Moscheearchitektur

Können Nichtmuslime Moscheen entwerfen?

Architektur reflektiert die innere Welt, die Spiritualität und den Lebensstil des Architekten. Heutzutage werden viele Moscheen in Europa von nichtmuslimischen Architekten entworfen. Inwieweit können dabei islamische Prinzipien beachtet werden? Der Versuch einer Erklärung.

18
08
2019
Architekten, Moscheen
Symbolbild: Moscheearchitektur © Samie Iqbal Kayani, bearbeitet by iQ.

Das Raumerlebnis eines Besuchers beim Betreten eines Zimmers, einer Moschee oder einer Wohnung ist individuell verschieden. Der gebaute Raum spricht zu seinem Betrachter, er enthüllt sich ihm, sobald er ihn betreten hat. Wir kennen dies als “Phänomenologie des Raumes”. Doch wie werden Moscheen als “Räume” erlebt? Wird das Raumerlebnis vom Glaubensbekenntnis des Architekten beeinflusst? Berechtigte Fragen angesichts der Tatsache, dass zahlreiche Moscheen in Europa von nichtmuslimischen Architekten entworfen wurden.

Spiritualität und Moscheearchitektur

Eine Moschee ist mehr als eine Ansammlung von Kuppeln und Halbkuppeln. Es geht nicht allein um die bloße Handhabung von Form und Material, sondern darum, der göttlichen Wahrheit durch diese Formen und Symbole Ausdruck zu verleihen.

In den räumlichen und plastischen Formen der islamischen Architektur finden göttliche Einheit und Offenbarung ihren künstlerischen Ausdruck. Aufgrund dieses gemeinsamen Kerns gibt es immer auch Ähnlichkeiten in der Architektur muslimischer Länder.

Die in der Moscheearchitektur verwendete Ornamentik, ihre räumlichen und plastischen Formen lassen sich ohne Rückbezug auf jene metaphysischen und kosmologischen Prinzipien, aus denen sie sich speisen, nicht verstehen. Eine Kuppel ist beispielsweise keine Erfindung von Muslimen, die Art und Weise, wie die Kuppel in der Moscheearchitektur eingesetzt wird, kann jedoch durchaus als einzigartig bezeichnet werden. Individuelle architektonische Elemente oder Lösungen werden zu einem unverwechselbaren, von spirituellen Prinzipien genährten Ganzen vereint.

Architektur besitzt die Fähigkeit, den Menschen sowohl körperlich zu umfassen als auch geistig zu erleuchten. In der sakralen Architektur vermag sich die göttliche Wahrheit dem menschlichen Bewusstsein unmittelbar zu offenbaren. Sie verkörpert das Zeitlose, das Unendliche, die formlose Essenz.

Moscheen spiegeln innere Welt wider

Im Gegensatz zur profanen Architektur muss die Auswahl der Form in der Sakralbaukunst auch deren Inhalt und Symbolik berücksichtigen, will sie die richtige Botschaft vermitteln. Die islamische Architektur verkörpert sich durch religiöse Formen und traditionelle Symbole. Der Sufiforscher Titus Burkhardt bezeichnet sie deshalb auch als die “zweite Offenbarung” des Islams.

Der Entwurf einer Moschee unterscheidet sich nicht von der Rezitation des Korans oder dem Werk des Kalligraphen: Er spiegelt die innere Welt, die Spiritualität oder den Lebensstil des Künstlers bzw. Architekten wider. Deshalb sollten Moscheen von Architekten entworfen werden, die in der Lage sind, die Symbolik erfolgreich in bauliche Formen zu übersetzen.

Entwürfe nichtmuslimischer Architekten

Die Moscheen jeder Region besitzen ihren unverwechselbaren Stil, ihre eigene “Persönlichkeit”. Als eines der berühmtesten Symbole der islamischen Kultur vereint die Moschee Kunst, Architektur und handwerkliches Können in einer heiligen Sphäre. Aus diesem Grund sollten Hand, Herz und Verstand eines muslimischen Architekten den Entwurf einer Moschee bestimmen. Seine bzw. ihre Kreativität steht in den Diensten der göttlichen Einheit und Wahrheit, der sie entsprungen ist. Diese Sensibilität ist notwendig, um künftig wieder “echte” Moscheen zu bauen.

