EuGH-Urteil zum Kopftuch am Arbeitsmarkt

Kopftuch-Urteil: „Ein Schlag gegen die Selbstbestimmung“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass das Tragen eines Kopftuchs unter Umständen verboten werden könnte. Die österreichische Philosophin Amani Abu Zahra zeigt die Widersprüchlichkeit der Verbotspolitik und den fortlaufenden Anerkennungskampf von Europas Musliminnen auf.

24
03
2017
Amani Abuzahra
EuGH-Urteil zum Kopftuch am Arbeitsmarkt über das EuGH-Urteil zum Kopftuch am Arbeitsmarkt © Amani Abuzahra, bearbeitet by iQ.

Wieder steht die Kleidung der Frau im Fokus und einmal mehr die der Muslimin! Eine Debatte der Verbotspolitik jagt die nächste. Von Kopftuch zu Burka über Burkini sind wir – wie erwartet – nun wieder beim Kopftuch angelangt. Aktuell beschäftigen wir uns europaweit mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Kopftuch am Arbeitsmarkt, als Reaktion auf Klagen zweier Musliminnen aus Frankreich und Belgien, denen die jeweilige Arbeitsstelle gekündigt wurde. Was bewirkt dieses Urteil? Welchen Eindruck hinterlässt es bei Musliminnen?

Das Tuch als Politikum

Als Muslimin wird Frau samt ihrer Bekleidung zum Spielball der Politik. Denn es scheint als würde Religionsfreiheit, Gleichheit zwischen Mann und Frau, Zugang zum Arbeitsmarkt, Integration in die Gesellschaft und vieles mehr mit der Kleidung der Muslimin ausverhandelt. Als ob das Tragen (oder Nicht-Tragen) des Kopftuchs der Maßstab misslungener (oder gelungener) Integration schlechthin sei. Des Weiteren dient das Tuch und vor allem die Trägerin, als eine Projektionsfläche für die gegenwärtig geführten Islamdebatten. Auf viele Assoziationen zu Islam darf sich dann die sichtbare Muslimin gefasst machen – in Form von Fragen, Vorwürfen, Unterstellungen – und vor allem Gesetzen und Politiken, wie das aktuelle Urteil demonstriert.

Wessen Selbstbestimmung?

Mit dem aktuellen Urteil des EuGH erfahren Musliminnen einen Schlag gegen ihre Selbstbestimmung und ihr Recht auf Selbstverwirklichung am Arbeitsmarkt. Europas Musliminnen sind gebildet, reflektiert, nehmen ihre Rechte in Anspruch und suchen gemäß ihrer Ausbildung einen Platz am Arbeitsmarkt, der ihnen zusteht. Doch dies wird ihnen nun noch mehr erschwert denn je. Denn der Arbeitgeber hat die Möglichkeit auf qualifizierte Frauen zu verzichten, statt ihnen die Freiheit zu lassen, selbst ihre Kleidung zu wählen. Hier werden einige Widersprüche sichtbar. Denn zum einen herrscht das stereotypische Bild im Kopf, dass muslimische Frauen unmündig und ungebildet seien und sich in erster Linie um Kind und Haushalt kümmern. Tritt  sie aber in Erscheinung, als das Gegenteil, nämlich gerüstet mit Ausbildung und Eloquenz am Arbeitsmarkt, wird eine Linie gezogen die sie mit einem Tuch auf dem Kopf nicht mehr überschreiten darf.

Ein weiterer Widerspruch ist der Umgang mit Selbstbestimmung, ein hoch gehaltener Wert Europas. Im aktuellen Diskurs um die offene und freie Gesellschaft steht (scheinbar) kaum ein anderer Wert so hoch im Kurs, genauso wie die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Darauf sei man stolz, dies wisse man zu schätzen, so der Tenor in unseren Breitengraden. Blickt man jedoch genauer, so wird sehr schnell sichtbar, dass es einige Herausforderungen gibt, die es nach wie vor in Angriff zu nehmen gilt, wie zum Beispiel die ungleiche Entlohnung trotz selber Arbeitstätigkeit oder der unsere Gesellschaft bis in die Spitzen formende Sexismus.

