Hinz und Kunst

„Kunst als Mittel, soziopolitische Themen zu kritisieren“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Muslimische KünstlerInnen nutzen die Freiheit und zeigen deutlich: Wir gehören zu Europa. Heute mit dem Calligraffiti-Künstler Calimaat.

29
11
2017
Der Calligraffiti-Künstler Calimaat aus Österreich.

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Calimaat: Mein Künstlername ist Calimaat. Ich bin 25 Jahre alt und habe Graphikdesign in Wien studiert. Seit drei Jahren beschäftige ich mich mit der Calligraffiti und bin – meines Wissens nach -auch der erste Calligraffiti-Künstler in Österreich.

„Calligraffiti“ ist eine neue Kunstform, bei der man Elemente von Kalligrafie und von Graffiti miteinander verbindet.

IslamiQ: Was möchtest Du mit deiner Arbeit bewirken?

Calimaat: Viele werden jetzt eine klassische Antwort erwarten, im Sinne eines Brückenbaukonzepts zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Ich denke aber, dass diese Brücken schon vorhanden sind, es geht nur noch darum diese Brücken weiter zu stärken. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe den Islam zu rechtfertigen, in dem ich die Kunst mit dem Islam verbinde, um einen Raum für Dialog zu schaffen. In meiner Arbeit geht es mir viel mehr darum vorhandene Stereotype zu reduzieren. Insbesondere beschäftige ich mich mit historischen Figuren und versuche ihre Sichtweise in die heutige politische und soziokulturelle Lage zu assoziieren. Dies verdeutliche ich mit der Kunst der Calligraffiti.

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Calimaat: An sich hat die Kultur und die Religion einen starken Einfluss auf die Kunst. Mein primäres Ziel ist es aber nicht meinen Background darzustellen, sondern Menschen zu etwas bewegen, indem ich ihnen meinen Blick auf die Gesellschaft offenlege. Ich habe beispielsweise das Gefühl, dass der Westen alles verwestlicht, deshalb habe ich mich in meiner letzten Serie „Klassik“ dazu entschieden die westliche Kunst zu orientalisieren. Hierzu habe ich die Monumentalstatue „David“ von Michelangelo angezogen und Zeus als Beduinen dargestellt und sie mit meiner Kalligraphie verziert.

Die Bilder finden sich auf der Homepage des Künstlers Calimaat.

Die Resonanz auf meine Arbeit fällt immer unterschiedlich aus. Einmal hagelte es Kritik, da ich vermeintliche Koranverse auf dem Boden gesprüht haben soll, doch handelte es sich dabei nur um ein Zitat von Khalil Gibran in arabischer Schrift.

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Calimaat: Je mysteriöser die Kunst und damit einhergehend der Künstler gehalten wird, desto interessanter wird sie. Deshalb versuche ich meine Arbeit in den Vordergrund zu stellen und nicht meine Person. Auch wenn ich praktizierender Muslim bin und die Kalligraphie im Islam eine wichtige Rolle spielt, verfolge ich mit meiner Arbeit weder eine politische noch eine religiöse Agenda. Doch sehe ich die Calligraffiti als Mittel soziopolitische Themen wie die Bildung, die Armut und auch Teile der Politik zu kritisieren und auf sie aufmerksam zu machen. 

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende anti-islamische Stimmung in Europa. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt? 

Calimaat: Mit 13 Jahren wurde ich vor der ganzen Klasse bloßgestellt, weil ich Graphikdesign studieren wollte und meine Lehrerin in mir nicht dieses Potenzial gesehen hat, da ich qua meiner Herkunft dazu nicht im Stande sei. In der Schulzeit wurde ich also des Öfteren Diskriminierungen ausgesetzt, doch habe ich diese als solche erst wahrgenommen, als ich auch angefangen habe den Islam zu praktizieren.

Mittlerweile kommen immer wieder neue Fragen und Debatten auf, wie beispielsweise über den Begriff Heimat. Wir sollten aufhören über solche und ähnliche Fragen zu debattieren. Ich bin multikulturell aufgewachsen, was ich bei der Verarbeitung von Klischees als Vorteil sehe.

IslamiQ: Denkst Du, dass der Islam zu Europa gehört? Wieso?

