Rassismus in Deutschland

„Wenn sogar Özil Rassismus ausgesetzt ist, was ist mit uns?“

Der Fußballer Mesut Özil ist aus der deutschen Fußballnationalmannschaft zurückgetreten. In seiner Erklärung wirft er deutschen Medien und dem DFB-Präsidium Rassismus und Respektlosigkeit vor. Wir fragen unsere Leser was sie von der Causa Özil halten.

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07
2018
Junge Muslime Studie
Symbolbild: Junge Muslime in Deutschland © privat

Der deutsch-türkische Fußball Nationalspieler Mesut Özil gab gestern seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. In einer längeren Mitteilung auf Twitter nahm er erstmals zu der hitzigen Diskussion Stellung. Gegenstand der Diskussion: sein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft. Mit seinen scharfen Vorwürfen gegen den Verbandschef des Deutschen Fußball Bundes (DFB), Reinhard Grindel, fremdenfeindliche Funktionäre, und einer rassistischen mediengeführten Hetzkampagne gegen ihn, hinterließ der 29-Jährige eine schwere Bürde, nicht nur für den DFB, sondern für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Integration, Rassismus und Zugehörigkeit.

Bis gestern schwieg Özil

Bereits vor der WM ernteten die beiden deutschen Fußballspieler mit türkischen Wurzeln Mesut Özil und Ilkay Gündoğan scharfe Kritik. Sie hatten mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in London im Mai ein Foto geschossen. Das DFB-Präsidium, zahlreiche Politiker, aber auch Nutzer von sozialen Medien kritisierten das Foto lautstark und stellten die Zugehörigkeit der Spieler zu Deutschland und ihre Integration in Frage. Gündoğan reagierte prompt, gestand einen Fehler ein und stellte klar, dass es sich bei dem Foto nicht um ein politisches Statement handle. Özil schwieg bis gestern zu den Vorwürfen.

Nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft ging die Diskussion um Mesut Özil weiter. Verschiedene Medien brachten in ihrer Berichterstattung über das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft, die Niederlage mit Mesut Özil in Verbindung – und zwar nicht mit seiner spielerischen Leistung auf dem Fußballfeld. Vielmehr stand seine Herkunft im Fokus der Diskussion. Grundsatzdiskussionen über seine türkische Herkunft und sein Recht auf die Mitgliedschaft in der deutschen Nationalmannschaft wurden geführt.

Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft

Die Konsequenz, die Özil am gestrigen Sonntag aus der hitzigen Debatte über ihn zog: sein Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. Er verspüre „ein Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit“ ihm gegenüber, erklärte Özil seinen Schritt. „Was ich (…) nicht akzeptieren kann, sind deutsche Medien, die wiederholt mein doppeltes Erbe und ein einfaches Bild für eine schlechte Weltmeisterschaft einer ganzen Mannschaft verantwortlich machen“, kritisiert Özil. Er macht aber nicht nur die negative Berichterstattung für seinen Entschluss verantwortlich, sondern auch das Verhalten des DFB-Präsidiums.

Für seine Abrechnung erntete Özil harte Kritik, aber auch großes Lob. In den sozialen Netzwerken solidarisieren sich insbesondere Muslime und Deutsche mit Migrationshintergrund mit ihm und können seinen Entschluss nachvollziehen. Wir fragten unsere Leser was sie von der Debatte über Mesut Özil halten und wie sie seinen Rücktritt und seine Erklärung beurteilen. Hier einige Antworten:

Dilara Sönmez, 24: 

„Ich war auch eine Kritikerin der Fotos, weil ich einfach der Meinung bin, dass der Zeitpunkt falsch war, da die Absicht unumgänglich politisch verstanden werden würde. Aber die Statements Özils haben mich aufs Vollste umgestimmt, und ich hab mir gedacht: „Hey, es ging um das Respekthaben“. Ich finde es wirklich traurig, dass es zum Austritt kommen musste. Aber eigentlich auch nur deswegen, weil ich mir Gedanken darüber mache, wie es nun um mich oder all die anderen Menschen mit Migrationshintergrund steht. Und was die ganzen Flüchtlinge erwartet.  Selbst Özil, der ja mittlerweile als Integration in Person verstanden werden sollte, wird bei nur einer Unstimmigkeit Rassismus ausgesetzt. Wir, mit Migrationshintergrund, können jetzt von Folgendem ausgehen: Solange ich erfolgreich bin, bin ich in der „deutschen“ Gesellschaft willkommen, falls mir aber ein Fehler unterläuft, werde ich einer kollektiven Schuldzuweisung ausgesetzt und bin wieder „die/der Andere“.“

Iman Laghmari, 21: 

