MUSLIMISCHE VORBILDER

Mâturîdî – der Gelehrte aus Samarkand

Vorbilder, die uns positiv stimmen, sind heute wichtiger denn je. In der neuen IslamiQ-Reihe möchten wir unsere Leser zu Autoren machen. Yasemin Çukurtaş schreibt über ihr Vorbild: Imam Mâturîdî.

10
06
2017
Mâturîdî
Grabstätte von Imam Mâturîdî in Samarkand © facebook, bearbeitet by iQ.

In der Entwicklung der islamischen Theologie hat sich ein Gelehrter herauskristallisiert, dessen Bedeutung und Ruhm man nicht hervorzuheben braucht: Abû Mansûr al-Mâturîdî. Die Quellen über das Leben dieses Pioniers der sunnitischen Denkschule der Mâturidiyya sind sehr begrenzt. Es gibt keine genauen Angaben zu seinem Geburtsjahr, jedoch nimmt man an, dass er im Jahr 333/944 in Samarkand gestorben ist. Den Berichten zufolge hat Imam Mâturîdî sein gesamtes Leben in Samarkand verbracht.

Wie von vielen Theologen des ersten Jahrhunderts sind viele Werke und Schriften Mâturîdîs im Laufe der Zeit verloren gegangen. Bis auf zwei Werke sind lediglich die Namen der Titel bekannt; es existieren nicht einmal Fragmente davon. Seine Werke und Schriften beschäftigen sich in der Regel mit den Gegnern anderer Theologieschulen, von denen Mâturîdî der Mu’tazila die größte Aufmerksamkeit widmet.

Bis heute sind lediglich durch zwei Handschriften die Werke „Kitâb Taʼwîlat Ahl as-Sunna“ und das „Kitâb at-Tawhîd“ vorhanden, welches die Hauptwerke Mâturîdîs darstellen. Bedauerlicherweise ist in der Geschichte zu sehen, dass Mâturîdî lange Zeit vergessen wurde. Da er dem Verstand eine wichtige Bedeutung gab, wurde ihm vorgeworfen, dass seine Ansichten der rationalen Mu’tazila ähneln würden. Dies war einer der Gründe, weshalb sein Leben und seine Lehre einige Jahrhunderte nach ihm vernachlässigt wurden. Durch zeitgenössische Studien und Forschungen bekam Mâturîdî seinen alten Ruhm wieder zurück.

Sein Beitrag zur Systematischen Theologie

Er gilt sowohl in der türkischen als auch in der islamischen Welt als einer der hervorragendsten Denker im Bereich der spekulativen Theologie. Mâturîdî prägte durch die Etablierung und Systematisierung der ḥanafitischen Theologie spätere Generationen und hatte dadurch einen großen Einfluss. Seine Wirkung beschränkte sich zunächst eine lange Zeit auf Samarkand und Transoxanien, später jedoch wirkte er über die Jahrhunderte im Zentrum des Islams und erlangte eine Anerkennung, die nur wenigen islamischen Theologen zuteil wurde.

Es ist eine Tatsache, dass die Theologie Mâturîdîs ein Meilenstein in der Entwicklung der Glaubenslehre in Transoxanien ist. Mâturîdî folgt der bereits bestehenden ḥanafitischen Tradition und systematisiert diese auf eine ganz neue Qualität, so dass er nicht nur eine klassische Abhandlung des Glaubens vornimmt, sondern vielmehr eine argumentative Grundlage für die spekulative Theologie entwickelt. Mâturîdî begnügt sich nicht damit, die tradierten Ansichten zu wiederholen. Seine Lehre entstand durch eine klar strukturierte und durchdachte Erkenntnislehre, die als Orientierung für nachfolgende Theologen diente.

