Österreich

„Mein Körper, Mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung“

Vergangene Woche demonstrierten über 4000 ÖsterreicherInnen für mehr Selbstbestimmung der Muslime, vor allem der muslimischen Frau. Vor Ort war auch die Initiative „Dokustelle Muslime“, die für IslamiQ die aktuelle Lage der Muslime in Österreich bewertet.

19
02
2017
Mein Körper, Mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung © Dokustelle Muslime
Mein Körper, Mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung © Dokustelle Muslime

Am Montag den 30.01.2017 präsentierte die österreichische Regierung ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2017/18 unter dem Namen „Für Österreich“. Das Programm beinhaltet etliche Punkte über Arbeit, Bildung oder Integration. Unter dem Titel „Integration & Sicherheit“ werden Themen wie Vollverschleierung, die Neutralitätseinhaltung in bestimmten Berufen und Asyl-Angelegenheiten behandelt. Allein, dass Integration und Sicherheit unter einer gemeinsamen Überschrift abgehandelt werden, impliziert eine bestimmte Positionierung der Regierung gegenüber der „Integration“. Ebenfalls ist rational unerklärlich, warum Themen der Vollverschleierung und Neutralität zu einem Integrationsthema gemacht werden, da dieser Diskurs vom Vollverschleierungsverbot und Neutralitätsgebot folglich auch betroffene österreichische Mitbürgerinnen zu „noch-zu-integrierenden“ Menschen macht und Ihnen ihre Zugehörigkeit zu Österreich abschreibt.

Was bedeutet Neutralität?

Nach all den Jahren – der Islam ist bereits über 100 Jahren in Österreich anerkannt – über die religiöse Praxis in der Öffentlichkeit zu diskutieren, trifft Muslime wie ein Schlag ins Gesicht .“Der Staat ist verpflichtet, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. In den jeweiligen Ressorts wird bei uniformierten ExekutivbeamtInnen sowie RichterInnen und StaatsanwältInnen darauf geachtet, dass bei Ausübung des Dienstes dieses Neutralitätsgebot gewahrt wird.“ So heißt der genaue Wortlaut und man stellt sich die Frage: Wie kann man weltanschaulich und religiös neutral auftreten? Was überhaupt heißt Neutralität? Warum wird durch den persönlichen Glauben einer Person die Neutralität eines Staates gefährdet, wenn dieser in der Berufsausübung sowieso jederzeit den Berufsanforderungen Folge leisten muss. Das Handeln einer Person wird allein durch das Tragen von religiös induzierten Merkmalen in Frage gestellt und von einer Befangenheit der Person ausgegangen, das nicht weiter als einer Bevormundung des Staates gegenüber Einzelpersonen gleich kommt.

#MuslimBanAustria

Das veranlasste ca. 4000 Menschen vergangene Woche auf die Straße zu gehen. Die Veranstaltung wurde unter dem Motto #MuslimBanAustria, in Anlehnung an die Ereignisse in Amerika und die „Vertrumpisierung“ von jungen engagierten Frauen initiiert. Die Veranstalterinnen wie die Dokumentationsstelle für Muslime in Österreich, Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft und Jugendrat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich brachten mithilfe freiwilliger Unterstützerinnen und Unterstützer binnen weniger Tage ein Großevent auf die Beine.

Die Botschaft war klar: Hier geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Dies inkludiert ihr individuelles Recht zu entscheiden, was sie anzieht oder auch nicht – ohne dafür diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. Starke Frauen und Männer, unabhängig ihrer Herkunft, ihres Alters, ihrer Religion solidarisierten und versammelten sich. Bevor der Marsch losging, sprachen zum Auftakt die Organisatorinnen Elif Öztürk, Deniz Eroğlu Koc und Gözde Taşkaya über die Gründe, die Bedeutung und das Anliegen der Veranstaltung. Weitere Rednerinnen waren die Aktivistin Karin Wilflingseder, die amerikanisch-feministische Aktivistin Elizabeth Brezovich, die bekannte österreichische Feministin und Autorin Petra Unger. Ein künstlerisch starker Beitrag wurde von der Dr. Katrin Masume Brezansky-Günes vorgetragen. Dabei wurde deutlich, dass jene Frauen, die dort standen, es satt hatten von weißen Männern aus der Regierung bevormundet zu werden und dass über ihren Körper versucht wird Politik zu machen.