„Özil repräsentiert die Gefühle, die so viele von uns haben. Guter Deutscher, schlechter Immigrant. Das Gefühl, sich ständig und immer aufs Neue beweisen zu müssen. Das Gefühl, immer mehr machen zu müssen, als jeder andere, damit diese Leistungen anerkannt werden. Und das jeder Schritt, den man tut, beobachtet wird. Özil ist das beste Beispiel dafür, und er zeigt, dass man das nicht aushalten muss. Dass man irgendwann einen Schlussstrich ziehen darf und muss. Und das auf die beste Art und Weise. Einfach ein Abgang mit Stil.“

Enes Karaca, 24: 

„Er hat das alles zu Worte gebracht, was die meisten „Deutsch-Türken“ hierzulande zwar denken, aber weniger zu Worte bringen, da sie dadurch weitere Benachteiligungen befürchten. Deutschland gilt als offen und modern. Ist es aber wirklich so? Ich bin zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, durch die globalisierte Welt bekommt man inzwischen alles auf der Welt mit. Was ich dabei für mich feststellen kann:

Es wird einerseits gewollt, dass wir uns als „Deutsche“ bezeichnen, andererseits wird man nie wirklich als Deutscher akzeptiert. Man ist, wie es auch Özil schildert, ein „Teilzeit-Deutscher“, je nachdem wie es gerade passt.“

 