Unmittelbar damit verbunden ist die Selbstverwirklichung für Frauen. Genau sie wird jedoch aktuell durch dieses Urteil beschnitten, das einem Verbot gleich kommt wenn man es in der schlechtesten Variante liest. Und in der momentanen Stimmung, in der Rechtspopulisten im Vormarsch sind, gibt es viele Gründe das Urteil in seiner schlechtesten Variante zu lesen.

Sehr oft wird als Argument hervorgebracht, dass durch ein Kopftuchverbot Musliminnen erst recht empowert werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn man entzieht der Mehrheit der betroffenen Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt und dadurch auch die Möglichkeit auf ökonomische Unabhängigkeit. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Selbstverwirklichung der Frau und für ein selbstbestimmtes Leben.

Die Krux mit der Neutralität

Ein weiteres Argument, es solle religiöse, politische und weltanschauliche Neutralität in der Firma vorherrschen, wenn dies der Arbeitgeber so wünscht, erzeugt viele Fragezeichen. Denn wie sieht denn eine neutrale Form des Lebens- bzw. Kleidungsstils aus? Das deutet doch vielmehr daraufhin, dass ein bestimmter Lebens- oder Kleidungsstil zur Norm auserkoren und dieser dann für neutral erklärt wurde. Alles, das abweicht, ist somit nicht neutral. Was ist dann eigentlich mit der Weihnachtsdekoration in der Firma?

Wie konsequent wird bzw. kann Neutralität überhaupt gehandhabt werden? Denn aktuell entbrannt in Österreich erneut die Debatte um das Kreuz in öffentlichen Institutionen und hier war der politische Tenordahingehend, dass sie weiterhin bleiben sollen. Das zeigt doch die Krux mit der Neutralität, denn wo beginnt und wo endet diese? Wie konsequent geht man dies an und vor allem wer definiert Neutralität? Um einer Gesellschaft der Pluralität gerecht zu werden sollten, allen Weltanschauungen und Religionen ihr Platz zugesprochen werden.

Fazit

Die Vielfalt der Gesellschaft sollte sich in verschiedenen Bereichen wiederspiegeln, auch auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem beim Kundenkontakt besteht die Chance zu lernen und zu wachsen, indem die vielfältige Gesellschaft auf allen Ebenen sichtbar gemacht wird. Denn genauso wie Selbstbestimmung ein wichtiger Wert der Demokratie darstellt, ist auch die Diversität einer. Wenn jedoch sichtbare muslimische Frauen exkludiert werden, stellt sich die Frage, ob es ein bestimmtes Bild der Vielfalt gibt? Wenn ja, wo verlaufen diese Grenzen? Bei der gebildeten muslimischen Frau? Denn bei der damaligen Gastarbeiterin oder der Reinigungsdame hat das Kopftuch bisher nicht gestört.

Die Sorge ist berechtigt, dass mit dem EuGH- Urteil die Botschaft für Europas sichtbare Musliminnen von „Du hast keinen Platz am Arbeitsmarkt“ schnell umschlägt in „Du hast keinen Platz in dieser Gesellschaft“ und  dies kann nicht in deren Interesse sein, die sich für ein gleichberechtigtes, demokratisches und offenes Europa unentwegt einsetzen!

