Neutralitätsgesetz

„Das Urteil drängt muslimische Frauen an den Rand der Gesellschaft“

Eine Lehrerin klagte gegen das Berliner Arbeitsgericht, weil sie mit Kopftuch an einer Grundschule unterrichten wollte. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage ab. Während Berlin am Neutralitätsgesetz festhält, kritisieren Muslime diese Entscheidung.

11
05
2018
Urteil
Symbolbild: Gericht, Urteil © shutterstock

In Berlin bleibt es vorerst beim Kopftuchverbot für Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen. Das Arbeitsgericht in der Hauptstadt wies am Mittwoch die Klage einer muslimischen Grundschullehrerin ab, die mit Kopftuch vor der Klasse stehen wollte. Mit dem Urteil bestätigte das Gericht das Berliner Neutralitätsgesetz. „Es ist gültig, es ist nicht verfassungswidrig, es ist anzuwenden“, sagte Richter Arne Boyer. Die Klage sei unbegründet. Eine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ist möglich.

„Wir sind vom Ergebnis überrascht“, erklärt Handan Yazıcı, Vorsitzende der Frauenorganisation der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), auf Anfrage von IslamiQ. Die rechtliche Lage war gerade in Berlin sehr eindeutig. Auch deshalb glaube ich, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen sei.

„Der Richterspruch ist auch deshalb enttäuschend, weil es muslimischen Frauen ein faktisches Berufsverbot auferlegt und sie an den Rand der Gesellschaft drängt. Mit diesem Gedanken können wir uns in unserer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft nicht anfreunden“ so Yazıcı weiter.

Desgleichen zeigte sich Zeynep Cetin, Projektleiterin des Netzwerkes gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit, enttäuscht und sagte, dass sie traurig sei, erneut den Weg durch die Instanzen gehen zu müssen, obwohl das BVerfG pauschale Kopftuchverbote schon 2015 nicht für rechtkonform erklärt hätte.

Rot-rot-grüne Koalition zeigt sich uneins

Das Gesetz untersagt Berliner Polizisten, Lehrern an allgemeinbildenden Schulen und Justizmitarbeitern, religiös geprägte Kleidungsstücke im Dienst zu tragen. Die rot-rot-grüne Koalition ist in der Frage jedoch uneins. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) wollen an dem Gesetz festhalten. Scheers zufolge seien Schulleitungen der Meinung diese Form der religiösen Beeinflussung verhindert zu müssen. Schließlich sagt sie: „Wenn ich eine Lehrkraft mit Kopftuch vor mir habe, ist das nicht neutral“

