Familie Yiğit aus Herne wurde jahrelang von ihrem Nachbarn islamfeindlich und rassistisch beleidigt. Ihr Auto wurde in Brand gesetzt und sie wurden mit Reizgas attackiert. Im IslamiQ-Interview erzählt Familienvater Ramiz Yiğit, wie die Familie die letzten zwei Jahre erlebt hat.
IslamiQ: Wann sind Sie in das Haus eingezogen und wie begannen die Probleme mit Ihrem Nachbarn?
Ramiz Yiğit: Wir sind 2012 hierher gezogen. Anfänglich hatten wir mit keinem Nachbarn Probleme. Später bekamen wir mit, dass jemand, der nachts an unserem Haus vorbeilief, den Koran und unsere Religion beleidigte. Da wir mit niemandem Probleme hatten, wussten wir nicht, wer diese Person ist. Erst später haben wir erfahren, dass es unser Nachbar war.
IslamiQ: Wann haben Sie das erste Mal die Polizei kontaktiert?
Yiğit: Wir haben anfänglich die Beleidigungen unseres Nachbarn versucht zu überhören und zu übersehen und haben in der Hoffnung, dass er nach einer Zeit davon absieht, keine Anzeige erstattet. Meine Frau und ich haben uns überlegt, was wir unternehmen können. Wir dachten, dass wenn die Polizei involviert ist, es kein Zurück mehr geben wird. In der Nacht nach dem Angriff auf Charlie Hebdo kam unser Nachbar stark alkoholisiert vor unser Haus und begann zu brüllen: „Eure Religion tötet Menschen.“ Wir riefen die Polizei und baten um Hilfe.
Diese Art von Angriffen wurde fortgesetzt. Auf unsere Tür wurden Blätter mit dem Slogan “Gib Islam keine Chance” geklebt. Sehr oft wurden meine Reifen zerstochen. Auf unsere Hauswand wurde der durchgestrichene Slogan “Islam ist Frieden” geschmiert. Auch wenn die Polizei die Blätter und die Farbe im Hause und Umfeld des Mannes fand, wurde nichts unternommen. Seine Beschimpfungen wurden als „Meinungsfreiheit“ abgetan.
IslamiQ: Haben Sie je versucht, mit Ihren Nachbarn zu sprechen, weshalb er so handelte?
Yiğit: Ja, wir haben ihn einmal darauf angesprochen. Wir haben uns eine Stunde lang mit ihm unterhalten. Am Ende sagte er: „Ich habe nichts gegen euch, ihr seid eine normale Familie, aber ich habe ein Problem mit eurer Religion.“ Außerdem unterstellte er, dass wir unsere Tochter zwangsverheiratet und zum Verhüllen gezwungen hätten.
Er sagte, dass er nie wieder etwas machen wird, wenn wir unsere Anzeigen bei der Polizei zurückziehen würden. Nach unserem Gespräch habe ich als Zeichen meines guten Willens die Anzeige bei der Polizei zurückgezogen. Eine Zeit lang haben wir uns gegrüßt. Bis er wieder begann, Alkohol zu trinken und mit seinen Freunden uns zu beleidigen und zu beschimpfen.
IslamiQ: Gab es auch direkte Angriffe auf Sie, z. B. auf Ihre Kinder oder Ihre Frau?
Yiğit: Ja, die gab es auch. Eines Nachts ließ er über eine Drohne mit Lautsprecher die ganze Straße Beleidigungen gegen unseren Propheten verlauten. Es gab auch eine Aufnahme mit dem Gebetsruf und anschließenden Maschinengewehrfeuer zu hören. Wir riefen die Polizei und brachten dies zur Anzeige. Nachdem die Polizei gegangen war, fuhr er in derselben Nacht mit dem Fahrrad an unserem Haus vorbei und griff meine Frau und Kinder mit Reizgas an.
IslamiQ: Was passierte dann?
Yiğit: Die Polizei kam wieder, eine Anzeige wurde aufgenommen und wir zogen vor das Gericht. Obwohl wir alle als Zeugen geladen waren, wurde nur meine Frau angehört. Der Staatsanwalt versuchte mit Fragen, wie z. B. „Woher wissen Sie, dass es Reizgas war, welche Farbe hatte es, wie roch es?“, die Aussage meiner Frau auszuhöhlen und brachte vor, dass es auch Haarspray sein könnte. Er stellte Fragen, wie: „Wenn Sie wissen, dass diese Person so gefährlich ist, weshalb sind Sie vor die Tür gegangen?“ Der Richter wollte nicht einmal die Tonaufnahme zum Angriff mit der Drohne anhören. Die Gegenseite brachte vor, dass meine Frau ihn mit einem Stock geschlagen hätte und manche Jugendliche ihn bedroht hätten. Der Richter lehnte die Klage aus Mangel an Beweisen ab.
