Muslimische Entdeckungen und Erfindungen

Die Madrasa – eine Hochburg der Bildung

In diesem Beitrag der IslamiQ-Artikelserie “Muslimische Entdeckungen und Erfindungen” geht es um die Entwicklung des Madrasa-Systems unter seldschukischer und osmanischer Herrschaft.

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03
2015
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Nach verbreiteter Auffassung ist die Madrasa eine Weiterentwicklung der Moschee-Schulen. Eine Zeit lang überschnitten sich die Tätigkeitsbereiche der Moschee und der Madrasa. In den Moscheen wurde weiterhin gelehrt, während die Madrasa auch als Gebetsort genutzt wurden. Dass es unter den Madrasas in Anatolien reichlich viele mit Minarett gibt, ist ein deutlicher Hinweis darauf. Hinsichtlich der Architektur unterscheiden sich Madrasa und Moschee jedoch gänzlich. Die Architektur der Madrasa diente den späteren Schulen und Universitäten als Modell.

Die Madrasa wurde von den Karahaniden, den Ghaznawiden und weiteren türkisch-muslimischen Herrscherdynastien unterstützt und konnte in den Machtgebieten dieser Herrscherdynastien Fuß fassen. Die Bedeutung der Madrasa nahm im Bildungsbereich mit der Zeit zu.

Die Nizâmiyya Madrasa

Die Nizâmiyya Madrasa, die unter dem seldschukischen Wesir Nizâm al-Mulk gegründet wurde, ist eine wichtige Institution in der Geschichte der Hochschulen. Als erste Madrasa ließ Nizâm al-Mulk die Nischabur Nizâmiyya für Imam Dschuwayni errichten, die größte der Nizâmiyya Madrasa entstand allerdings 1068 in Bagdad. Diese Institutionen waren richtungweisend für die Bildungsinstitute der späteren islamisch-türkischen Dynastien. In diesen Bildungsinstitutionen wurde ein tiefgründiges Religionswissen vermittelt, vertrauenswürdige, kompetente Führungspersonen ausgebildet, Rhetorik, Philosophie und Logik gelehrt.

Die tolerante und einende Politik, die Nizâm al-Mulk betrieb, führte dazu, dass berühmte Gelehrte wie Kuschayri und Dschuwayni, die ins Exil gegangen waren, in ihre Heimat zurückkehrten. Als Bildungsinstitute mit Universitätscharakter, die eine freie, unabhängige Wissenschaft und Administration ermöglichten, beherbergten die Madrasas Menschen mit unterschiedlichster Gesinnung

Die Nizâmiyya Madrasa strebte eine „Chancengleichheit in der Bildung“ an, war doch zu dieser Zeit die Hochschulbildung jenen vorbehalten, die eine finanzielle Sicherheit hatten und dadurch ihr Studium finanzieren konnten. Die Regierung stellte einem Großteil der Schüler eine Unterkunft zur Verfügung, unterstützte sie durch Stipendien und versuchte so eine Chancengleichheit herzustellen.

Vor der seldschukischen Regierungszeit waren die Madrasas private Einrichtungen. Erst mit der Gründung der Nizâmiyya Madrasa wurde diese Bildungsstätte zu einem staatlichen Institut. Ähnliche Institute wurden in Konya, Kayseri, Sivas und Erzurum errichtet. Die anatolischen Seldschuken boten den Schülern in ihren Madrasas größere Chancen.

Die Nizâmiyya Madrasa als Bildungszentrum seiner Zeit, trug zur Aufklärung der Gesellschaft bei und diente der osmanischen Madrasa als Modell. Den ersten Unterricht in der Nizâmiyya Madrasa in Bagdad erteilte der berühmte Fikh-Gelehrte Abû Ishâk Schirâzî. Gazâlî, eine weitere berühmte Persönlichkeit, studierte zunächst in der Nischabur Madrasa und bildete anschließend in den Jahren 1091-1095 als Rektor der Nizâmiyya Madrasa in Bagdad zahlreiche Schüler aus.

Die Nizâmiyya Madrasa trug entscheidend dazu bei, dass die Bildungsinstitute, Madrasas, das Interesse und die breite Unterstützung vom Staat und der Gesellschaft erfuhren und sich zu Universität entwickelten.

Die Lehrmethode dieser Madrasa wurde zur gängigen Methode aller Madrasas in der islamischen Welt. Die Nizâmiyya Bildungsinstitute trugen insbesondere dazu bei, dass die Scharh (Erläuterungen, Kommentare) und die „Hâschiya-Methode“ zur gängigen Lehrmethoden in der islamischen Welt wurden.

Zudem realisierten sie die Verbreitung des Arabischen als gemeinsame Lehrsprache in der islamischen Welt. Sie waren wegweisend für die Nutzung des Türkischen als eine Sprache der Scharh und Hâschiya und das Lehren des Persischen in türkischen Madrasas. Die Ausbildung von Dozenten auf Lebenszeit und das Rangstufensystem wurde in der Nizâmijja Madrasa institutionalisiert. Zudem wurden erstmals in der Nizâmiyya Madrasa Diplomurkunden verliehen. Die Nizâmiyya Madrasa in Bagdad wurde 1248 größtenteils zerstört, als der Tigris übers Ufer trat. Von der Madrasa, an der bis ins 15. Jahrhundert gelehrt wurde, gibt es heute keine Spuren mehr.

