Moschee-Studie in Österreich

Integrationsverständnis à la Kurz

Die „Moschee-Studie“ des österreichischen Außenministers soll den Integrationsprozess der Muslime wiedergeben. Voreingenomme Wissenschaftler, umstrittene Definitionen und Problematisierungen machen die Studie jedoch nur zu einem weiteren Machtinstrument. Ein Beitrag von Murat Gümüş.

06
10
2017
Bundesminister Sebastian Kurz und kuriose Studien sind kein Novum. Diesmal geht es um Integration. © Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres. (flickr, CC 2.0)
Bundesminister Sebastian Kurz und kuriose Studien sind kein Novum. Diesmal geht es um Integration. © Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres. (flickr, CC 2.0)

Weiter verkennt dieser Ansatz auch, dass es in der Regel nicht die Minderheiten in einer Gesellschaft sind, die soziale Anspannungen hervorrufen, sondern häufig sich auf das Establishment stützende Subjekte, die auf eine irrationale Art und Weise ihre Privilegien durch die Minderheit gefährdet sehen. Besonders gut zu beobachten ist das derzeit in Deutschland und Österreich. In den Wahlkämpfen in beiden Staaten werden die Themenbereiche innere Sicherheit und Ressourcenverteilung häufig im Kontext der Migration behandelt. Kurz ist ein Paradebeispiel hierfür. Immer wieder sieht er sich genötigt, sich zu diesem Themenbereich zu äußern und notfalls von den eigenen Bediensteten manipulierte Studien aufzugreifen, die Muslime in einem schlechten Licht erscheinen lassen, um dann mit Sanktionsdrohungen Stimmung gegen sie zu machen, mit der Absicht, die Unterstützung von ‚besorgten Bürgern‘ zu ergattern. Zahlreiche Studien darüber, dass insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund und darunter vor allem Muslime es auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche besonders schwierig haben, sind als weiterer Beweis in diesem Kontext bedeutend relevant.

Weiter werden vermeintliche Probleme, die durch kollektive Gruppenzugehörigkeiten hervorgerufen werden könnten, hier nur im Zusammenhang von Muslimen problematisiert. Andere religiöse Gruppenzugehörigkeiten wie katholisch, jüdisch, evangelisch oder nationale wie italienisch oder deutsch werden gar nicht angesprochen, weil sie allem Anschein nach nicht als problematisch angesehen werden. Die Loslösung von religiösen oder ethnischen Kollektivgruppen hin zu einer Individualisierung von Identitätsmerkmalen wird nur von Muslimen und Flüchtlingen erwartet, weil wahrscheinlich befürchtet wird, dass gerade ihr ‚Segment‘ zu inneren Anspannungen führen könnte. Diese Herangehensweise und Auffassung ist im hohen Maße erschreckend rassistisch und diskriminierend zugleich.

Nicht außer Acht gelassen werden darf weiter, dass die in politischen oder gesellschaftlichen Debatten besonders angesprochenen und problematisierten religiös oder ethnisch kollektive Zusammenschlüsse nicht immer nur eine Selbstdefinition dieser sind, sondern häufig auch das Resultat einer Zuschreibung durch die Mehrheitsgesellschaft. Es ist allgemein bekannt, dass vor dem 11. September die Markierung ‚Muslim’ kaum Gegenstand gesellschaftlicher oder politischer Debatten war. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Markierung „Ausländer“ Gegenstand politischer Diskussionen. Erst nach dem 11. September kam es zu einem Wandel der Markierung zum ‚Muslim‘.

Die Task Force „Arnold“

All diese und noch weitere Argumente weisen auf ein deutlich verkapptes Integrationsverständnis der Urheber dieser Studie hin, das sämtliche Grundrechte von insbesondere muslimischen Minderheiten in der Wahrung der für sie wichtigen Kollektiveigenschaften ablehnend gegenüber und eine Bereitschaft ankündigt, diese zu ignorieren.

Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob die österreichische Regierung, und darunter insbesondere Sebastian Kurz, eine ähnliche Emanzipation von Auslandsösterreichern erwartet. Schaut man sich die breite Palette an Angeboten Österreichs für Auslandsösterreicher für die Wahrung ihrer österreichischen Identität als Gruppenkollektiv an, wird die Doppelzüngigkeit insbesondere des Integrationsministers besonders deutlich.