Der große Denker

Das Studium der islamischen Theologie ist sehr vielfältig und prägt mich außerordentlich. Ein Licht hierbei war für mich der Gelehrte Mâturîdî. Für ihn geht es primär nicht nur um die Bezeugung und Abgrenzung eines Glaubens, sondern um das Festigen und Verteidigen des Glaubens, durch klare Argumentationstheorie und rationale Beweise. So ist an der Erkenntnistheorie aus der Perspektive des wissenschaftlichen Argumentierens nicht zu rütteln.

Der Islamwissenschaftler Ulrich Rudolph äußert sich zu Mâturîdî folgendermaßen: „Samarkand erscheint gewissermaßen als ein Sammelort der verschiedensten religiösen Bekenntnisse und Māturīdī wie ein dort waltender Großmeister.“ Diese Schärfe seines Verstandes und die Annäherung Mâturîdîs für eine Theologie der Mitte nahm ich mir als Vorbild für die Untersuchung islamischer Sachverhalte, denn nach meiner Empfindung konnte er in der gesamten islamischen Geistesgeschichte die verständlichste und akzeptabelste Argumentation liefern.

Leserkommentare

Kritika sagt:
L.S. "sondern um das Festigen und Verteidigen des Glaubens, durch klare Argumentationstheorie und rationale Beweise." So schreibt Yasemin Çukurtaş über Mâturîdî . Einen rationalen Gottesbeweis für welche Religon auch immer, das wäre doch eine Sensation, vergleichbar mit der Entdeckung des Urknalls vor 13,8 Miliarden Jahren. Bitte, Yasemin Çukurtaş, bescheibe uns auch nur einen dieser rationalen Beweise. Bisher hat weder Jesus einen Beweis für seine Behauptung, Gottes Sohn zu sein vorgelegt noch hat Mohammed bewiesen, sich jemals mit einen Engel getroffen zu haben, noch hat welcher Religionsstifter auch immer einen rationalen Beweis für seine Götter vorgelegt. Gruss, Kritika
12.06.17
9:44
Andreas sagt:
@Kritika: Das Gegenteil, also dass Jesus nicht Gottes Sohn ist und Mohamed sich nicht mit einem Engel getroffen hat, lässt sich allerdings eben sowenig beweisen. Auch einen Beweis, dass Götter nicht existieren dürfte schwer zu erbringen sein.
13.06.17
15:17
Charley sagt:
So ist an der Erkenntnistheorie aus der Perspektive des "wissenschaftlichen Argumentierens nicht zu rütteln." ....was zu zeigen wäre, gemessen an den Fortschritten, die die Erkenntnistheorie bis in die Gegenwart gemacht hat. An sogenannten "Gottesbeweisen" hat sich auch die abendländische Scholastik mit höchstem Scharfsinn abgearbeitet... nicht zuletzt Thomas v Aquin. Dieser sagte wohl auf dem Totenbett: "Alles, was ich geschrieben habe, ist Stroh!" ,.... soll wohl heißen: Das Entscheidende, Lebendige fehlt. - Die Unmöglichkeit (!!) von Gottesbeweisen ist in der Philosophie zur Genüge gezeigt.(Kant..., Feuerbach). Dass denkerische Erörterungen religiöser Fragen einem bereits (!) Gläubigen intensivere innere Erbauung bringen kann, ist allerdings durchaus möglich.
13.06.17
20:03
Charley sagt:
@Yasemin Çukurtaş: Was ist für dich eine "Theologie der Mitte"?
13.06.17
20:07
Kritika sagt:
Andreas sagt zu Kritika: "Das Gegenteil, also dass Jesus nicht Gottes Sohn ist und Mohamed sich nicht mit einem Engel getroffen hat, lässt sich allerdings eben sowenig beweisen. Auch einen Beweis, dass Götter nicht existieren dürfte schwer zu erbringen sein." -------------- Kritika: Yasemin Çukurtaş, über Mâturîdî schreibend, spricht von "rationale Beweise". Im Artikel verschweigt sie solche Beweise. Ich nehme sie beim Wort [Post vom 12.06.17] aber sie hat leider noch nicht geantwortet. Kritika ist weiterhin gespannt. Die Beweislast liegt generell bei demjenigen, der etwas behauptet. Yasemin Çukurtaş hat eventuell den Mund etwas zu voll genommen. Den NichtGottesbeweis ergibt sich aus dem Vergleich der von seinen Gläubigen behaupteten Eigenschaften* eines für-nicht-existent-zu-beweisenden-Gottes mit der realen täglichen Erfahrung. Gruss, Kritika * Abhängig von der Religion können das sein: unbeschränkte Macht, sehr gütig, alles wissend, sehr barmherzig, Gedanken lesen könnend, usw.
15.06.17
18:41
Yasemin Cukurtas sagt:
Liebe Kommentatoren, aufgrund des Studiums und die damit verbundenen Anstrengungen konnte ich nicht auf die Kommentare konzentriert Antworten jedoch wurden sie meinerseits zu Kenntnis genommen. Nun ergab sich die Gelegenheit ihnen zu Antworten. Die Erkenntnistheorie oder auch Epistemologie befasst sich mit den Untersuchungen der Möglichkeiten unseres Erkennens. Als Mensch haben wir das natürliche Vermögen des Erkennens durch die Vernunft. Mit der Vernunft können die Menschen die Wirklichkeit erkennen. Um beim Thema zu bleiben, in der Abfolge der Argumentationstheorie bezüglich der Erkenntnistheorie oder dem Gottesbeweis stützt sich Abū Mansūr al-Māturīdī dieser Ratio. Hinsichtlich der islamischen Scholastik verwendet er daher rationale Beweise, die von der Abfolge seiner Argumentation schlüssig sind. Ob Sie diese Argumentation für sich beanspruchen überlasse ich gerne Ihnen. Um es deutlicher für den Gottesbeweis von Abū Mansūr al-Māturīdī zu zeigen sei aus Sicht des sunnitischen Islams gesagt: Gott gilt als der Schöpfer eines jeglichen Dings außer Ihm. Als Beweis wird herangebracht, dass die Welt, mit allem was in ihr ist, zeitlich ist. Die Welt ist nicht frei von Zeit und auch nicht von ihr getrennt. Zeit in diesem Sinne ist die Dauer und die Dauer der Existenz eines Akzidenz an einem Köper. Um es hier kurz zu halten: Jedes Teil, dass der Zeit ausgesetzt ist, hat zweifellos einen Anfang und ein Ende und die Gesamtheit aller Zeiten ist nichts anderes als die Gesamtheit seiner Teile. Da die Zeit notwendig einen Anfang hat, die Welt insgesamt niemals ohne Zeit ist, hat die gesamte Welt, sowohl die Substanzen als auch die Akzidenzien, einen Anfang. Da die Welt einen Anfang hat, muss es etwas geben, dass von sich selbst aus Notwendig Existiert, welches die Welt aus dem nicht Sein in das Sein hervorbringt. Also ist die Welt als Ganzes geschaffen und hat einen Schöpfer, der urewig ist. Dieser Schöpfer ist nach dem Islam Gott, der alles aus dem Nichts hervorgebracht hat. Ich möchte nochmals betonen, dass dies seiner Argumentation hinsichtlich der Scholastik auf rationalen Beweisen begründet ist und in sich logisch ist. Wie schon erwähn, ob Sie sie diesen Gottesbeweis für sich beanspruchen oder nicht ist Ihnen selbst überlassen. Dazu gibt es genug Diskussionen, die Sie sich gerne anschauen können. Ich persönlich werde und möchte nicht weiter darauf eingehen. @Charley Als die Theologie der Mitte wird in der islamischen Geistesgeschichte die Mitte zwischen zwei Extremen Theologieschulen verstanden (in diesem Fall zwischen Muʿtazila und der Ğabriya)
19.07.17
22:57