Islamische Heilkunde

Schröpfen-Stechen, Bluten, Heilen

Bringt die Schröpftherapie Heilung? Zeynep H. möchte es versuchen und sucht in Köln eine Heilpraktikerin auf. Wie Zeynep das sogenannte „blutige Schröpfen“ erlebt und was sie dabei empfindet, berichtet IslamiQ-Redakteurin Kübra Layik in ihrer Reportage.

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01
2019
Schröpfen (c)facebook, bearbeitet by IslamiQ

Rot-schwarzes Blut füllt sich in die Saugglocke an der geschröpften Kopfhaut. Auch die Glocken an den Schultern und am Rücken saugen sich langsam mit dem Blut voll. Kann das wirklich gut sein? Skepsis, Neugierde und eine Mischung aus „Es wird schon gut gehen“ und „Was wenn nicht?“. Im Hintergrund läuft die Koranrezitation. Die Heilpraktikerin Serpil Hoca spricht währenddessen laute Bittgebete auf. Je mehr sich die Saugglocken füllen, desto entspannter wirkt Zeynep H.. Ihre Hände, Beine und ihre Rückenmuskulatur scheinen sich förmlich „gehen“ zu lassen. Der Anblick wirkt jedoch alles andere als entspannt.

Der Duft von Essig und Öl

„Selamun Aleyküm“. Serpil Hoca macht die Tür auf. Sofort breitet sich ein prägnanter Duft von Essig und gemischten Ölen im Nasen-Rachenraum aus. „Aleyküm Selam“. Im Eingangsbereich stehen Flaschen mit Shampoos, Cremes und Öle. „Alles bio“, verspricht sie. Zeynep zieht die Schuhe aus, hängt ihren Mantel auf und betritt das Zimmer unmittelbar in der Nähe des Eingangsbereiches auf der rechten Seite. Serpil Hoca ist eine in der Türkei professionell ausgebildete und zertifizierte Heilpraktikerin. Vor allem hat sie sich auf das Schröpfen spezialisiert.

Sofort sticht der mit Datteln, Süßigkeiten und Getränken gedeckte Esstisch ins Auge. Neben der Wasserkanne steht noch eine Flasche Apfelessig und Honig bereit. Aus dem Handy, das auf dem Tisch liegt, erklingt eine beruhigende Koranrezitation. „Bitte setzt euch doch“. Schräg rechts neben dem Esstisch steht ein Sofa, das die besten Jahre längst hinter sich hat. Die Wände, glitzergrün gestrichen und mit Bildern von Schriften aus dem Koran geschmückt. Daneben hängt eine Urkunde ihrer Ausbildung. „Serpil U. Weiterbildungszertifikat Hadschamat“. „Habt ihr gut hergefunden, meine Lieben? Inschallah geht es euch gut. Wie kann ich euch helfen?“. Serpil Hoca wirkt sehr ruhig und gelassen. Mit ihrem typisch türkisch gebundenem Kopftuch, ihrem langen Rock und einem mit Blumen bestücktem Oberteil setzt sie sich auf den Sessel gegenüber. Zeynep fängt an zu erzählen, wieso sie hergekommen ist. „Nun ja, ich habe mehrere Beschwerden. Hauptsächlich bin ich wegen meinem Rücken hier. Meine Schultern tun sehr weh und ich bin total verspannt. Und ehmm, irgendwie habe ich einen vollen Kopf.“

Auf der linken Seite sind große Regale mit Utensilien für die verschieden Behandlungen verstaut. Daneben stehen ein Fernseher und nochmal ein Regal mit Büchern. Alles scheint  zusammengepuzzelt worden zu sein. Provisorisch aneinander gereihte und zweckerfüllende Möbel, die nur das wichtigste verstauen sollen. Trotzdem wirkt es irgendwie auch warm und authentisch.

Nach dem Erstgespräch fragt Serpil Hoca, ob Zeynep sich an die davor besprochenen Vorlagen gehalten hat. „Es ist wichtig, dass du 24 Stunden vorher keine tierischen Produkte gegessen hast. Vor der Behandlung durftest du vier Stunden nichts essen, ich hoffe, du hast dich dran gehalten. Hast du Medikamente genommen?“. Zeynep hat sich sehr gut auf die Therapie vorbereitet. Während sie sich für die Behandlung fertig macht, holt die Hoca eine zusammengeklappte Liege neben dem Fernseher heraus und stellt sie auf. „Zeynep, du kannst dich jetzt auf deinen Bauch legen.“ Es geht los.