Die Madrasa im Osmanischen Reich

Zur Zeit des Osmanischen Reiches durchliefen die Madrasas bezüglich des Lehrplans sowie der Architektur einen Entwicklungsprozess. Darüber hinaus beeinflussten die Madrasas die Stadtentwicklung positiv. Die Osmanen legten großen Wert auf Bildung, somit wurde der Bildung und den Gelehrten große Beachtung geschenkt, was dazu führte, dass zahlreiche Gelehrte aus diesem Grund nach Istanbul strömten.

An den osmanischen Madrasas konnte die mittlere Schulbildung und die Hochschulbildung absolviert werden. Die erste Madrasa im Osmanischen Reich wurde 1330 von Orhan Bey in Iznik gegründet. Mit der Grenzerweiterung wurden, allen voran in Bursa und Edirne, in einigen Städten Madrasas errichtet. Nach der Eroberung Istanbuls verlagerte sich die Hochschulbildung nach Istanbul.

In den Jahren 1331 und 1451 wurden 82 Madrasas im Osmanischen Reich gegründet. Die in den Jahren 1463-1471 gegründeten werden als Fatih Madrasa bezeichnet. Zu dieser Zeit entwickelte sich das Bildungssystem, so war nicht mehr die Dauer des Studiums, sondern das Erreichen bestimmter Prüfungsziele primär. Als der Komplex der Fatih Moschee entstand zogen die ersten türkischen Hochschulinstitute mitsamt der Studenten und den Lehrmaterialien in die neuen Räumlichkeiten.

Der Fatih Moscheekomplex wurde in den Jahren 1462-1470 gebaut. In dem Komplex befanden sich Semaniye Madrasa, vier „Zeitmessungsräume“ und eine Primarschule. Es gab darüber hinaus acht weitere Madrasas, die Schüler für die Semaniye Madrasa ausbildeten bzw. vorbereiteten. Die Schüler „Suhte“ wurden in Klassen unterrichtet. Nachdem die Schüler das „Mukaddimat-i ulûm“ gelesen hatten wurden sie „mülazim“ und waren befähigt eine fachwissenschaftliche Ausbildung zu beginnen. Ein Teil von ihnen setzte ihr Studium an der „Sahn Madrasa“ fort, was die höchste Stufe der Hochschulbildung darstellte.

An der Semaniye Madrasa studierten die Absolventen der berufsbildenden Madrasas. Die acht Madrasas hatten jeweils einen großen Hörsaal und 20 weitere Räume. Die Fatih Madrasa wurden mit der Absicht gegründet Schüler in Islamischen Wissenschaften und Bereichen wie Logik, Mathematik auszubilden. Neben den Islamischen Wissenschaften wie Fikh, Hadith, Usûl al-Fikh, Koranexegese, wurde auch Medizin, Ingenieurwissenschaften, Geographie und Logik gelehrt. Anfangs wurde die Bezeichnung Sahn lediglich für diese Madrasa verwendet, später erhielten auch andere Madrasas diese Bezeichnung. Der Fatih Moscheekomplex und die verschiedenen Madrasas verfügten über mehrere Bibliotheken. Es ist bekannt, dass es eine Leseliste gab, die von dem türkischen Gelehrten Ali Kuşçu erstellt wurde, doch bisher konnte dieses Schriftstück in den Archiven nicht ausfindig gemacht werden. In der Zeit Sultan Süleymans wurden diese Madrasas als Hochschulen für die Islamischen Wissenschaften genutzt, während die Süleymaniye Madrasa als Bildungsstätte für die naturwissenschaftlichen Wissensbereiche genutzt wurde.

Die Süleymaniye Madrasa wurde unter Anweisung Sultan Süleymans von dem berühmten Architekten Sinan in den Jahren 1550-1557 erbaut. Sie beherbergte die erste medizinische Fakultät des Osmanischen Reiches, das „Dâr at-Tib“ und die Bereiche „Dâr as-Schifâ“ (Krankenhaus), „Dâr al-Akâkir“ (Apotheke), „Dâr az-Ziyâfa“ (Speisesaal), „Tabhane“ (Herberge) und „Imarethane“ (Suppenküche). In diesem Madrasa lehrten die angesehensten Gelehrten der Zeit. Es existierten sechs Madrasas im Sülemaniye Gesamtkomplex, in denen Medizin, Biologie, Mathematik, Islamische Wissenschaften, Rechtswissenschaften und Literaturwissenschaften gelehrt wurden. Die Dozenten der medizinischen Fakultät waren Spezialisten auf ihrem Gebiet und verfügten über die Qualifikationen eines Oberarztes. Die Studenten wohnten in den Unterkünften der Madrasa. Es wurde an vier Tagen in der Woche unterrichtet. Die Absolventen der Madrasa setzen ihr Studium an der „Sahn-i Süleymaniye“ oder „Sahn-i Selam“ im Fatih Moscheekomplex fort. Als die Süleymaniye Madrasa gebaut wurden, wurde auch das Bewertungssystem, das zu Zeiten von Sultan Fatih erstellt wurde, geändert.

Bis in die Zeit der Reformen wurden die Madrasa als allgemeine Hochschulen genutzt, doch mit der Einführung der Berufsschulen entwickelten sich die Madrasas zu Religionsschulen. In der letzten Periode der Osmanischen Herrschaft wurden Änderungen am Lehrplan und am institutionellen Aufbau vorgenommen. Das Anfangs gut funktionierende Madrasa-System und das Madrasa-Gesetz stagnierten insbesondere im letztem Viertel de 17. Jahrhunderts und begannen sich aus diversen Gründen zum Negativen zu entwickeln. Im Jahre 1914 wurden die Madrasas unter einem Dach geeint und zum Ende der Osmanischen Herrschaft schließlich geschlossen.