Besonders hervorzuheben ist zum Beispiel die Arbeit des Auslandsösterreichischen Weltbundes (AÖWB) [8], die ihre Aufgaben unter anderem wie folgt beschreibt:

  • „Festigung des Gemeinschaftsgefühls aller im Ausland lebenden Österreicher, ehemaligen Österreicher („Herzensösterreicher“) und Freunde Österreichs.
  • Erhaltung der Bindung an die österreichische Heimat.
  • Pflege österreichischen Bewusstseins und österreichischen Kulturguts.
  • Förderung von Zusammenschlüssen von Österreichern im Ausland.“[9]

Zu den Förderern des AÖWB zählen allen voran das Ressort von Sebastian Kurz, das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, das Bundesministerium für Inneres Österreichs und alle österreichischen Bundesländer.[10]

Behindert nun allen voran Sebastian Kurz eine erfolgreiche Integration von Auslandsösterreichern in ihren Wahlheimaten, indem er sie darin unterstützt, ethnisch-kulturelle Gruppenzugehörigkeiten in der Diaspora zu bilden bzw. zu stärken, um so zu inneren Konflikten in der Wahlheimat der Auslandsösterreicher beizutragen?

Nein! Die österreichische Regierung nimmt hier ein gutes Recht für sich in Anspruch und unterbreitet dafür zahlreiche Angebote, will aber gleiche Rechte der muslimischen Minderheit im eigenen Land versagen. Auch dieser Umstand müsste unter dem Gesichtspunkt einer diskriminierenden und machtdiskursorientierten Vorgehensweise gegenüber der sich im eigenen Land befindenden Minderheit gewürdigt werden.

 

 

 

 

 

[1] https://kurier.at/chronik/oesterreich/historiker-der-islam-wird-nach-anderen-kriterien-beurteilt/262.647.440

[2] Ebd.

[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article168696534/Kurz-schliesst-Koalition-mit-rechter-FPOe-nicht-laenger-aus.html

[4] https://www.integrationsfonds.at/news/detail/article/oeif-diskussion-mit-zana-ramadani-und-susanne-raab/

[5] http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Das-Kopftuch-ist-ein-Symbol-wie-wenn-Rechtsradikale-Springerstiefel-tragen-id41156581.html

[6] https://www.integrationsfonds.at/news/detail/article/oeif-delegationsbesuch-bei-seyran-ates-in-berlin/