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Black So, Sie werden für "schulischen Unfrieden" sorgen, falls im Umfeld ihrer Töchter eine Lehrerin mit Kopftuch auftritt?? Na, dann sind wir mal gespannt, wie weit sie kommen... Sie müssten dann nämlich gegen das oberste deutsche Gericht-- das Bundesverfassungsgericht-- antreten, das in einem Grundsatzurteil von 2015 ein pauschales Kopftuch für Lehrerinnen als verfassungswidrig beurteilt hat. Eine Kopftuch tragende Muslimin würde ihren Enkeln ein Geschlechterbild vermitteln, das Sie zutiefst verabscheuen?? Ihre subjektive Einschätzung interessiert dabei nicht. Maßgebend ist das Recht. Und das erlaubt Kopftuch tragende Lehrerinnen.
03.04.17
15:26
Ute Fabel sagt:
Es gibt auch eine EU-Richtlinie, wonach niemand aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Das bedeutet aber nicht, dass Homosexelle einen Rechtsanspruch darauf haben sich in Ausübung ihrer sexuellen Orientierung am Arbeitsplatz zu küssen, wenn das auch Heterosexuellen nicht gestattet ist. Ein generelles diskriminierungsfreies Kussverbot am Arbeitsplatz ist zwar ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, das allerdings Bestandteil des Weisungsrechts des Arbeitgebers ist. Genauso verhält es sich mit der Weisung zu einem neutralen Erscheinungsbild in religiöser, weltanschaulicher, politischer oder philosophischer Hinsicht.
04.04.17
9:10
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Ja genau und mich zwingt aber keiner, dass mein Kind von so einer unterrichtet wird, ich kann mein Kind in eine andere Schule oder Klasse versetzen lassen. Ich würde jedenfalls auch keinesfalls akzeptieren, dass mein Kind mit diesem mittelaterlichen Frauenverständnis konforntiert wird. Und zweitens sollte sie das Urteil genauer lesen, dort heißt es, wenn der schulische Frieden gestört ist KANN ein Kopftuchverbot erlassen werden.
04.04.17
9:16
Johannes Disch sagt:
@Manuel Keine Bange, ich habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 genau gelesen. Ja, ein Kopftuch KANN an der Schule verboten werden. Aber es muss triftige Gründe dafür geben. Der Schulfriede muss gestört sein. Und das muss genau nachgewiesen werden. Dass es Eltern nicht passt, wenn eine Lehrerin Kopftuch trägt ist allerdings nicht ausreichend, um den Schulfrieden als gestört zu betrachten. Ja, Sie können ihr Kind auf eine andere Schule schicken, wenn Sie Probleme mit einer Kopftuch tragenden Lehrerin haben. Sie können aber nicht verhindern, dass sie es tragen darf.
05.04.17
0:57
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Schauen wir mal, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt!
05.04.17
16:50
Ute Fabel sagt:
Östereich und Deutschland sollten genauso mutig sein wie die vor dem EuGH erfolgreiche belgische Bewachungsfirma G4S und auffällige religiöse, weltanschauliche, politische und philosophische Zeichen sichtbare Zeichen bei Lehrern im öffentlichen Schulsystem generell verbieten. Das wäre ein sehr guter Impuls für weniger Dogmatismus und mehr Offenheit. Frankreich hat diesen Schritt schon im Jahr 2004 gesetzt. Ein Verfahren bei EGMR ging klar zugunsten Frankreichs aus. Die Menschenrechtskonformität wurde bejaht. Das österreichische Bildungsinstitut BFI Steiermark hat wenige Stunden nach Veröffentlichung des EuGH-Urteil eine innovative Arbeitsordnung erlassen, die zur optischen Neutralität verpflichtet: Hier die Pressemitteilung: Wir haben derzeit mehr als 1000 Migranten in unseren Kursen – vom Sprachunterricht bis zum Pflichtschulabschluss oder der vorbereitenden Lehre. Und wir bekennen uns zur Willkommenskultur, wollen diesen Menschen aber auch unmissverständlich unsere westliche Kultur, unsere Werte vermitteln. Deshalb werde man nur Trainerinnen und Mitarbeiterinnen in westlicher Kleidung als Vorbilder beschäftigen, die Mädchen auch ermutigen, selbst auf das Kopftuch zu verzichten. Bei Trainern gelte: „Wir nehmen gerne Muslime auf, aber diese müssen Frauen auch ohne Kopftuch respektieren, ihnen die Hand geben und in die Augen schauen.“ Die Vorgaben werden beim BFI nun auch konsequent durchgesetzt. Sollten etwa Mitarbeiterinnen sich nicht ans Kopftuchverbot halten, werde man sich von ihnen trennen.
