Hinz und Kunst

„Die Natur ist mir zur Muse für meine Kunst geworden“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Muslimische Künstler nutzen die Freiheit und machen deutlich: Wir gehören zu Deutschland. Heute mit Betül Mis.

07
03
2020
Natur Betueliful
Betueliful

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Betüliful: Ich bin die Betül hinter „betüliful“, einem Kunsthandwerkunternehmen, das aus getrockneten Blüten, Harz und experimentell auch weiteren Materialien Schmuckstücke herstellt. Ich beende gerade meinen Bachelor in Philosophie, Politik und Ökonomik an der Universität Witten/Herdecke. Neben meiner Liebe für künstlerische Tätigkeiten, erlerne ich Instrumente, mit denen ich meinen Drang nach Gerechtigkeit operationalisieren kann.

IslamiQ: Was möchtest Du mit deiner Arbeit bewirken?

Betüliful: Seit meinem 10. Lebensjahr gestalte ich nun schon Schmuck. Seit jeher war es mein primäres Ziel, mich künstlerisch auszuleben und dabei ein Teil von Freudemomenten zu sein, indem Schmuckstücke verschenkt werden. Im Falle von betüliful werden konkret Blütengeschenke, Brautsträuße oder von meiner Mama gepflanzte und getrocknete Blüten in Harz konserviert. Die Arbeit mit Pflanzen hat den zauberhaften Nebeneffekt, das Nachsinnen über die Schöpfung und den Schöpfer zu veranlassen. Die Natur ist mir zur Muse für meine Kunst geworden und soll zur Muse zum Gottesgedenken für Andere werden.

Die Schriftstellerin Sophie Mereau hat mal geschrieben: „Was ist die Schönheit der Natur ohne das fühlende Herz, das sie zu empfinden vermag.“ Demnach versuche ich durch Storytelling die Augen und die Herzen der Rezipienten meiner Kunst für die nebensächlich erscheinenden Blüten in unserem Alltag zu öffnen und sie auf eine Gedankenreise mitzunehmen.

Der natürliche Verwelkungsprozess gleicht den Lebensstadien des Menschen bis hin zum Tod; die Blumen, die selbst nach der Verwesung duften gleichen der Vorstellung eines Lebens nach dem Tod, die mit der Gottesvereinigung gekürt wird. Trotz oder gar wegen der Verwelkung erhalten die Blüten noch immer ihre prachtvolle Ästhetik und legen somit der Vergänglichkeit Zügel an und symbolisieren, dass jedem Stadium ein eigener Zauber innewohnt. Der Verwelkungsprozess jeder Blume verläuft ganz unterschiedlich, wie die unterschiedlichsten Lebensläufe der Menschen. All diese Allegorien und viele mehr über die Verbundenheit zwischen Menschen und Natur sollen den Rezipienten meiner Kunst mit ihrer Umwelt harmonisieren.

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Betüliful: Ja, ich denke ein gesunder Umgang mit den Dispositionen, die mir meine Eltern mitgegeben haben und die ich jeweils mit neuen Zugängen für mich neu entdeckt habe, haben sich als Geschenk für mich erwiesen. Diese sind im weiteren Sinne meine türkisch-kurdischen Wurzeln, die Einwanderungsgeschichte meiner Eltern, meine Heimat Speyer, die Erfahrung als Bildungsaufsteigerin, unser Gartenleben während der Sommerzeit, der Islam und vieles mehr. Insbesondere prosaische Anekdoten über die Religion, religiöse Metaphern und die Bilder haben sich stark in mein Innenleben eingeprägt.

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Betüliful: Zunächst einmal verschafft mir mein Glaube in meiner Arbeitsmoral in einem fordistischen Zeitalter Demut gegenüber dem größten Kunstschaffenden Allah. Die prosaischen Anekdoten, die ich oben erwähnte, thematisieren üppig florale Elemente, die ich für mich im Kontext meiner Kunstschaffung aus einer neuen Perspektive entdeckt habe, so wie die Blüte, die an den Turban befestigt wird, die Rose im Koran (Monsieur Ibrahim und die Blume des Koran), Rosenwasser (gülâb), die Süßspeise Güllac an Ramadan, das Rosensirup (şerbet), Rosenlokum, die rosenduftenden Gebetsketten als Mitbringsel aus Mekka und Medina, die Nachtigall und die Rose als Metapher der Zärtlichkeit, Persien als Rosenland des Nahen Ostens, die Tulpe mit dem Zahlenwert (abschad) 66 im arabischen Alphabet als Analogie für Allah mit demselben Zahlenwert, die Rose als Symbol des wohlduftenden Prophet Muhammad (s) das Paradies mit der bezaubernden Flora und Fauna, und vieles mehr.

So haben meine kulturelle und religiöse Prägung mir stets Inhalt für das Storytelling und die Kontextualisierung meiner Arbeit zur Verfügung gestellt, und wechselseitig hat mein Handwerk mir eine neue Herangehensweise an meine kulturelle und religiöse Prägung ermöglicht.

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende antiislamische Stimmung in Deutschland. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt?

Betüliful: Als Frau, mit Migrationshintergund und sichtbare Muslimin ist man gleich mehreren potentiellen Diskriminierungsmechanismen ausgesetzt. Ich wurde Gott sei Dank äußerst selten mit physischer Diskriminierung konfrontiert. Was meines Erachtens viel einschüchternder ist, ist der politische, mediale, gesellschaftliche, sowie linguistische Rechtsruck, den marginalisierte Betroffene inkorporieren und in Minderwertigkeitsgefühle, sowie Starre und Müßiggang verfallen. Ich bin mir nichtsdestotrotz überzeugt, dass die Zahl der friedvollen Menschen, die Zahl der feindlich gesinnten abermals übersteigt.

Leserkommentare

Emanuel Schaub sagt:
danke für den wunderbaren Beitrag! Das Buch "Monsieur Ibrahim ..." habe ich gerade gelesen und sehr genossen!1 gruß emanuel
11.03.20
14:53
Luisa sagt:
Wie schön. wusste gar nicht, dass Natur einen so wichtigen Platz im Islam hat, ein sehr schön formuliertes interview
13.03.20
13:12