Kann denn jemand, der noch nie ein Moscheebauprojekt betreut, in einem islamischen Land gelebt, gebetet, Zeit in einer Moschee verbracht oder über deren Umgebung reflektiert hat, dieselbe Moschee bauen, wie einer, auf den all das zutrifft?

Die Mehrheit der europäischen Moscheen wurde und wird von nichtreligiösen Architekten entworfen. Wo jedoch eine echte geistige Verbindung zwischen baulicher Form und den Betenden hergestellt werden soll, müssen Muslime das Ruder übernehmen. Nur jemand, der die göttliche Wahrheit versteht, kann mit ihren äußeren Formen spielen, sie verändern und den islamischen Prinzipien wahrhaft Ausdruck verleihen.

Großbritannien: Fallstudien über Moscheen

Die erste zweckgebundene Moschee Großbritanniens, die Shah Jahan-Moschee, wurde 1889 in Woking errichtet. Ihr Erbauer, der christliche Architekt W. I. Chambers, verband bauliche Elemente des späten Mogulreichs mit gotischen Bögen. Diese erste Moschee ist heute das Zentrum einer blühenden Gemeinde.

Die erfolgreiche Kombination historisch authentischer Anleihen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen innerhalb eines neuen Bauwerks konnte deshalb gelingen, weil der Architekt selbst in diese Traditionen eingebunden war. Die geometrischen Proportionen der Moschee von Woking finden sich auch in anderen Sakralbauten wieder. Der Architekt besaß offensichtlich ein gewisses Feingefühl gegenüber jenen Werten, welche die göttliche Wahrheit widerspiegeln. Indem er sich der von diesen Werten inspirierten Formen und Proportionen in seiner Bauweise bediente, konnte der nicht-muslimische Architekt der Shah Jahan-Moschee an die historische Vergangenheit anknüpfen.

Cambridge Mosque Project

Anders verhält es sich im Falle des jüngsten Moscheeneubaus in Großbritannien, dem Cambridge Mosque Project. Der 23 Millionen Pfund teure Bau der Londoner Architektengruppe Marks Barnfield wird als Europas erste “Öko-Moschee” gelobt.

Die Moschee trägt zum einen den Forderungen britischer Muslime nach repräsentativen Gebetsräumen Rechnung zum anderen bietet sie eine zeitgenössische, Architektursprache an, und eröffnet der Gemeinde damit die Vision eines neuen baulichen Ansatzes.

Aus architektonischer Perspektive sehen wir ein schönes Gebäude. Die Kombination aus Kuppel und Holzkonstruktionen kann zumindest technisch als erfolgreicher Versuch eines Moscheeraums betrachtet werden. Anders als von Marks Barnfield behauptet, sind die Holzkonstruktionen jedoch wohl weniger Ausdruck oder Schaffung einer “lokalen islamischen Architektur”, sondern vielmehr eine Hommage an den japanischen Architekten Shingeru Ban. In dem von Ban entworfenen südkoreanischen Luxusressort “Nine Bridges Golf Club House” finden sich nämlich ganz ähnliche Konstruktionen.

Im Zusammenspiel mit der Kuppel, einem Brunnen, dem andalusischen Garten, Kalligraphien und Arabesken entsteht aus technischer Sicht dennoch eine gelungene Verbindung aus islamischen Architekturelementen und modernem Design.

Islamische Architektur wiederentdecken

In Europa gibt es hervorragende muslimische Architekten, die ihre Entwürfe in erfolgreiche Projekte umsetzen können. Diese Architekten setzen nicht allein auf die “Schönheit” eines von irgendwoher übernommenem Modell. Sie kennen die Anliegen der jeweiligen Gemeinden und arbeiten in einem islamischen Rahmen. Es gilt, die sakrale Form der islamischen Architektur wiederzuentdecken. Wir haben dies bereits bei früheren Muslimen und muslimischen Architekten beobachten können.

Die Rolle des Architekten lässt sich mit der eines Dirigenten vergleichen. Er ist das Hirn, in dem die Idee erblüht. Ingenieure führen Berechnungen durch und setzen den Gedanken um, technische Zeichner fertigen die Skizzen an, die von Grafikdesignern in 3D-Modelle übersetzt werden; Künstler und Handwerker gestalten das Innere, Landschaftsgärtner kümmern sich um die Anlage der Grünflächen. Für einen harmonischen Klang benötigt dieses “Orchester” finanzielle Förderung.

