die wir als Christen und Muslime gemeinsam zu leisten haben.Es bringt nichts Vorwürfe zu erheben, man muss gemeinsamen die Situation analysieren und zu Ergebnissen kommen.

IslamiQ: Die Diskussionen um die Kölner Ereignisse in der Silvesternacht kreisen wieder einmal um den Islam. Glauben Sie, dass diese Anschuldigungen durch mehr Dialog aus der Welt geschafft werden können?

Lemmen: Die Täter sind bestimmt keine Menschen, die im interreligiösen Dialog mitwirken. Das sind Kriminelle, die wir mit dem interreligiösen Dialog nicht erreichen können. Wichtig ist, dass man im Vorfeld Menschen erreicht, um Sie vor dem Abgleiten auf falsche Wege zu bewahren. Das ist eine Aufgabe der Religionsgemeinschaften, aber auch der Gesamtgesellschaft. Wir als Dialogorganisation können nur den Boden dafür bereiten, dass sich die Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich begegnen und ihr Verhältnis positiv gestalten.

IslamiQ: Weil auch der Grund für sein kriminelles Handeln nicht in der Religion fußt?

Lemmen: Ich bin davon überzeugt, dass Religion nicht der Grund für seine Haltung ist, denn wer betrunken über die Domplatte stolpert und Menschen bedrängt, kann sich in seinem Tun weder auf den Koran noch auf die Bibel berufen.

IslamiQ: Im Zuge der Globalisierung und weltweiten Migration haben sich auch in Deutschland nichtchristliche Religionsgemeinschaften organisiert. Wie nimmt die katholische Kirche diese Entwicklung wahr?

Lemmen: Die Welt ist durch die Migration bunter und vielfältiger geworden. Das betrifft auch die religiöse Landschaft in Deutschland und gehört zur modernen globalisierten Gesellschaft dazu. Das ist kein Deutschland-typisches Phänomen, sondern ist auf der ganzen Welt zu beobachten.

Aus Sicht der katholischen Kirche ist die Organisation von Religionsgemeinschaften im Rahmen der jeweiligen Staats -und Gesellschaftsordnung zu bewerten. Das heißt, dass das Grundgesetz und die Verfassung immer den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sich die Gemeinschaften organisieren. Dieser Rahmen muss eingehalten werden und gleichzeitig muss man ihn den Organisationen gewähren.

IslamiQ: Kann man von einem Konkurrenzverhältnis der monotheistischen Religionen sprechen?

Lemmen: In der Frage der verfassungsrechtlichen Organisation kann man nicht von einem Konkurrenzverhältnis sprechen, da gleiches Recht für alle gelten muss. Wenn also mehr Religionsgemeinschaften Teil dieses Systems werden, bedeutet das eine Stärkung des Systems. Ein islamischer Religionsunterricht beispielsweise ist keine Beeinträchtigung des katholischen oder evangelischen Religionsunterrichts, sondern betont die Notwendigkeit konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland.

Deshalb würde ich nicht von einem Konkurrenzverhältnis sprechen, sondern von einer Ergänzung innerhalb des vorgegeben Rahmens und auch davon, dass die Religionsgemeinschaften sich gemeinschaftlich für die Wahrung dieser Rechtsordnung einsetzen.

IslamiQ: Manche Stimmen behaupten, dass der absolute Wahrheitsanspruch der monotheistischen Religionen auch mitunter die Ursache für die Gewaltentwicklung in den Regionen ist, in denen es interreligiöse Konflikte gibt. Was sagen Sie dazu?

Lemmen: Die Frage ist, wie geht man mit dem Wahrheitsanspruch um. In Lessings Nathan der Weise gibt es eine Stelle, die sich auf Koransure 5 Vers 48 bezieht. Sinngemäß wiedergegeben steht geschrieben, dass Gott die Verschiedenheit der Religionen gewollt hat und jeder in den guten Dingen miteinander wetteifern sollte. Das hat zur Folge, dass die Konkurrenz nicht in Gewalt münden muss, sondern dass die Gesellschaft von der Vielfalt profitiert und durch sie bereichert wird. Die Konflikte haben meinerseits keine religiösen, sondern politische und gesellschaftliche Gründe.

IslamiQ: Abschließend noch die Frage, sind Muslime in Deutschland mehr als nur „Gäste“?

Lemmen: Ja, sie sind ein Teil der Gesellschaft! Sie bringen sich in die Gesellschaft ein, als einzelne und als Gemeinschaft. Das kann man ganz gut an den von uns ausgebildeten muslimischen Notfallbegleitern sehen. Mehr als 100 Musliminnen und Muslime haben diese Ausbildung absolviert, weil sie sich als Teil der Gesellschaft verstehen und ihren Beitrag für Menschen in Extremsituationen leisten wollen. Ein sehr schönes Beispiel das zeigt, dass Muslime keine Gäste, sondern längst Partner geworden sind.

Leserkommentare

Doris Schulz sagt:
Die Fragen von IslamiQ nehmen in der Gesellschaft vorhandenes Denken auf und formulieren daraus Fragen, die Dr. Thomas Lemmen kompetent und erfahren im christlichen-islamischen Dialog beantwortet. Die konkreten Beispiele machen die Ziele für das Engagement von Christen und Muslimen in unserer Gesellschaft anschaulich. Das Selbstverständnis in der Christlich-Islamischen Gesellschaft e.V. (CIG e.V) die Dialogarbeit "auf Augenhöhe" zu praktizieren, wird deutlich in ihrer Vereinsarbeit. Die Christlich-Islamische Gesellschaft e.V. (CIG e.V) arbeitet paritätisch, d.h. im Vorstand ist . jede Position sowohl christlich als muslimisch besetzt.
08.03.16
13:13