Calimaat: Um ehrlich zu sein, ist es die schwachsinnigste Debatte, die überhaupt geführt wird. Ein Blick in die Geschichte Andalusiens zeigt wie erfolgreich und wertvoll der Islam in Europa war. Alle drei Religionen haben miteinander gelebt und voneinander profitiert, das gab es bis dato nicht. Dies wird auch in Sarajevo deutlich, wo eine Moschee und eine Kirche nebeneinander gebaut wurden. Und ganz ehrlich: wären die Migranten nicht nach Europa gekommen, gebe es hier keinen Kebab. Das wäre doch traurig, oder? Fakt ist wir sollten nicht über die Herkunft von Menschen und über Unterschiede sprechen, sondern über die erfolgreichen Schnittstellen. Vielfalt kann schön sein – nicht nur in der Kunst.

Leserkommentare

dj tako sagt:
respect
29.11.17
21:29
Ute Fabel sagt:
Der blutige Krieg in Ex-Jugoslawien wurde ganz wesentlich vom religiös geprägten Ingroup-Outgroup-Denken katholischer Kroaten, islamischer Bosnier und orthodoxer Serben angefeuert. Eine friedensbringende religiöse Kraft konnte ich während des Jugoslawienkriegs nicht erkennen. Die Kalifen in Andalusien haben es im Mittelalter zeitweise mit den islamischen Dogmen nicht mehr so genau genommen. Das war ihre große Errungenschaft, die man aber dem Islam genauso wenig zurechnen kann wie die Errungenschaften der Renaissance in Florenz im 14. Jahrhundert und die kulturelle Blütezeit der Niederlande im 17. Jahrhundert dem Christentum.
30.11.17
11:13
Mareike sagt:
Die Kunstfreiheit gilt für Moslems nur, wenn es darum geht, sie gegen Nichtmoslems durchzusetzen und zu verteidigen. Sobald es um Kunstfreiheit in islamischen Ländern geht, kann davon nicht mehr die Rede sein. So wurde in der Wüste ein zweiter Louvre aufgebaut, der aber gleich einer Zensur unterlag. Akte dürfen dort nicht ausgestellt werden. Wie war das noch mal mit der Kunstfreiheit?
30.11.17
14:36
Harousch sagt:
Kunstfreiheit? Das ist eine heikle Frage, der sich jüngst auch eine breite Kunstöffentlichkeit gewidmet hat und zwar getrieben von der #mee too-Bewegung. Gegenstand dieser Debatte sind einige Meisterwerke, auf denen anrüchige und gewaltverherrlichende Szenen dargestellt werden, welche bisdato unter dem Deckmantel der „Kunstfreiheit“ unantastbar waren. Genau genommen geht es um das Gemälde von Balthus (polnisch-französisch-deutscher Maler) dessen Gemälde „Träumende Therese“ in den Fokus der Kritiker gerückt ist. Auf dem Gemälde ist ein 13-jähriges Mädchen mit angewinkeltem Knie abgebildet, dessen Rock soweit hochgerutscht ist, dass das blütenweiße Höschen frei ersichtlich ist. Der Vorwurf lautet: Herabwürdigung eines jungen Mädchens zum Sexobjekt, gerade zur Zeiten der #me-too-Bewegung. Des Weiteren kommen weitere Künstler, wie zum Beisüiel Gaugin mit seiner 13 jährigem Geliebten, Picasso s Demoiselle d‘avignon (viele unbekleidete Frauen) und viele viele weitere. Bemerkenswert in der Kunstszene ist die Tatsache, dass viel mehr Frauen als Männer nackt abgebildet werden. Hier findet eine sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen statt, zudem findet eine Glorifizierung der sexuellen Ausbeutung statt, die nicht vertretbar u d auf keinen Fall zu tolerieren ist. Unter diesen Umständen sollte auch die Kunst gewisse moralische Wertevorstellungen einhalten und ganz besonders die Menschenwürde unangetastet bleiben lassen... Vor 1000 Jahren war es vielleicht Gang und Gebe, dass ein junges Mädchen mit Anbeginn der Menstruation als heiratsreif eingestuft und für den Heiratsmarkt freigegeben wurde. In den 70-er Jahren hatten einige Mitglieder der Grünen Bündnis 90 ähnliche Ansichten vertreten, welche jedoch nachträglich korrigiert und aus der heutigen Sicht als nicht mehr vertretbar deklariert wurden. Auch zu Zeiten des Propheten Muhammad ist dies Usus gewesen. Das dieser Misstand aus heutiger Sicht nicht vertretbar ist, ist eine vernünftige Entwicklung, welche ebenfalls in der Kunstszene unbedingt Berücksichtigung finden sollte, um dem mächtigen patriarchalischen Strukturen, die es seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte gibt, Einhalt zu gebieten. .
03.04.18
21:26