Leserkommentare

grege sagt:
Die 40.000 Opfer hat nicht nur die PKK auf dem Gewissen, sondern genauso die türkische Armee, Gendamierie und Todesschwadronen, die auch keinen Deut besser sind. Offenbar sind einige Teilnehmer von Erdowahn so beseelt , dass sie dessen Propagandalügen bedenkenlos nachplappern.
31.07.18
20:45
Johannes Disch sagt:
@grege (31.07.18, 20:45) -- "Offenbar sind einige Teilnehmer von Erdowahn so beseelt, dass sie dessen Propagandalügen bedenkenlos nachplappern." (grege) Den Nagel auf den Kopf getroffen. Danach sieht es tatsächlich aus. Der Knabe höhlt zu Hause die Demokratie immer mehr aus-- die Fans klatschen trotzdem und geben ihm immer mehr Vollmachten (Präsidialsystem, Wahl des Präsidenten für 15 (!) Jahre, etc.).
01.08.18
12:38
Johannes Disch sagt:
@Zum Kurden-Konflikt in der Türkei: Dass die Türkei auf ihre nationale und territoriale Einheit pocht, das ist nachvollziehbar und legitim. Die Türkei kann keinen eigenen Kurden-Staat zulassen. Das ist einer der wenigen Punkte, wo ich noch mit Erdogans Politik D´accord gehe. Allerdings kann man über die Wahl der Mittel streiten. Alleine mit Gewalt und Repression wird man das Problem nicht lösen. Es gab mal einen Erdogan, der einen anderen Kurs gefahren hat. Er suchte den Dialog mit den Kurden und gewährte ihnen eine gewisse Autonomie. Das hat sich spätestens seit 2015-- als die AKP bei den Wahlen die absolute Mehrheit verlor-- geändert. Erdogan ist ohne Frage ein politisches Talent. Leider setzt er sein Talent inzwischen kontraproduktiv ein. Der Mann war mal eine Hoffnung, und zwar für die Türkei und für Europa. Das ist leider vorbei. Schade.
02.08.18
6:19
Johannes Disch sagt:
@Erdowahn hat fertig! Die türkische Wirtschaft ist im freien Fall! Siehe: "Erdogan stürzt sein Land in die Krise." ("DIE WELT", 06.08.2018)
08.08.18
2:32
Charley sagt:
@Johannes Disch: Besten Dank für ihre tapfere Sachlichkeit! In der ganzen Debatte hier wird einiges durcheinander geworfen. Und dieses Durcheinanderwerfen hat Methode! Wer "Respekt" fordert und dabei doch nur in seiner Eitelkeit hofiert werden will, der hat eine bestimmte Selbstreflektion nicht geleistet! Und solches und ähnliches erlebe ich, auch in der täglichen Begegnung mit Muslimen immer wieder. Nicht im ganz Persönlichen, das kann warmherzig und nett sein, aber sobald sich diese als Muslime, als Türken und ähnliche Gruppenzugehörigkeiten verstehen, dann kommt so eine rätselhafte Steifheit der Person auf, die bei mir Mitleid, Schweigen und z.T. Agression hervor ruft. Und man kann hier in den Foren reihenweise beobachten, wie es z.T. schlichtweg an Wissen über historische Vorgänge oder auch politische Realität geht. Nun, Türken haben auch ihre "Fox-News". Özil ist dämlich, das ist die für mich einzig mögliche Erklärung dafür, dass er tatsächlich "unpolitisch" gemeint haben könnte. Ansonsten ist er frech! Aber das liegt oft auch bei steifem, eitlem Stolz, für den manche eben (s.o.) "Respekt" fordern. Respekt kommt ganz anders zustande: In der Begegnung, im Austausch der Personen, nicht im Einigeln in einer Parallelgesellschaft. Gündogan war da ehrlicher: Für eine Absicherung seiner Millionen-Investition in der Türkei nennt er schon mal gern jemanden "seinen Präsidenten", der gar nicht sein Präsident ist.
08.08.18
13:34
Charley sagt:
Zu: Johannes Disch sagt: @Erdowahn hat fertig! Die türkische Wirtschaft ist im freien Fall! Aber wie sein Geistesbruder Trump hat auch Erdogan Methode: Kampf gegen die freie Presse. Und entsprechend unwidersprochen wird er den Schuldigen finden in den Sanktionen der USA. Da hat er klug vorgearbeitet mit Andrew Brunson .... Selbstreflektion, und sei es durch eine lebendige kritische Presse im eigenen Land, will er nicht!
08.08.18
13:38
Johannes Disch sagt:
@Prinzessin Rosa (25.07.18, 15:27) Ja, ich kann auch deftig, wenn es sein muss! Oder wenn ich mich über etwas aufrege! Aber reflektiert gefalle ich mir besser. Ich verstehe aber nicht, was an meinen Ausführungen unterirdisch sein soll? Özil hat sich einfach unglaublich naiv verhalten.
09.08.18
14:26
Johannes Disch sagt:
@Charley (08.08.18, 13:34) Danke für das Lob. Ich bemühe mich. Völlig richtig, in dem Fall durcheinander gebracht. Und das hat tatsächlich Methode. Erstaunlicherweise kam Gündogan recht glimpflich aus der Sache raus, obwohl sein Statement sehr nichtssagend war. Aber bei Gündogan kann ich das alles noch nachvollziehen. Dass man sieben Euro, die man in die Türkei investiert hat, nicht einfach so den Bach runter gehen lassen will, das ist verständlich. Aber Özil war einfach nur naiv. Und sich jetzt über Rassismus zu beschweren, das ist einfach nur peinlich und weinerlich. @Zur Wirtschaftskrise in der Türkei (Ihr Post vom 08.08.18, 13:38) Sicher, es hat Methode, dafür irgendwelche dunklen Mächte verantwortlich zu machen. Aber die Masche wird nicht mehr lange ziehen. Was der türkische Wähler nicht geschafft hat, das schafft nun die globale Ökonomie: Erdogan zur Räson zu bringen. Die Türkei ist viel zu abhängig von ausländischem Kapital, als dass man es sich mit dem Westen verscherzen könnte. Lenkt Erdogan nicht bald ein, dann droht sogar der Staatsbankrott. Und spätestens dann werden die Erdowahn-Jubler merken, wie nackt ihr Möchtegern-Sultan in Wahrheit ist. Die Inflation kann er nicht einsperren. Gegen die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie ist auch Erdogan machtlos und wird sich ihr beugen müssen, will er nicht völlig den Bach runter gehen.
09.08.18
16:49
Johannes Disch sagt:
Außer Repression und Zensur fällt Erdogan nichts mehr ein. Jetzt werden Accounts im Netz gesperrt von Leuten, de seine Wirtschaftspolitik kritisieren. Das sind laut Recep Tayyip E. "Wirtschaftsterroristen." Seine Ideen zur Bekämpfung der Krise sind wahrlich revolutionär: Er will die Inflation mit niedrigen Zinsen bekämpfen. Ah da schau her! Darauf muss man erst mal kommen. Ein wahrer Weltökonom, der Recep Tayyip E. Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Er appelliert an die Nation und an Gott. Darüber spotten schon die ersten Landsleute: "Allah wird unsere Schulden wohl nicht bezahlen. Und der Koran wird uns nicht nutzen, steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür." (Nachzulesen gestern in der "SZ": "Bewährungsprobe für das System Erdogan.") Ach, seinem Aufruf, Devsen in türkische Lira umzutauschen, folgen die Türken auch nicht. Die machen es genau umgekehrt. Wenns um die eigene Kohle geht, dann hört offenbar auch der "Erdowahnismus" auf. Gut so. Warum geht denn der Recep Tayyip E. nicht an seine Schweizer Konten, geht als Vorbild voran und tauscht seine Dollars und Euros und Schweizer Franken in türkische Lira um? Am Bosporus gehen die Lichter aus! Erdogan hat fertig!
13.08.18
21:45
Johannes Disch sagt:
Götterdämmerung am Bosporus: -- "Die Irrfahrt des Größenwahnsinnigen." ("DIE WELT", 15.08.2018)
15.08.18
15:55
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