[7] Seite 14 der Studie

[8] http://www.weltbund.at/pdf/Satzung.pdf

[9] http://www.weltbund.at/ueber_uns_ziele.asp

[10] http://www.weltbund.at/ueber_uns_foerderer.asp

Leserkommentare

Manuel sagt:
Nein, die Ablehnung des erzkonservativen bzw. politischen Scharia-Islams! Den sowas brauchen wir hier in Europa nicht! Wenn es Moslems gibt, die meinen aus sexistischen Gründen Frauen nicht die Hand geben zu müssen, muss dagegen vorgegangen werden. Wenn es Moslems gibt, die meinen für sie gelte die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht, dann muss dagegen vorgegangen werden. Wenn es Moslems gibt, die meinen ständig anderen ihre mittelalterliche Sexualitätsvorstellung und andere mittelalterliche Dogmen aufzwingen wollen, dann muss dagegen vorgegangen werden. Wenn es Moslems gibt, die meinen, im Namen der Religion Rassismus zu betreiben, muss dagegen vorgegangen werden, PUNKT!
06.10.17
19:24
grege sagt:
In jedem europäischen Land mit einem signifikanten Anteil von Muslimen gibt es Probleme im Umgang mit der muslimischen Community. Und jedes sind immer die anderen Schuld, die deutschen, die Österreicher, Engländer, Franzosen, Belgier. Diese Haltung zeigt überdeutlich die fehlende Kritik- und Reflexionsfähigkeit von solchen Muslimen wie dem Autor dieser Studie auf. Ebenso wird in dem Artikel das eigentliche Ergebnis dieser Studie verschwiegen, wieso einige Moscheen die Integration behindern. Ähnlich wie im Falle der Untersuchung von Constantin Schreiber müsste die Selbstkritik verantwortlicher Islamvertreter mit entsprechenden Folgemaßnahmen greifen. Aber hier fehlt der Mut zum Eingeständnis.
07.10.17
20:55
Automatisch sagt:
@Manuel: Haben Sie den obigen Text schon einmal gelesen? Anscheinend fügen Sie Ihre standardisierte Kommentare einfach hier ein, ohne zu wissen, was Sie genau kommentieren.
08.10.17
15:30
Johannes Disch sagt:
@grege (Ihr Post vom 07.10.2017, 20:55) So, in jedem europäischen Land, wo Muslime auftreten gibt es Ärger? Ich habe vielmehr den Eindruck, dass immer mehr um das Abendland besorgte Islam-Hysteriker inzwischen jedes Anliegen von Muslimen reflexhaft als Anmaßung und Zumutung empfinden. Muslime gehören zu unserer Gesellschaft und es ist ihr gutes Recht, ihre Interessen zu vertreten und ihre Anliegen zu formulieren, so wie es jeder anderen gesellschaftlichen Gruppierung zusteht. Und wir entscheiden dann gemeinsam im gesellschaftlichen Diskurs, ob wir dieses Anliegen umsetzen. Dass sich Muslime zu der im Artikel erwähnten Studie kontrovers und kritisch äußern dürfte kaum verwundern. Schließlich sind sie das Thema der Studie.
09.10.17
19:45
Johannes Disch sagt:
@Murat Gümüs Viele zentrale Annahmen und Schlussfolgerungen der Studie sind aber richtig. (Ethnische und religiöse) Kollektive kann man nicht integrieren. Integrieren kann man nur Individuen. Und so sind auch unsere Grundrechte zu verstehen. Es sind Inidividualrechte und keine Kollektivrechte. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich diese Menschen nicht kollektiv organisieren dürfen. Das dürfen sie natürlich. Es kommt aber darauf an, wie sie ihre Identität verstehen. Und da ist es nun mal leider so, dass viele Muslime in Europa sich noch immer in erster Linie über ihre Religion definieren und nicht über die säkularen Werte des Gemeinwesens, in das sie einwandern. Und sie verstehen sich nicht als individuell Gläubige, sondern zugehörig zu dem Kollektiv der "Umma", der (fiktiven) Gemeinschaft der Muslime. In der historischen Realität hat es solch eine "Umma" nie gegeben. Aber grade die großen Islam-Verbände halten diese Fiktion der "Umma" noch immer aufrecht. Und was die Definition des Begriffes "Integration" angeht, so lässt sich das recht leicht beantworten. "Integration" meint Eingliederung in ein Gemeinwesen. Und eine erfolgreiche Integration bedeutet,--kurz gefasst-- dass man sich an den säkularen Werten des Gemeinwesens orientiert und diese teilt. Ich hab an Sebastian Kurz einiges auszusetzen. Aber diese Studie macht Sinn. Und wenn sich Herr Gümüs daran stören sollte, dass die Studie das Individuum in den Mittelpunkt stellt und nicht das Kollektiv: Das hat seinen Grund in der "kulturellen Moderne". In der Aufklärung. Die Aufklärung hat das Individuum in den Mittelpunkt gestellt. "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen." Diese revolutionäre Aufforderung von Immanuel Kant erging an das Individuum und nicht an Kollektive. Der individuell Gläubige (Muslim, Christ, etc.) ist der Adressat der Integration. Und nicht seine Moscheegemeinde oder seine "Umma." Wohin Kollektividentitäten führen, das kann Herr Gümüs in Duisburg-Marxloh sehen oder in Berlin-Neukölln oder in den Pariser Banlieus oder in einem indischen Bundesstaat, dessen Name mir grade nicht einfällt (Ich liefere ihn nach). Dort hat man vor ca. 10 Jahren ein Experiment gemacht und unter dem Einfluss der Ideologie des "Kommunitarismus" der muslimischen Gemeinde ein Sonderrecht, ein Kollektivrecht eingeräumt. Die durften ihre Angelegenheiten nach der Scharia regeln und waren nicht (mehr) an das indische Recht gebunden. Das Ergebnis waren parallele Rechtssysteme, Rechtschaos und Mord und Totschlag. Man hat dieses Experiment glücklicherweise recht schnell wieder beendet. Also, es ist absolut richtig, bei Fragen der Integration das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen!