IslamiQ: 2016 wurde mitten in der Nacht Ihr Fahrzeug in Brand gesteckt. Wie haben Sie den Angriff bemerkt?
Yiğit: Es war 3 Uhr morgens. Ich hörte einen Knall. Da wir nahe der Autobahn wohnen, kam es vor, dass wir von Zeit zu Zeit einen Knall hörten, wenn ein Reifen platzte oder dergleichen. Aus dem Schlaf fragte ich mich, ob ein Reifen geplatzt sei, öffnete das Fenster und sah die Flammen. Dabei war es unser Reifen, der durch das Feuer platzte. Ich kann mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn wir 10-15 Minuten später dies bemerkt hätten. Das Auto stand unmittelbar vor unserem Hauseingang, sodass wir das Haus über die Hintertür verlassen mussten.
IslamiQ: Dies ist ein schwerwiegender Angriff. Wie hat die Polizei nach dem Anzünden des Fahrzeugs die Ermittlung geführt?
Yiğit: Ein Sachverständiger kam und behauptete, das Fahrzeug wäre von selbst in Flammen aufgegangen. Ich sagte, dass das Fahrzeug sowohl von vorne als auch von hinten in Brand stand, dies nicht von selbst sein könnte. Der Angriff ging als „mutmaßliche rassistische Brandstiftung“ in die Akten ein. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Die Polizei beobachtete drei Monate lang unser Haus mit einer Kamera. Auch danach wurde unser Fahrzeug sehr oft angegriffen, aber die Polizei sagte, dass auf den Aufnahmen der Angreifer nicht zu sehen wäre. Die Aufnahmen bekamen wir nie zusehen. Das Versprechen, diese Vorfälle aufklären zu wollen, wurde nicht eingehalten. Uns wurde nur empfohlen umzuziehen.
IslamiQ: Gab es denn überhaupt keine Verurteilung dieses Mannes auf Grund der Angriffe gegen Sie?
Yiğit: Doch, die gab es. Auf Grund von vier unterschiedlichen verbalen Angriffen wurde er zu Geldstrafen verurteilt. Aber wegen den Angriffen auf mein Haus und mein Auto wurde er nie verurteilt.
IslamiQ: Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um sich zu schützen?
Yiğit: Nachdem wir mit der Kamera der Polizei keinen Erfolg hatten, haben wir an die Fassade unseres Hauses Sicherheitskameras angebracht. Dieses Mal erzählte der rassistische Nachbar, der selbst eine Überwachungskamera an seinem Haus hat, einem anderen Nachbarn, dass unsere Überwachungskamera sein Haus aufnimmt und wir die Bilder in den sozialen Medien teilen. Wir sagten, dass so etwas definitiv nicht der Fall ist und sie gerne dies auch überprüfen können. Als die Polizei aufgrund der Anzeige unseres Nachbarn zu uns kam und uns eine Strafe erteilen wollte, weil dies nicht rechtens ist, habe ich den Polizisten an die Kameras unseres rassistischen Nachbarn erinnert und ihm gesagt, dass ich eine Anzeige erheben werde, damit auch diese abmontiert werden. Wir zogen dann wegen unserer Nachbarn und wieder wegen der haltlosen Lügen vor Gericht. Während das Verfahren noch lief, haben wir diesen Sommer, als wir im Urlaub in der Türkei waren, erfahren, dass unsere Kameras zerstört, unsere Fenster und Türen mit Baukleber verklebt wurden.
IslamiQ: Was war die Haltung der Polizei?
Yiğit: Obwohl aufgrund der vorgegangenen Angriffe alle Hinweise auf unseren Nachbarn deuteten, hat die Polizei wegen mangelnder handfester Beweise unsere Anzeige nicht ernst genommen. Nach unserem Urlaub haben wir die Kameraaufnahmen der Polizei gezeigt. Auf den Aufnahmen ist klar eine Person mit weißem Overall, weißer Kopfbedeckung, Handschuhen und Maske zu sehen, der mit einem Stock unsere Kameras zerstörte und die Hausantenne und Stromkabel durchschneidet. Vom Gang und der Silhouette wird deutlich, dass dies wieder derselbe Nachbar war.
IslamiQ: Wie haben Sie aber den Entschluss gefasst, dieses Thema in die sozialen Medien zu bringen?
Yiğit: Als wir erfuhren, dass unsere Kameras zerstört wurden, haben wir über Facebook einen Aufruf gestartet, damit jemand bis zu unserer Rückkehr aus der Türkei das Haus bewachen kann. Aber unser Hilferuf wurde wie ein Schneeball zusehends größer und so gelangte die Sache in die Medien. Danach kamen die Menschen dankenswerterweise zur Unterstützung und zur Wache zu Besuch, vor dem Haus gab es Versammlungen. Aber nach einer Zeit haben wir zu dem Zwecke, dass die Sache nicht über das Ziel hinaus schießt und außer Kontrolle gerät den Ankommenden gesagt, dass sie sich nicht versammeln sollen. Denn wenn jemand etwas Falsches tun sollte, wären wir die Verantwortlichen.