„Das fühlt sich komisch an, ist das normal?“ 

„Bismillahirahmanirahim“. Serpil Hoca desinfiziert ihre Hände, zieht sich Handschuhe drüber und desinfiziert nun Zeyneps gesamten Rücken mit einem Desinfektionsmittel. Sie setzt die Saugglocken an. Zwei auf die Schulterblätter, eine dazwischen, zwei an den Rippen und drei Saugglocken an der Lende entlang. Mit einer „Pumpe“ vakuumiert sie die Saugglocken. Nachdem die Glocken nun Beulen gebildet haben, bereitet sie die letzte Saugglocke vor. Die ist für den Kopf gedacht. Sie kämmt Zeyneps Haare zurecht, so dass sie einen Scheitel gebildet hat, um dort die Glocke anzusetzen. Davor fixiert sie die umliegenden Haare mit Haargel. Sie setzt die Glocke an und zieht an der Pumpe. Die bisher entspannte Zeynep wird plötzlich unruhig. „O Gott, dass fühlt sich total komisch an. Ist das normal? Ich meine, ich verspüre einen sehr straken Druck“. Für Serpil Hoca wirkt Zeyneps Reaktion ziemlich selbstverständlich. „Ja Liebes, mach dir keine Sorgen. Wenn es schmerzt, bedeutet es, da ist etwas. Also es ist völlig normal. Versuch dich zu entspannen und lass locker.“ Locker lassen. Locker lassen. Zeynep versucht, alle ihre Muskeln zu entspannen und sich auf die im Hintergrund laufende Koranrezitation zu konzentrieren. Beruhigend und hypnotisch.

Dieser Beitrag ist aus der Reihe „Islamische Heilkunde“.Hier der Link zu dem Beitrag: Schröpfen „Hidschama“ – das ultimative Heilmittel?

Serpil Hoca bereitet währenddessen die steril verpackte Rasierklinge vor. „Es ist wichtig, die Klingen und Saugglocken immer steril zu halten, und es müssen Einwegutensilien sein. Die dürfen nicht noch ein Mal benutzt werden. Nicht alle halten sich daran, aber das ist sehr wichtig, um eine spätere Infektion zu verhindern“, erklärt sie Zeynep. Tatsächlich achtet sie sehr darauf, alles sauber zu halten, zu desinfizieren und Handschuhe zu benutzen. Auch sind die Saugglocken und Rasierklingen steril verpackt. „Die dürfen ohne Handschuhe nicht aus der Verpackung genommen werden, sonst kann man die auch direkt wegschmeißen. Sie sind dann unbenutzbar“, fügt sie noch hinzu.

Nach zehn Minuten nimmt Serpil Hoca die Saugglocken langsam ab. Es haben sich rot-lila angelaufene Beulen gebildet. Es ist soweit. Sie nimmt die Rasierklinge und geht in Position. „Zeynep, bitte nicht erschrecken. Ich werde jetzt anfangen zu ritzen, und du wirst nichts spüren. Bitte versuch ruhig und entspannt zu bleiben.“ Zeynep wirkt sichtlich angespannt. Ihre Hände ballt sie zu Fäusten und ihr Atem wird schneller. Der erste Stich. Serpil Hoca setzt ungefähr 10-13 kleine und schnelle Ritzungen in die davor angesaugten Beulen. Dabei spricht sie laut Bittgebete. „Ich werde jetzt einige Suren aus dem Koran rezitieren. Dabei ist es nicht wichtig, welche man aufsagt. Es gibt keine Vorgaben, keine Reihenfolge. Ich fange immer mit den Suren Fâtiha, Nâs, Falak und Ihlâs an. Danach fahre ich mit der Âyat al-Kursî fort. Dies werde ich ständig wiederholen“, erklärt sie Zeynep.

Es ist harmloser als erwartet. Es sind nur kleine und feine Bewegungen, die sie macht. Es scheint so, als ob Zeynep die Ritzungen gar nicht spüren würde. Ruhig liegt sie auf dem Bauch, ohne sich zu bewegen, gar zu zucken. Wo ist das Blut? „Das Blut kommt erst, wenn ich die Saugglocken wieder anlege und die eingeritzten Stellen vakuummiere. Davor sieht man nichts.“ Serpil Hoca erklärt Zeynep jeden einzelnen Schritt.