Gegen 15 Uhr ging der Marsch los. Die Frauen führten die Demonstration an, Männer konnten sich aus Solidarität hinten anschließen. Slogans wie ‚Hey Minister, Hands off my Sister’, ‚My Voice, My Choice‘ und ‘Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Freiheit raubt’ wurden laut. Die ganze Bewegung wurde unter dem Slogan ‚mein Körper, mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung‘ tituliert und setzte ein deutliches Zeichen gegen die Koalition, die hauptsächlich von männlichen Politikern dominiert wird.
Gegen 16 Uhr versammelten sich die DemonstrantInnen vor dem Integrationsministerium am Minoritenplatz, wo dann die Abschlusskundgebung folgte. Dr. Ishrag Mustafa, eine Geflohene aus Afghanistan und die Frauenbeauftragte der Islamischen Gemeinschaft Österreich Amina Baghajati kamen zu Wort. Ein weiterer Spoken Word Beitrag folgte von der Artistin SueMi. Auch der Brief einer Niqab-Trägerin wurde vorgelesen. Die Konvertitin beklagte die Hetze und zeigte sich geschockt, dass „Österreich offensichtlich aus der Geschichte des Landes unbelehrt hervorgegangen ist.“

Reaktionen der Medien

Gleich am selben Tag berichteten viele nationale Zeitungen über die Demo. Aber auch internationale Medien wurden darauf aufmerksam; England, Kanada, Russland, Türkei und Arabisch-sprachige Medien berichteten. Natürlich wurden auch manche Gemüter geheizt, nicht jeder konnte den Protest nachvollziehen. So wurden Stimmen laut, die meinten: „Man solle doch froh sein in Österreich zu leben, wo man doch viele Chancen hat. Im Gegensatz zu anderen Ländern geht es euch ja gut.“ Das sagen viele Menschen, das sagt aber auch vor allem „unser“ Integrationsminister Sebastian Kurz.

Wird sich etwas ändern?

Die Artistin SueMi konterte jedoch: „Ich habe es satt, dass ich und meine muslimischen Geschwister in den Medien ausschließlich im Zusammenhang von mangelnder Partizipation, Geschlechtertrennung, fehlendem Zugang zur Öffentlichkeit, politischer und rechtlicher Unterdrückung und als Opfer von traditionell-muslimischer Gewalt portraitiert werden […] Gebt uns dem Raum für uns selbst zu sprechen! Gebt uns den Raum uns zu verwirklichen. Gebt uns den Platz um uns zu entfalten. Gebt uns eure Unterstützung, so zu leben, wie wir es wollen! Gebt uns die Stimme, die uns fehlt. Gebt uns die Würde, die uns genommen wurde.“

