Jetzt hat die Debatte über die Pegida-Bewegung auch die Migrationsforscher auf den Plan gerufen. Die Wissenschaftler sagen: Es geht nicht nur um einige Tausend Menschen, die gegen eine vermeintliche „Islamisierung“ protestieren. Das Problem liegt tiefer.
Der Rat für Migration forderte ein neues „offenes und Differenz-bejahendes“ Leitbild für Deutschland als Antwort auf die Pegida-Demonstrationen. Die Proteste seien Hinweis auf „einen Riss durch die Gesellschaft beim Thema Zuwanderung“, sagte der Ratsvorsitzende und Sozialanthropologe, Werner Schiffauer, am Montag in Berlin. Eine fachlich und überparteilich besetzte Kommission sollte noch in dieser Legislaturperiode ein neues Leitbild entwickeln, hieß es.
Der Migrationsrat erklärte, es reiche nicht, die Vorurteile der Demonstranten zu entkräften. Vielmehr sei es nötig, eine Kommission aus Politikern, Vertretern der Einwanderer und Wissenschaftlern einzurichten, um ein grundlegend neues Leitbild für Deutschland zu schaffen. Die Kommission solle bei der Staatsministerin für Integration angesiedelt werden. Eventuell müsse auch ihr Budget dafür aufgestockt werden, so Schiffauer.
„Es ist wichtig, dass wir den Begriff „Wir Deutsche“ neu definieren“, fügte Schiffauer hinzu. Außerdem müssten die Politiker den Menschen in Deutschland ehrlicherweise sagten, „dass Migration nur begrenzt steuerbar ist“. Die Strategie der CSU, die jetzt wegen der Pegida-Bewegung versuche, den rechten Rand einzufangen, sei dagegen falsch, betonte Schiffauer.
Auf die Frage, ob die Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, die in Dresden nun schon seit einigen Wochen jeden Montagabend demonstriert, nicht überbewertet werde, antwortete er: „Nein, denn dieser Riss geht weit über Pegida hinaus, und er spaltet die Gesellschaft“.
Studien hätten gezeigt, dass es keineswegs Menschen mit Angst vor dem sozialen Abstieg seien, die sich jetzt gegen Zuwanderung und gegen Muslime positionierten, betonte Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld und Ratsmitglied. Die stärksten Vorurteile seien vielmehr bei Menschen zu finden, „die an der Funktionsfähigkeit der Politik zweifeln“.
Andreas Zick kritisierte, dass es in Deutschland eine Art „Sklavenmentalität“ bei der Einwanderung gebe: „Migration ist dann gut, wenn sie uns etwas nutzt“. Dieses Bild schüre Vorurteile und werde dem langjährigen gesellschaftlichen Prozess von Integration in keiner Weise gerecht. Die Leitbild-Kommission müsse daher genau prüfen, ob es sinnvoll sei, der Zuwanderung eine vorrangig wirtschaftliche Sicht überzustülpen, sagte Zick.
Eine aktuelle Studie der Berliner Humboldt-Universität zeigt, dass die meisten Menschen jemanden als „Deutschen“ wahrnehmen, wenn er gut deutsch spricht und einen deutschen Pass hat. Allerdings sind immerhin 38 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, eine Frau, die ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein. Die gleiche Studie, aus der erste Ergebnisse im vergangenen Dezember veröffentlicht worden war, hatte zudem festgestellt, dass 85 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen den Satz „Ich liebe Deutschland“ unterschreiben würde. Und – das mag manche vielleicht überraschen: Auch 81 Prozent der befragten Deutschen mit Migrationsgeschichte drückten diese „Liebe“ aus. (dpa/KNA)