Gesagt, getan. Serpil Hoca setzt die Saugglocken an die davor eingeritzten Stellen, saugt mit der Pumpe die Glocken und lässt wieder die Beulen entstehen. Und da. Das Blut tropft langsam und gemächlich. Wie, wenn man sich mit einer Nadel in den Finger pickt und es zu einer minimalen Blutung kommt. Jetzt ist der Kopf dran. Davor hat Zeynep schon ein wenig Angst. Gerade erst konnte sie sich wieder entspannen und die erste Aufregung war verschwunden. Zeynep wird unruhig. Die Hände ballt sie wieder zu Fäusten. „Also da passiert wirklich nichts oder? Ich meine, es ist eine sehr sensible Stelle.“ Serpil Hoca, die schon die Rasierklinge in der Hand hält und mit der Behandlung fortfahren möchte, stockt. „Liebes, keine Sorge, ich mache das tagtäglich. Glaub mir, du wirst keine Schmerzen haben und danach wirst du dich sehr gut fühlen. Lass locker und entspann dich. Konzentriere dich nur auf meine Bittgebete und das, was ich sage“. Zeynep atmet tief ein und aus und versucht, ruhig zu bleiben.

„Zeynep zuckt zusammen“

Serpil Hoca sticht sanft und fein in die Beule auf der Kopfhaut. Zeynep zuckt zusammen. Die Hoca vakuumiert die Stelle mit der Saugglocke. Diesmal füllt sich die Saugglocke viel schneller mit Blut voll. Vergleichbar wie bei einer etwas tieferen Schnittwunde. Hat sie zu tief gestochen? Die Hoca runzelt die Stirn. „Hmm also eigentlich sollte da mehr Blut rausfließen, irgendwie ist es noch zu wenig. Da ist noch dreckiges Blut was nicht vollständig rausfließen möchte.“ Zu wenig? Ohne sich an den ängstlichen Blicken zu stören fängt sie an langsam, die Glocken am Rücken zu lösen. Das Blut an den geschröpften Stellen hat sich zu einer Art Puddingmasse gebildet.  Serpil Hoca wischt die Blut-Puddingmasse weg und geht noch mal mit einem Tuch und einem Desinfektionsmittel über den gesamten Rücken. Zum Schluss schmiert sie eine Ölmischung auf die gereiztesten Stellen.

Mittlerweile hat sich die Saugglocke am Kopf fast komplett mit Blut gefüllt. Auch beim Lösen hat sich das Blut zu einer Puddingmasse gebildet. Saugglocken und Rasierklingen landen allesamt in der Mülltüte. Zeynep öffnet langsam die Augen. Serpil Hoca desinfiziert die gereizte Stelle, schmiert die Ölmischung drauf und klopft Zeynep auf die Schulter. „Fertig, du kannst jetzt langsam aufstehen, Liebes. Bleib erstmal sitzen, damit sich dein Kreislauf normalisieren kann.“ Beim Aufsetzen ist Zeynep wie benebelt. Ein Rausch aus Entspannung, Müdigkeit und Entlastung hat Zeyneps Körper verschleiert. Sie braucht einen Moment, um sich wieder zu fangen. „Ich fühle mich so müde, aber auch frei. Total entspannt. Ist es normal, dass ich etwas Kopfschmerzen habe?“. Vielleicht hätte sie sich doch nicht am Kopf schröpfen lassen sollen. Serpil Hoca, die derweil alles sauber macht, die Liege desinfiziert und die unbenutzten Utensilien wegräumt, fängt an zu lächeln. „Das ist ganz normal. Beim ersten Mal bekommt man Kopfschmerzen. Oder man ist auch sehr müde, etwas antriebslos. Das kommt von der Reinigung deines Körpers. Du musst dich jetzt davon erholen. Ruh dich die nächsten 24 Stunden aus, trink sehr viel Wasser und Tee, damit du die restlichen Toxine aus deinem Körper ausscheiden kannst. Dann darfst du dich 24 Stunden nicht waschen und keine tierischen Produkte Essen. Geçmiş olsun!“

Top oder Flop?  

Einige Tage nach der Behandlung berichtet Zeynep, dass ihre Rücken- und Schulterschmerzen fast vollständig verschwunden sind. Sie fühlt sich leichter und gesünder. „Einen Tag danach hatte ich noch leichte Kopfschmerzen, doch meine Verspannungen an den Schultern und am Rücken sind fast vollständig verschwunden. Auch meine Kopfschmerzen waren nicht langanhaltend. Ich merke, dass ich viel ruhiger und entspannter bin und besser schlafe“. Das Schröpfen alleine verspricht keine vollständige Heilung. Das weiß auch Zeynep, die sich fest vorgenommen hat, mehr Sport zu treiben, auf ihre Ernährung zu achten und einen gesünderen Lebensweg einzuschlagen. Erst dann, glaubt sie, mithilfe des Schröpfens Heilung zu finden.

