20 Jahre Kopftuchstreit

Fereshta Ludin vermisst Signal für Vielfalt

Fereshta Ludin hat es mit erstritten, dass etliche Lehrerinnen an staatlichen Schulen Kopftuch tragen dürfen. So richtig glücklich hat dieser Erfolg sie jedoch nicht gemacht.

05
07
2018
Fereshta Ludin
Fereshta Ludin © Facebook, bearbeitet by iQ.

Auch 20 Jahre nach dem Start ihres juristischen Kampfs gegen das Kopftuchverbot für Lehrerinnen vermisst Fereshta Ludin deutlichere Signale des Staates für Vielfalt und Weltoffenheit. Am 13. Juli jährt sich der Kopftuchstreit zum 20. Mal. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht 2015 Verbote für unzulässig erklärt und es unterrichteten heute in vielen Bundesländern Lehrerinnen mit Kopftuch, dennoch gebe es „heute nicht so viel zu feiern“, sagte Ludin am Donnerstag in Stuttgart.

Das Leben als Frau mit Kopftuch sei nicht einfacher geworden. Und: „Ich glaube, mein ganzes Leben wäre anders gelaufen“, sagt Ludin. Ob sie sich eine Rückkehr von Berlin nach Baden-Württemberg vorstellen könne, wo hier doch so viele Lehrer fehlen? Dafür habe sie hier damals zu viele schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Ludin erzählt von Einschüchterungen, Beschimpfungen und Diskriminierungen. Sie lebt seit 1987 in Deutschland, hat seit 1995 den deutschen Pass.

„Es ist ein Teil meiner Identität“

Aus religiösen Gründen habe sie sich für das Tragen eines Kopftuchs entschieden. Aus freien Stücken, wie sie betont. Heute gebe es ihr Geborgenheit und Glück. „Es ist ein Teil meiner Identität.“ Werde aber im Bundestag von den „Kopftuchmädchen“ gesprochen, fühle sie sich „einfach elend – und würdelos behandelt“. Obwohl das Bundesverfassungsgericht 2015 Verbote für unzulässig erklärte, werde diese Sichtweise noch lange nicht überall gelebt. Es brauche regelmäßige Signale des Staates für Vielfalt und Weltoffenheit.

Das Kopftuch sei keineswegs ein politisches Statement oder Zeichen für Protest und Abgrenzung. „Man wird nicht untreu, nur weil man ein Tuch trägt oder einen Turban“, sagt Ludin mit Blick auf Verbote für Richterinnen oder Staatsanwältinnen. Noch immer gebe es die Annahme, mit einem Tuch auf dem Kopf könne die für bestimmte Berufe notwendige Neutralität verloren gehen. Dabei seien viele der Kopftuch tragenden Frauen hier geboren und fühlten sich als Deutsche.

In den 20 Jahren habe es aber auch viel Positives gegeben: Etwa, dass sie überhaupt mit ihrem Anliegen vor Gericht ziehen konnte. „Dass ich hier frei meine Meinung sagen kann, dass eine offene Debatte geführt wird, dass Dinge hinterfragt werden.“

23% der Musliminnen tragen Kopftuch

Ludin, die heute an einer Privatschule in Berlin unterrichtet, wird 1998 in Baden-Württemberg nicht in den Schuldienst übernommen, weil sie Kopftuch trägt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2003 zu ihrem Fall führten Länder Verbote ein. Die meisten Länder schafften diese aber ab, nachdem Karlsruhe 2015 in einem neuen Urteil pauschale Verbote an Schulen für nicht grundgesetzkonform erklärte.