06.04.17
13:36
Andreas sagt:
Es ist einfach erbärmlich, wie immer nach Wegen gesucht wird, Menschen "menschenrechtskonform" zu unterdrücken, statt Freiheitsrechte möglichst weit auszulegen.
06.04.17
17:14
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Eine grosse Klappe und wenig Ergebnisse. Bislang haben österreichische Arbeitgeber in solchen Fällen immer klein beigegeben und eine Entschädigung bezahlt und es nicht auf ein Grundsatzurteil ankommen lassen. So, ihr Unternehmen macht die weltanschauliche Neutralität demnächst in seinem Internet-Auftritt deutlich?? Nennen Sie uns dann bitte das Unternehmen, wenn es so weit ist?? Ute Fabel, machen Sie sich bitte nicht weiter lächerlich mit der Legende, Sie wären Juristin. Selten hat jemand so viel Blödsinn über juristische Urteile geschrieben wie sie. Es sieht ein Blinder, dass sie von Jura nicht den geringsten Schimmer haben. Also versuchen Sie wenigstens ein bisschen Selbstachtung zu bewahren und behaupten bitte nicht mehr, Sie wären Juristin.
07.04.17
4:23
all-are-equal sagt:
Moscheen können im Sinne ihres Selbstbestimmungsrechts von allen Besuchen verlangen sich die Schuhe auszuziehen. Frau Amani Abu Zahra sollte daher vor demselben Selbstimmungsrecht von Unternehmen Respekt haben, die auf einem religiös, weltanschaulich, politisch und philosophisch neutralen Erscheinungsbild bestehen. Das EuGH-Urteil hat sich gerade für eine Stärkung dieses Selbstbestimmungsrechts der Betriebe ausgesprochen, Es besteht kein Faustrecht einzelner, die sich über eine solche diskriminierungsfreie Betriebsphilosophie einfach hinwegsetzen wollen.
07.04.17
11:01
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Österreich und Deutschland sollten so mutig sein wie die vor dem EuGH erfolgreiche belgische Bewachungsfirma G4S und auffällige religiöse, weltanschauliche, politische und philosophische sichtbare Zeichen bei Lehrern im öffentlichen Dienst verbieten....Ein Verfahren beim EMGR ging klar zu Gunsten Frankreichs aus. Die Menschenrechtskonformität wurde bejaht." (Ute Fabel, 06.04.2017, 13:36) Ein weiteres Beispiel dafür, dass Sie Kraut und Rüben durcheinanderwerfen, und nicht einmal grundlegende juristische Dinge auseinanderhalten können. Frankreich ist nicht mit Deutschland (und auch nicht mit Österreich) vergleichbar. Erstens ist Frankreich laizistisch. Deutschland hingegen nicht. Wir praktizieren einen Säkularismus, der Religion auch im öffentlichen Raum erlaubt. Zweitens kann man ein Urteil, das ein privates Unternehmen betrifft nicht auf den öffentlichen Sektor-- hier: öffentliche Schulen-- übertragen. Es ist öffentlichen Schulen in Deutschland nicht möglich, ein Kopftuch für Lehrerinnen pauschal zu verbieten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil 2015 klargestellt. Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen ist verfassungswidrig. Ihr Vorschlag aus ihrem letzten Posting ist also völlig absurd und für eine Juristin ein Offenbarungseid. Einer echten Juristin würden solche Peinlichkeiten nicht unterlaufen. Ihnen unterlaufen sie am Fließband.
07.04.17
13:19
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