Es ist keine Hexerei, kein Wunder, sondern einfache Medizin. Das Schröpfen alleine verspricht keine vollständige Genesung, sondern dient als Unterstützung der Gesundheitsförderung und Prävention. Es ist eine Heilmedizin, welche der Prophet Muhammad (s) sehr oft angewandt hat und es seiner Umma empfahl. Vom Propheten, den Ägyptern bis zu den alten Chinesen und nun auch im Westen angekommen, ist das Schröpfen eine alt eingesessene Behandlungsalternative. Zeynep ist sich sicher, es war nicht das letzte Mal!

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
„Es ist eine Heilmedizin, die der Prophet Mohammed sehr oft angewendet hat“ Das ist reine Scharlatanerie! Bestenfalls hat der mitschwingende Placebo-Effekt irgendwelche positive Auswirkungen. Den kann man aber einfacher durch die ebenfalls medizinisch unwirksame Homöopathie herbeiführen. Wenn diese Methode so wirksam wäre, hätte sich ab dem 7. Jahrhundert die Lebenserwartung in jenen Regionen sprunghaft erhöhen müssen, in denen sich der Islam verbreitet hat. Das geschah aber nicht! Der selbst erklärte Prophet hat auch fälschlicherweise behauptet, dass sich Salz- und Süßwasser nicht vermischen können, sondern Allah zwischen ihnen eine Scheidewand errichtet hat: Sure 25:53: "Er ist es, der den beiden Gewässern freien Lauf gelassen hat, zu fließen, das eine wohlschmeckend, süß, und das andere salzig, bitter; und zwischen ihnen hat Er eine Schranke gemacht und eine Scheidewand. " Heute wissen wir, dass Brackwasser in Flussmündungen sehr wohl ein Gemisch aus Süß- und Salzwasser darstellt und keinerlei Schranke und Scheidewand dazwischen liegt. Dass sich gesalzenes und ungesalzenes Wasser zur Gänze vermischen, kann jeder in seiner eigenen Küche überprüfen. Man braucht nur ein Glas Leitungswasser mit einem Glas gesalzenen Wasser zusammenfüllen und danach eine Kostprobe machen. Bei medizinischen Fragen sollte man Ärzten, bei naturwissenschaftlichen Fragen Biologen, Physikern und Chemikern, aber niemals Propheten vertrauen.
13.01.19
6:20
Emanuel Schaub sagt:
Also der launige brilliant geschrieben Bericht kommt gerade rechtzeitig ;die ganze Zeit hat mich eine ca.5 cm grosse Stelle am rechten Schulterblatt gequält... Schade dass die die Dame nicht zur Behandlung aus dem Rechner springen kann... Vielleicht irgendwann mal -inschallah ! gruss emanuel
14.01.19
12:10
MaMabo sagt:
"Oh, Ihr Kleingläubigen..." steht schon in der Bibel. Da gibt es auch einiges, was sich aus heutiger Sicht wissenschaftlich nicht halten lässt. zB "der Hase ist ein Wiederkäuer". Wer aber schon einmal "Mümmelmänner" hat mümmeln sehen, kann sich leicht erklären, wie diese Feststellung entstanden ist. Wie auch immer, noch in meiner Ausbildung als Arzthelferin vor 50 Jahren hat mein damaliger Chef - prakt. Arzt + Geburtshelfer - geschröpft, zur Ader gelassen, Egel gesetzt und "genadelt", bevor Akkupunktur überhaupt in unserem Kulturkreis erwähnt wurde. Das waren alte Medizintechniken, die mit dem Sieg der heutigen Pharma-Industrie fast ausgerottet wurden. Sie führen allenfalls noch ein Nischendasein - zB bei Heilpraktikern. Dabei sind sie oft sofort wirksam und haben kaum unerfreuliche Nebenwirkungen - fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wenn er davon überhaupt noch was weiß. Wenn über die Begegnung mit dem Orient der Okzident wie im Mittelalter neu befruchtet wird, gibt das Anlass zur Hoffnung. Im Mittelalter drehte sich in unserem Kulturkreis noch die Sonne um die Erde. Bis Shakespeare aufklärte: "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt.“ Das ist historisch zwar nicht ganz korrekt, trifft aber den Sachverhalt: "rechthaberische Besserwisserei + eitle Überheblichkeit des Westens".
29.03.19
15:56