Jetzt folgt die Begutachtungsphase für den Entwurf des Integrationsgesetzes und die Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz bis zum 8.März 2017. Wird das Begehren der DemonstrantInnen ernst genommen? Ihnen der nötige Platz vergeben? Oder werden Fremdbestimmungen weiterhin das Bild der muslimischen Frau gestalten? Wir werden es sehen.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Manuel Richtig, gelegentlich bin ich etwas impulsiv. Das ist nicht okay, und ich bitte um Entschuldigung. Andererseits kann es einem ab einem gewissen Punkt wirklich auf den Keks gehen, wenn man immer wieder Dinge zu lesen bekommt, die längst widerlegt sind. So Religion im säkularen Rechtsstaat nun mal keine Privatsache. Und Unternehmen und auch der Staat können religiöse Symbole im öffentlichen Raum nun mal nicht einfach pauschal einschränken oder gar verbieten. Das waren nur 2 Beispiele von vielen.
27.02.17
14:45
Kritika sagt:
L.S. An Herrn Holger Berger und andere. Herr Berger schreibt zum Thema Verschleierung: Selten ist die Lage so einfach wie hier: Verschleier- oder Kopftuchverbot gilt - wenn eingeführt- für jeden: für Christen, für diejenigen, die frei von Religion sind (Nicht Gott hat den Menschen erschaffen, sondern der Mensch hat Gott erschaffen, schrieb einst ein grosser Deutscher Literat) und natürlich gilt es auch für Moslems. Es gilt für jeden, der die verbotene religiöse Symbole zur Schau stellt. Damit entfällt Ihre Problematik, die ReligionsZugehörigkeit festststellen zu müssen. Religion geht keinem etwas an, Provokation schon. Kritika meint: Ohne Islam wäre die Welt eine weitaus friedlichere. Gruss, Kritika
27.02.17
23:32
Kritika sagt:
Die Aussage von Herrn Berger ist im Beitrag von Kritika nicht mit übernommen worden. Sie lautete: "Die aktuelle Lage der Muslime in Österreich? Wer bestimmt überhaupt wer oder was "Muslime" konkret sind oder sein sollen? Welche konkrete Definition soll überhaupt gelten?" dieses Zitat stand zwischen . . Verschleierung: und Selten ist . . Kann die Regie diese bitte noch einfügen? Danke Kritika
27.02.17
23:40
Charley sagt:
"Mein Recht... mein Körper".... da wäre noch die Sache mit der Abtreibung. Im Islam wohl nur erlaubt, wenn die Gesundheit der Gebärmaschine gefährdet ist. Denn die Selbst-bestimmung obliegt der Frau nicht im biologischen Sinne. Darum sind z.B. Spiralen auch nicht erlaubt, weil diese die Einnistung der schon befruchteten Eizelle verhindern. Aber was ist bei Schwangerschaft durch Vergewaltigung? (Wobei die Definition der Vergewaltigung in islamischen Ländern oftmals einer Frauenverachtung sonder gleichen nahe kommt!) Was ist, wenn das Kind schwerstbehindert sein wird? Das sind alles Themen, wo nicht die Weiterverwendbarkeit der Gebärmaschine in Frage gestellt wird, sondern die Lebensqualität der Frau/zukünftigen Mutter. Entweder nehme ich das Frauenbild des Islam nicht mehr ernst oder verfalle in bitteren Zynismus und Ironie! In der Summe stoße ich immer wieder auf einen Islam, der - z.T. impertinent - fordert, ernst genommen zu werden, zugleich aber mein Denken und mein menschliches Selbst- und Kulturverständnis ins 6.nachchristliche Jahrhundert zurück beamen will!
11.03.17
8:49
jo Vienna sagt:
Hört endlich auf das Kopftuch zu verteidigen! Die Nieder-Tracht ist das Kopftuch, der Judenstern für Frauen, denen die Verantwortung über den Triebdruck der Männer aufgeladen wird. Wieso dieser Vergleich? Weil wir bei unserem Vorsatz "Niemals vergessen" oder "Wehret den Anfängen" niemals erfolgreich sein werden, wenn der Vergleich der Realität mit DEM WAS NIE WIEDER SEIN SOLL nicht sein darf. Das Kopftuch ist Ausdruck davon dass mit Frauen etwas nicht stimmt. Sie müssen verhüllt und unter Fetzen verborgen werden wie Leprakranke weil ihre "aufreizenden Blicke" den Männern nicht zumutbar sind. In letzter Konsequenz legitimiert das Kopftuch Vergewaltigung, denn wie soll ein testosterun-gesteuerter Halb-Primat denn an sich halten, wenn das Rockerl so kurz oder der Schleier so unzüchtig war? Wie gerade die LINKE deren Wurzeln in der Dekonstruktion religiösen Wahns lag, hier nun so offensichtlich Menschenrechts-inkompatible Nieder-Trachten verteidigen ist und bleibt ein Rätsel. WIR SIND ALLE GLEICH AN RECHTEN UND WÜRDE GEBOREN. NICHT DIE FRAU MIT DER PFLICHT SICH ZU VERHÜLLEN WEIL IHR ANBLICK DEN MÄNNERN NICHT ZUGEMUTET WERDEN KANN.
03.04.19
8:46
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