Laut einer Studie tragen 23 Prozent der in Deutschland lebenden muslimischen Frauen Kopftuch, wie der Mediendienst Integration berichtet. In etlichen Bundesländern unterrichten Lehrerinnen mit Kopftuch. Erhebungen dazu gebe es nicht, Probleme seien aber selten. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Danke für diesen Beitrag. Ich bin zuversichtlich, dass Kopftuchverbote eines Tages ein für allemal der Vergangenheit angehören werden, weil gegenwärtig eine Generation heranwächst, für die Kopftücher in einer multikulturellen Gesellschaft selbstverständlich sind. So lange niemand Kindern etwas anderes erzählt. Die gegenwärtigen Politiker sind meist alt und grau und sind noch in einer Zeit aufgewachsen, in der Deutschland noch zu 99% aus Deutschen ohne Migrationshintergrund bestand. Man sollte also nicht verwundert sein, dass dieses Klientel von Politikern falsche Vorstellungen vom Kopftuch hat und das Kopftuch (außer in Putzkolonnen) nicht gewohnt ist. Warten wir also ab, bis dieses Klientel von Politikern eines Tages ausstirbt, dann lösen sich die noch bestehenden Verbote wie von selbst. Und alles ist gut.
05.07.18
20:05
Kritika sagt:
L.S. Was die Ludin vermisst ist unerheblich. Kritika vermisst diese GalionsFigur der rechthaberischen MuslimFrauen nicht eine Sekunde lang. Schön, dass es um ihr mittlerweile recht ruhig geworden ist. Sie hat das Bild der Musliminnen leider stark geschädigt. Gruss, Kritika
05.07.18
23:47
Johannes Disch sagt:
Es ist im höchsten Grade lächerlich, dass Deutschland auch 20 Jahre nach dem Fall Ludin noch immer Debatten über das Kopftuch führt. Interessant ist der politische Hintergrund von damals. Betreiberin des Kopftuchverbots war damals die CDU-Politikerin und erzkonservative Katholikin Annette Schavan. Und im Landtag von BW saßen die rechtspopulistischen "Republikaner." Da wollte man mit antimuslimischer Rhetorik und anti-islamischen Maßnahmen diesen Rechtspopulisten das Wasser abgraben. Das ist damals gelungen. Heute ist die Situation aber ernster. Mit der AfD sitzt eine rechtspopulistische und rassistische Partei im Bundestag. Die Mittel von damals werden kaum helfen. Und dennoch verfallen die Konservativen vor allem bei der CSU reflexartig in diese Reaktion. Dass wir auch 20 Jahre nach Ludin noch immer diese Diskussionen führen zeigt, dass die deutsche Gesellschaft noch immer nicht wirklich integrationsfähig ist. Unser Staatsangehörigkeitsrecht hat sich zwar geändert. Unsere politische Kultur aber nicht. Deutscher ist man immer noch nach Abstammung. Nach dem Blut. Oder als Zugehöriger zur deutschen "Kulturnation." Und wehe, es zeigt sich etwas, was wir Deutsche nicht gewohnt sind, da hören dann die Bekundungen zum Pluralismus schnell auf. Staatsbürger im Sinne des französischen "Citoyen", wo sich die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen an gemeinsam geteilten Werten orientiert, das ist noch immer nicht wirklich Teil der politischen DNA des Landes.
06.07.18
13:02
Frederic Voss sagt:
Ich bin zuversichtlich, daß verhüllende Kopftücher eines Tages ein für allemal der Vergangenheit angehören werden, weil gegenwärtig eine Generation heranwächst, für die Kopfverhüllungen in einer freien, liberalen Gesellschaft nichts mehr verloren haben. Dann wird alles gut. Signale für Freiheit, Autonomie und Unabhängigkeit vom Gängelband überholter Verhüllungsindoktrination sind wichtiger denn je.
07.07.18
12:01
Manuel sagt:
Wenn etwas "einfach elend – und würdelos" ist, dann ist es das Kopftuch selbst, Frauen MÜSSEN sich im Islam einwickeln wie Mumien und Männer rennen in Shorts herum, wir sehen also den sexistischen Charakter des Symbols. Hammer und Sichel sind eigentlich auch nur Werkzeuge, aber dennoch ein Symbol und genauso verhält es sich mit dem Kopftuch. Warum besteht denn der politische Islam so auf die Kopftuchpflicht???
07.07.18
14:11
Ute Fabel sagt:
@ Dilaver Celik: In meinem Unternehmen sind es vor allem jene Kollegen mit türkischem, bosnischem und iranischen Migrationshintergrund, die das optische Neutralitätsprinzip besonders leidenschaftlich hochhalten und strikt gegen die Einstellung einer Kopftuchträgerin sind. Gerade für meine türkischstämmigen Kollegen ist Laizismus im Sinne des Gründers der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, identitätsstiftend und zentraler Bestandteil ihrer kulturellen Prägung, den sie energisch verteidigt wissen wollen. Das straff gebundene Kopftuch mit Untertuch, wie es die türkische „First Lady“ tagein tagaus im Stil einer Uniform trägt, ist ein rein politisch motivierter Import aus den rückständigen Golfstaaten, der in der Türkei selbst weder religiöse noch folkloristische Tradition hat.
07.07.18
16:22
Manuel sagt:
Wo ist denn die Viefalt und die Toleranz im Islam? Ein Blick in die islamischen Länder genügt, um zu sehen, wie es mit Viefalt und Toleranz im Islam steht, wenn dieser die Politik bestimmt.
08.07.18
14:10
Ute Fabel sagt:
@ Frederic Voss: "Ich bin zuversichtlich, dass verhüllende Kopftücher eines Tages ein für allemal der Vergangenheit angehören werden" Ich auch! Reifröcke und Schnürmieder bei Frauen gehörten auch eines Tages für immer der Vergangenheit hat; beim Kopftuch wird es eines Tages auch so weit sein.
09.07.18
10:54
Dilaver Çelik sagt:
@Ute Fabel Dumme Menschen, die sich beharrlich weigern das Kopftuch zu akzeptieren, gibt es auch unter Türken, Iranern und anderen Nationalitäten sowie aus allen Bildungsgraden und gesellschaftlichen Schichten. Von dummen Menschen halte ich Abstand, weil es sinnlos ist sich mit ihnen abzugeben.
11.07.18
15:36
Manuel sagt:
@Dilaver Çelik: Genau, jemand der seinen Glauben von einem Stück Stoff abhängig macht, was ist der dann???? Fetischismus hat nicht unbedingt was mit Intelligenz zu tun, wie Sie hier eindrucksvoll beweisen.
15.07.18
16:49
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