Anstatt Unterstützung von außen anzufordern, müssen muslimische Organisationen im Westen muslimische Architekten, Ingenieure, Designer und Handwerker im Sinne einer zeitgenössischen islamischen Architektur fördern. Die drängende Frage, der wir uns stellen müssen, lautet nicht, ob nichtmuslimische Architekten die symbolträchtigen Moscheen von heute entwerfen können, sondern warum sie es tun.

Leserkommentare

A.F:B. sagt:
Bereits vor längerer Zeit habe ich als Angestellter des Islamischen Zentrums Aachen (Bilal-Moschee) gearbeitet und dort unter den beengten Räumlichkeiten gelitten. Das Gebäude wurde von einem nichtmuslimischen Architekten entworfen, der irgendwelche träumerischen Vorstellungen von einer Berberburg hatte. Schon bald erwies sich der Innenhof bei dem meist regnerischen Wetter in Mitteleuropa als in dieser Weise unbrauchbar, und so wurde er überdacht und in einen Vortragssaal umgewandelt, der auch als zusätzlicher Gebetsraum dienen kann. Später wurden die zu engen Lichtkuppeln im Gebetssaal durch weitere ersetzt und die nackte Betonwand in hellem Grün angestrichen. Vom unteren Stock in das Stockwerk mit dem Gebetsraum und Vortragssaal führt eine viel zu enge Wendeltreppe, auf der kaum zwei Personen aneinander vorbeikommen. Zuletzt mußte ich in einem kleinen Abstellraum ohne Fenster und Lüftung arbeiten. Zu einem Erweiterungsbau kam es nicht, und wird es wohl auch nicht kommen, da das Gebäude jetzt unter Denkmalschutz steht. Es wird keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse der Muslime genommen! Als ich Bilder vom Rohbau der neuen großen Ditib-Moschee in Köln sah, hätte ich am liebsten eine Demonstration zu ihrem Abriß veranstaltet. Auch hier war bei der Planung ein nichtmuslimischer Architekt am Werk. Dieses Gebäude sieht von außen mehr wie ein geborstener Atomreaktor aus als eine Moschee. Insbesondere seine Asymmetrie stört mich sehr. Islam bedeutet Harmonie mit dem Schöpfer und seiner Schöpfung, in der alles wohlgeordnet ist, was sich in der traditionellen islamischen Architektur in Symmetrie und geometrischen Verzierungen äußert. Bei den Nichtmuslimen gibt es jedoch häufig keinen Glauben an einen Schöpfer, und ihr Sinn für Harmonie ist gestört oder ganz verlorengegangen, was sich dann auch in ihrer Architektur äußert. Daher ist dringend davon abzuraten, Moscheen von Nichtmuslimen oder von Muslimen entwerfen zu lassen, die mit der Disharmonie der westlichen Gesellschaften infiziert sind!!!
19.08.19
0:13
Emanuel Schaub sagt:
Nach längerer Auszeit wegegn Krankheit geniesse ich richtigehend diesen differenzierten Beitrag ! Vielen Dank ! gruss emanuel
19.08.19
10:27
Prinzessin Rosa sagt:
Islam ist auch Vielfalt, und darf sich m. M. nach auch in den Moscheen wiederspiegeln. Im Gegensatz zur Kirche ist eine Moschee KEIN sakraler Ort. Natürlich muss die Architektur dem Nutzen Rechnung tragen, aber die Ästhetik darf ruhig mit dem Zeitgeist gehen. Ich finde die neue Moschee in Köln sehr schön, und grade als europäische Muslima finde ich mich in der Balance zwischen Moderne und Tradition dieser Architektur wieder.
20.08.19
21:04
Elif Elmas sagt:
Auch wenn Muslime in muslimischen Ländern Moscheen gebaut haben, dann haben sie sich an der vorhandenen lokalen Architektur orientiert. Beispielsweise sind osmanischen Moscheen sind nach dem Vorbild byzantinischer Kirchen entstanden. Die Farben und Formen orientierten sich in der Regel an der lokalen Bauweise für Synagogen oder Kirchen. Zudem wurden häufig auch Kirchen oder Synagogen als Moscheen weiterbenutzt. Reist man duch verschiedene Länder, so stellt man rasch fest, dass Moscheen je nach Land recht unterschiedlich aussehen.
21.08.19
3:35
grege sagt:
Islamprotagonisten ignorieren gerne, dass Kompetenz und Wissen nicht an das Bekenntis an eine Religion gebunden sind. Mehr braucht man hier zu nicht zu sagen. Offenbar nutzen einige Islamprotagonisten diesen Beitrag als Anlass gegen "westliche Gesellschaften" mit rassistischen Parolen zu hetzen. Wenn AFB tatsächlich diese Sichtweise besitzt, soll er seine Kofferpacken packen, um in Landstriche östlich oder südlich des Mittelmeeres überzusiedeln. Dann kann er soviele Moscheen ohne Infekte bauen, wie er lustig ist
22.08.19
20:24
Kritika sagt:
An Emanuel Schaub, Es freut mich, dass Sie wieder schreibfähig sind, und ich wünsche Ihnen baldige und vollständige Genesung. Wenn Sie Japanische Eltern hätten, würden Sie oft am Fusse eines heiligen Baumes stehen und 3 x in die Hände klatschen, damit der Baumgeist Sie wahrnimmt. So, wie es in Japan viele tun. Und wenn ich MuslimEltern hätte, würde ich schwarze Stoffbällchen die laufen können oder bekopftuchte Arzthelferinnen ebenso fazinierend finden, wie Sie das heute tun. An Ihren Beiträgen hat mich* immer der tolerante, sachliche Ton gefallen; bitte weiter so. Gruss, Kritika * mich? mir ?
23.08.19
0:37
mo sagt:
Eine ähnliche Vorstellung von Harmonie wie A.F:B hatte man in Deutschland zuletzt in den vierzigern.
25.08.19
20:00
mo sagt:
Übrigens erstaunt mich dieser Artikel doch etwas; die Intention der Autoren ist klar, aber wie ISLAMIQ das so zulassen kann, das frage ich mich schon. Nachrichten wie "Geht das? Muslimischer Dirigent leitet christlichen Chor" finden sich nur auf PI-News. Kann mir auch schon gut den Artikel "Architekt darf trotz besserem Konzept Kirche nicht bauen, weil Muslim ist" vorstellen. Das wäre dann aber wohl antimuslimischer Rassismus.
26.08.19
16:34
Mehmet Karaoglu sagt:
Moin Allesamt, ich bin auch der Meinung, dass man Moscheen bauen sollte, die den örtlichen Gegebenheiten und natürlich den Geist einer Moschee widerspiegeln. Und wenn ein nicht-muslimischer Architekt Vorort das besser kann als muslimischen, dann müßte man ihm den Vortritt lassen. Ich finde, die Autoren haben sich zu sehr von ihren Gefühlen leiten lassen, rational ist es nicht, was sie behaupten. Ich bin in Deutschland quasi in einer Moschee aufgewachsen, die ursprünglich als ein öffentliches Bad erbaut wurde und lange Jahre als solches gedient hat. Danach wurde das Gebäude umgebaut in eine Moschee. Die Architektur dieser Moschee ist für mich gefühlsmäßig die schönste auf der Welt. Objektiv betrachtet, ist sie nicht die schönste Moschee. Architektur ist Geschmacksache. Und im Islam gibt es in dieser Hinsicht nur ganz wenige Einschränkungen. Wenn ein nicht-muslimischer Architekt verinnerlicht hat, was diese Einschränkungen sind und warum es sie gibt, ist er genauso gut wie ein muslimischer Architekt. @Kritika; mir:) Als Ergänzung zu diesem Artikel: http://www.islamiq.de/2019/08/10/jeder-kann-eine-moschee-gestalten-wie-er-moechte/
27.08.19
18:39
Ethiker sagt:
Ein wichtiges Argument für die Anfertigung einer Moschee in muslimischer Hand eine Moschee zu bauen, ist die Bedürfnis- und Kostengestaltung. Es ist schwer nachzuvollziehen, inwieweit ein nicht muslimischer Architekt die Spiritualität, die Tradition der Baukunst und die Funktionalität eines Gebäudes berücksichtigen kann, auch und gerade deswegen mit Blick auf entstehende Kosten. Ein weiteres Argument für eine kreative Gestaltung einer Masjid durch einen muslimischen Architekten ist die Sichtbarkeit. So könnte muslimisches Leben, Kreativität und Wertschätzung ein neues Signal erhalten und entgegen der politischen geförderten Unsichtbarkeit der muslimischen Menschen ein positives Zeichen des Zusammenerhalts geschaffen werden.
14.09.19
12:59
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