09.10.17
21:48
Johannes Disch sagt:
@Murat Gümüs Das Wichtigste in aller Kürze noch einmal zusammengefasst: Dass der Fokus der Integration auf das Individuum gelegt wird und nicht auf das Kollektiv ist eine legitime und absolut notwendige Schwerpunktbildung. Das autonome rationale Individuum ist der Kern der Aufklärung und der Kern des westlichen Verständnisses von Freiheit und Staatsbürgertum. Unsere Grundrechte sind Individualrechte und keine Kollektivrechte. Nur Individuen kann man integrieren, und keine (ethnischen oder religiösen) Kollektive. Leider binden Muslime ihre Identität oft noch an eine (fiktive) "Umma" (Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen). Und die großen islamischen Verbände fördern diese Kollektividentität. Dass Herr Gümus in der Forderung nach individueller Integration ein Problem sieht, das offenbart einen grundlegenden Konflikt zwischen westlich-säkularem und islamischen Denkens. Der Islam kennt keine Individualidentität bzw. sie ist nur äusserst schwach ausgeprägt. Das müssen Muslime (noch) lernen, wollen sie wirklich ganz im Westen ankommen: Es geht um den individuell gläubigen Muslim, und nicht um ein "Umma"-Kollektiv. Das Konzept des säkularen/laizistischen Westens ist der "Citoyen" / der Staatsbürger--- und nicht irgendein wie auch immer geartetes ethnisches oder religiöses Kollektiv. Wem gilt primär die Loyalität? Dem säkularen Staat, in den man sich integrieren möchte oder einem religiösen Kollektiv? Das ist die Gretchenfrage! Und die Antwort für erfolgreiche Integration kann nur lauten: Sie hat dem säkularen Rechtsstaat zu gelten! Ach, und der Eiertanz um eine Definition des Begriffes "Integration" lässt sich leicht auflösen. Integration meint Eingliederung in ein Gemeinwesen.
10.10.17
11:32
Manuel sagt:
@Automatisch: Ja sobald es einmal kritische Stimmen zum Islam gibt, wird nichts unversucht gelassen, sofort jeder Studie die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, darüber sollten SIE einmal nachdenken, bevor Sie meinen andere Ratschläge zu geben.
10.10.17
18:23
grege sagt:
@ Herr Disch, unbewusst offenbaren Sie sich wieder als Wahlkampfhelfer der AFD. Kritik am Islam oder dem Verhalten von Islamvertretern wird in Hetze und Feindseeligkeit umgedeutet. Genau hier reißen Sie bzw. andere Personen mit dieser Fehlbetrachtung eine Flanke auf, die dem Rechtspopulismus Tor und Tür öffnet. Selbstverständlich können Muslime wie andere Minderheiten sich für ihre Anliegen engagieren. Aber die Art und Weise, wie Islamvertreter hier agieren, ist m.E.kritikwürdig. Diese Äußerung dieser Kritik steht jedem hier in diesem Lande zu, ohne sich pauschal dem Vorwurf des Rechtspopulismus oder gar des Rechtsextremismus auszusetzen. Dass Islamkritiker in diesem Land hier um ihr Leben fürchten müssen, kommt leider nicht von ungefähr. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Länder mit einem signifikanten muslimischen Bevölkerungsanteil.
17.10.17
20:14
Johannes Disch sagt:
@grege (Ihr Post vom 17.10.17, 20:14) -- "Unbewusst offenbaren sie sich wieder als Wahlhelfer der AfD" ("grege" über mich) Wenn ein Text schon mit "unbewusst" beginnt... Lassen Sie lieber die Küchenpsychologie. Ich tue die Dinge sehr bewusst. Kurz hat im Wahlkampf keine Islam-Kritik betrieben, sondern auf polemische und unverantwortliche Art und Weise Stimmung gemacht gegen Muslime.
20.10.17
13:03
Johannes Disch sagt:
Die österreichische Journalistin Alexandra Förderl-Schmid hat es prima auf den Punkt gebracht: "Die Wahl in Österreich hat gezeigt, dass man mit Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie prima auf Stimmenfang gehen kann. Der Rechtspopulismus ist in allen Kreisen salonfähig geworden." Das gilt leider nicht nur für Österreich, sondern in gewissen Maß inzwischen auch für Deutschland. Und schuld daran sind in nicht geringem Maße gewisse "Islamkritiker", die das Thema auf eine undifferenzierte polemische Weise ausschlachten. An erster Stelle zu nennen wäre da der narzisstische weinerliche "Islamkritiker" Hamed Abdel-Samad, der mit Vorliebe bei der AfD auftritt, und das sogar beim Kreisverband der AfD in Dachau. Wirklich sehr geschmackvoll. Leute wie Abdel-Samad sind die Wahlhelfer der AfD. Und zwar nicht unbewusst, sondern sehr bewusst und voller Absicht.
20.10.17
13:12
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