Die Grünen und Teile der Linken sind einer anderen Auffassung und wollen das Neutralitäts-gesetz überarbeiten. Sie wollen, dass geklärt wird, „ob das Berliner Neutralitätsgesetz nach der Rechtsprechung noch rechtskonform ist oder nicht“. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
„Der Richterspruch ist auch deshalb enttäuschend, weil es muslimischen Frauen ein faktisches Berufsverbot auferlegt“ Das Kopftuch ist nicht angewachsen. Man kann es problemlos abnehmen. Muslimische Männer tragen auch keines. Leute, für die religiöse und politische Kleidungsstücke einen höheren Stellenwert haben als innere Werte und ethische Ideale, begeben sich selbst ins berufliche Abseits. Das ist Selbstausgrenzung! Die Bekämpfung eines starren ideologischen Bekleidungsdogmatismus ist der wahre Feind von erfolgreichen Karrierechancen. Bekämpfen wir ihn gemeinsam mit vereinten Kräften!
11.05.18
18:01
Johannes Disch sagt:
Es ist richtig und notwendig, durch alle Instanzen zu gehen, damit über dieses Gesetz endlich Klarheit herrscht. Es belastet die Landesregierung Berlin, wo 2 von 3 Partnern (Grüne und Linke) das Gesetz in Zweifel ziehen. Es belastet die Schulen. Und vor allem belastet es die muslimischen Lehrerinnen, die dadurch de facto einem Berufsverbot erliegen. Die Ausführungen des urteilenden Richters Boyer sind sehr widersprüchlich. Dass das Land Berlin nicht anders entscheiden konnte, da es sonst seinem eigenen Gesetz zuwidergehandelt hätte, das ist in sich schlüssig. Zweifelhaft ist allerdings die Aussage des Richters, das Gesetz wäre nicht verfassungswidrig und im nächsten Satz zu sagen, zweifelsfrei und endgültig könne das aber nur das Verfassungsgericht feststellen.. Warum hat der Richter es dann selbst entschieden, statt es gleich nach Karlsruhe weiterzuleiten, was ihm nach Art. 100 GG möglich gewesen wäre??
11.05.18
21:37
Johannes Disch sagt:
Am 24. Mai geht es bereits wieder weiter. Dann ist eine andere Klage der Person in Verhandlung, nämlich die nach einer Entschädigung. Da ist eine andere Kammer zuständig. Gut möglich, dass das Urteil da schon wieder anders lautet, Ach, etwas skurriles am Rande: -- Richter Boyer ging in einem Gespräch nach seiner Verkündung davon aus, dass das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung kassieren dürfte." ("Der endlose Streit um ein Stück Stoff" -- Berliner Morgenpost, 09.05.18) Ein Richter, der schon kurz nach der Verhandlung davon ausgeht, dass sein Urteil wieder einkassiert wird...--Darüber kann man nur den Kopf schütteln! Das Berliner Neutralitätsgesetz-- das übrigens bereits vor 13 Jahren in Kraft trat, also lange vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015, das ein pauschales Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärte-- wird langsam wirklich zu einer Posse
11.05.18
22:51
Kritika sagt:
L.S. „ Der Richterspruch ist auch deshalb enttäuschend, weil es muslimischen Frauen ein faktisches Berufsverbot auferlegt und sie an den Rand der Gesellschaft drängt. " ? ? Nonsense ! Ein unabhängiges Gericht hat lediglich Vorschriften erlassen über ein Verbot von Werbung für Sekten, inclusive eine recht schillernde Sekte. Und das ist gut so. Alle Frauen können weiterhin - - Qualikation vorausgesetzt - - jeden Beruf ausüben. Sie müssen sich nur nach Recht und Gesetz richten. Aber war das mit dem Recht und Gesetz nicht auch schon immer so?? Es stehen auch kopfsture Frauen weiterhin viele Berufe offen zB Verkäuferin in einem Gemüse-Geschäft unter Türkischer- Tief- Schwer Muslimischer Führung. Und wer würde behaupten, dass GemüseVerkäuferin ein Beruf ' an den Rand der Gesellschaft' wäre? Na also. Gruss, Kritika
12.05.18
0:37
Enail sagt:
In unserem Land wird kritisiert, weil Söder in öffentlichen Gebäuden Kreuze aufhängen will. Und Muslime klagen, weil sie vor Schulkindern nicht mit einem Tuch auf dem Kopf, der ihre Religionszugehörigkeit preisgibt, unterrichten dürfen. Es ist unglaublich was da alles falsch läuft in unserem Land. Dass die Grünen das Kopftuch tragen unterstützen ist nicht weiter verwunderlich. Denn man weiß ja was sie von unserem Land halten, dessen Veränderung sie herbei sehnen. Ich frage mich nur, wann das angefangen hat, dass man sich an Kreuzen an der Wand störte. Und wann man damit angefangen hat, dass man zum Unterrichten anscheinend ein Kopftuch braucht. Ja, das ist der tolerante Islam, der sich schon an Kronkorken auf einer Bierflasche stört. Einfach krank!
12.05.18
23:31
Johannes Disch sagt:
@Enail (12.05.18, 23:31) Das Vorhaben Söders und die Problematik des Kopftuchs sind nicht vergleichbar. Das Kopftuch ist ein individueller Ausdruck des Glaubens. Grundrechte hat nicht der Staat, sondern Individuen sind Träger von Grundrechten. Darunter fällt auch das Grundrecht auf Religionsfreiheit. Söder jedoch möchte das Kreuz in alle Amtsstuben hängen. Damit würde sich der Staat zu einer bestimmten Religion bekennen, was er nicht darf. Der Staat hat keine Religion.
15.05.18
10:45
Manuel sagt:
Wieso Berufsverbot, sie muss doch einfach nur ihr Kopftuch ablegen und schon ist alles gut, was ist da bloß so schwierig, geht doch bei anderen Religionen auch, der Islam meint wirklich er sei was besonders. Wenn ich in Berlin lebe und dort in den Stadtdienst treten will, dann habe ich mich eben anzupassen, fertig. Ich muss mich auch an die islamische Gesetze anpassen, wenn ich in ein islamisches Land fahre. Diese Militanz die hier von den kopftuchträgerinnen auftritt, ist wirklich langsam unerträglich, wir sind hier in KEINEM islamischen Land, unsere interessieren deren Gesetze nicht, fertig.
15.05.18
18:37
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Zur Posse wird Ihr ständiges Verteidigen eines tiefreaktionären Dogmas.
15.05.18
18:39
grege sagt:
Das Urteil beweist einmal mehr, dass über das Kopftuch selbst unter juristischen Experten sehr kontrovers geurteilt wird. Von daher gibt es gute Gründe gegen das Tragen vom Kopftuch und sonstigen religiösen Symbolen zu argumentieren ohne sich dem Vorwurf des Rechtsextremismus auszusetzen.
17.05.18
22:52
Johannes Disch sagt:
Es gibt meines Erachtens wesentlich mehr Argumente gegen ein Kopftuchverbot als dafür. Wir glauben, wir könnten über ein Kopftuchverbot Radikalisierung verhindern und Integration fördern. Beide Annahmen sind falsch. Wir kämpfen die falschen Schlachten. Der inzwischen nun bereits genau 20 Jahre andauernde Zwist um das Kopftuch zeigt vor allem eines: Dass dieses Land inzwischen komplett unfähig ist, ein verhältnismäßig einfaches Problem zu lösen.
22.05.18
13:59
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