IslamiQ: Hat der Umstand, dass dies nach den sozialen Medien auch in Fernsehen und Printmedien kam für Sie ein positives Ergebnis gebracht?
Yiğit: Ja, nach den Ereignissen kam zweimal die Polizei und teilten uns mit, dass der Fall ans Innenministerium übermittelt wurde und sie sich dieser Sache annehmen werden. Wir hofften, dass durch die Medien auf den zuständigen Einrichtungen und Personen der Druck erhöht wird, damit dieses Thema gelöst wird. Denn hier liegt entweder eine absichtliche Protektion der Person durch die Polizei vor oder die Polizei nimmt ihre Arbeit nicht ernst. Wir sehen die positiven Ergebnisse daraus, dass der Fall in die Medien gelangte. Vorher war zwar nicht bei jedem, aber bei manchen eine negative Haltung, aber jetzt ist dies nicht mehr der Fall.
IslamiQ: Gab es von amtlicher Seite zu diesem Fall Personen, die Sie kontaktiert oder besucht haben?
Yiğit: Nach dem letzten Fall kam der Generalkonsul von Essen, Herr Şener Cebeci. Außerdem kamen der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der SPD, Herr Alexander Vogt, der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Herne Herr Udo Sobieski, das SPD Ratsmitglied der Stadt Herne, Frau Nurten Özçelik, der Integrationsratsvorsitzende, Herr Muzaffer Oruç und sein Stellvertreter, Herr Ibrahim Baltacı, zu Besuch. Die Treffen waren sehr positiv, Sie haben großes Interesse gezeigt und uns unterstützt. Die Abgeordneten haben das Haus der Person mit eigenen Augen gesehen und als sie die Zäune mit Rasierklingen sahen, waren auch sie schockiert. Sie sagten, dass dies zumindest eine visuelle Umweltverschmutzung sei und entfernt werden müsste. Aber ich bin der Meinung, dass dieses Haus so bleiben sollte, damit die Menschen sehen, welche Art von Person er ist.
IslamiQ: Kam Ihnen auf Grund dieser Angriffe der Gedanke Ihr Haus zu verkaufen und umzuziehen?
Yiğit: Ja, wir haben sogar eine Zeit lang ernsthaft nach Mietwohnungen gesucht, denn wenn wir aus diesem Haus ausziehen, denken wir nicht daran ein anderes zu kaufen. Nach diesen Vorfällen können wir uns das nicht mehr zumuten. Aber das Umziehen war nicht einfach. Wegen der Schule der Kinder konnten wir keine passende Wohnung finden und ließen in der Hoffnung, dass dieser Mann irgendwann uns in Ruhe lässt, davon ab. Darüber hinaus hat auch der Polizist selbst gesagt, „selbst wenn ihr umzieht, wird dieser Mann Sie nicht in Ruhe lassen.“ Auch waren wir nicht nur Opfer der Angriffe dieses Mannes, sondern auch des Desinteresses der Polizei. Unter diesen Umständen ist das Umziehen gegenwärtig keine Lösung für uns.
IslamiQ: Wie wollen Sie hiernach zu diesem Thema weiter verfahren?
Yiğit: Anfangs wollten wir den Fall nicht in die türkischen Medien, denn wir hatten die Hoffnung, dass die Polizei eine Lösung findet. Wir wollten nicht, dass das als ein türkisch-deutsches Problem gesehen wird. Aber nach diesem Punkt haben wir uns entschlossen, jedem von unserem Problem zu erzählen. Diese Absicht wurde auch der Polizei mitgeteilt. Wenn wir wieder keine Lösung finden, werden wir das Thema wieder in die Medien bringen.
IslamiQ: Möchten Sie abschließend noch etwas sagen?
Yiğit: Wir erleben so etwas zum ersten Mal. Ein anderer Nachbar kam uns nach den Ereignissen sogar besuchen und unterstützte uns. Wir waren sogar so eng befreundet, dass er uns seinen Hausschlüssel anvertraute. Das, was wir hier erlebt haben, ist nichts anderes als Islamfeindlichkeit. Jedes Mal wurde unsere Religion beschimpft. Deswegen ist dieses Problem auch nicht nur das Problem unserer Familie. Der Staat muss ungeachtet der Herkunft und der Religion des Bürgers diesen schützen und seine Sicherheit gewährleisten.
Das Interview führte Meltem Kural.