Sefer Ahmedoğlu

„Ich kam für drei Monate und blieb 38 Jahre“

Mit Sefer Ahmedoğlu ist am 22.12.2016 ein Pionier des Islams in Deutschland gestorben. Er war ein Mann der ersten Stunde und hat große Dienste für die Muslime in Europa geleistet. Rahime Söylemez traf ihn und führte eines der letzten Interviews mit ihm.

29
12
2016
Sefer Ahmedoğlu ein Pionier des Islams in Deutschland

1977 kam ich zum ersten Mal nach Deutschland. Ich wurde von der türkischen Religionsbehörde Diyanet als Imam nach Lübeck entsandt. Ich bin 1944 geboren, war damals also 33 Jahre alt und arbeitete erfolgreich als Religionsbeauftragter in einer Koranschule in Gebze. Es war die Blütezeit meines Lebens. Damals war es üblich, dass Imame zur Belohnung für ihre guten Dienste nach Deutschland entsandt wurden. Deswegen kam ich nicht als Gastarbeiter, sondern als Imam.

In Deutschland wurde ich als erstes in der Millî Görüş Fatih Moschee in Lübeck eingestellt. Ich blieb für drei Monate und wollte dann zurück in die Türkei, da in Gebze 350 Schüler auf mich warteten. Nach einigen Gesprächen mit Süleyman Ateş, dem damaligen Vorsitzenden der Diyanet, kam ich zurück nach Deutschland. 1978 holte ich meine Familie ebenfalls nach Deutschland.

Damals haben Imame neben ihrer Arbeitserlaubnis auch eine Aufenthaltsbescheinigung in Deutschland bekommen. In den 80er Jahren gab es in Deutschland im Gegensatz zur Türkei keine Islamfeindlichkeit. Da ich damals Vorsitzender der Istanbuler Religionsförderation war, habe ich die Probleme unmittelbar zu spüren bekommen. Zwischen 1968 und 1977 habe ich in Istanbul gearbeitet. 1958 kam ich nach Istanbul. Ich wollte zwei Jahre studieren und als Imam wieder in mein Dorf zurückgehen. Es kam aber anders und ich blieb für 20 Jahre dort. 1977 kam ich für drei Monate nach Deutschland, blieb aber 38 Jahre lange hier.

Als die türkischen Arbeiter damals nach Deutschland kamen, gründeten sie Moscheen und Vereine. 1977 gründeten wir in der Hamburger Centrum Moschee einen türkischen Arbeiterverein. Viele der Mitgründer sind leider verstorben. Ich kann mich noch an folgendes Ereignis erinnern: Als wir von jedem Gemeindemitglied 5-10 DM für den Kauf der Moschee sammelten, kam ein pakistanisch-muslimischer Händler und gab uns 250.000 DM, mit der Bitte seinen Namen nicht zu nennen. Die Moschee kostete 450.000 DM. Damals wurde mit wenigen Mitteln Großes vollbracht.

Um auch die deutschen Konvertiten nicht zu vernachlässigen, gründeten wir in Hamburg ein Komitee, um auch ihren Bedürfnissen nachzukommen und ihnen den Islam beizubringen. Wir haben mit ihnen das Buch „Der Islam“ von Muhammad Hamidullah gelesen. Später haben wir ein Buch mit dem Titel „Was ist Islam?“ herausgebracht. Dank einer Buchdruckerei in Istanbul konnten wir es kostenlos drucken und verteilen.

Die Welt liegt dir zu Füßen

Die Beziehung zu unseren deutschen Nachbarn haben wir stets gepflegt. Nachdem ich drei Jahre in Lübeck und eine Zeit lang in Hamburg gearbeitet habe, fing ich an, in der Zentrale der Millî Görüş zu arbeiten. 2011 bin ich in Rente gegangen und habe zwei Bücher geschrieben. Ich habe die Bücher so geschrieben, als würde ich zur Jugend innerhalb der Gemeinschaft sprechen. In den Büchern habe ich Anekdoten aus dem Leben des Propheten Mûsâ und aus meinem Leben geschrieben. Wir leben in einer Zeit, in der es sehr viele Möglichkeiten gibt, sich weiterzuentwickeln. Es liegt in der Verantwortung eines jedes Einzelnen, sich dem Islam zuzuwenden. Keiner kann behaupten, nichts vom Islam gehört zu haben. In jedem Haushalt befinden sich ein Radio, ein Fernseher und ein Kassettenrekorder. Früher war der Besitz eines Kassettenrekorders etwas besonders. Heute speicherst du alles auf einen kleinen Stick. Alle Bücher befinden sich auf diesem Stick. Die Welt liegt dir zu Füßen.

Ich war schon immer ein Idealist. Es gibt niemanden, über den ich etwas Schlechtes denke. Meinen Wehrdienst habe ich in Istanbul absolviert. Freunde, die ideologisch gesehen eher rechts orientiert waren, haben ihre Freunde, die eher links orientiert waren, nicht in die Krankenstation gebracht. Ich habe beiden Parteien meine Hilfe angeboten, damit sie nur Gutes über den Islam und die Muslime denken.

Zudem bin ich in jungen Jahren sehr viel gereist. Ich war u. a. in Pakistan, Indien, Afghanistan. Sobald man alles für das Wohlwollen Allahs macht, wird die Zeit von Allah bereichert werden. Mein Rat ist deshalb: Erkennt die Kostbarkeit der Zeit. Macht alles für das Wohlwollen Allahs. Seid dankbar für alles, was ihr habt. Diese Welt ist vergänglich. Wir sind gekommen und werden wieder gehen.

Der Jugend fehlt ein kollektives Bewusstsein

Ich habe vier Kinder und zwölf Enkel. Ich möchte der Jugend folgendes mitgeben: Seid vorsichtig und vernünftig. Arbeitet für das Wohlwollen Allahs und bleibt den Moscheen nicht fern. Heutzutage fehlt der Jugend ein kollektives Bewusstsein. Ich frage mich, wie unsere Zukunft sein wird.

Im Gegensatz zu früher, ist es heute sehr schwer, die junge Generation in die Moschee zu schicken. Früher waren es die Jüngeren, die Grundstücke kauften und Moscheen errichteten. Ein komfortables Leben führt zum Verlust des Bewusstseins. In meiner Zeit gab es wenige Moscheen. Eltern brachten ihre Kinder von 20-30 km Entfernung in die Moschee, damit sie ihren Glauben erlernen können. Heute gibt es 3-4 Moscheen in jeder Stadt, doch keiner schickt seine Kinder in die Moschee. Die Muslimen werden nachlässig. Möge Allah das Bewusstsein aller Muslime stärken und ihnen den Dienst für ihren Glauben ermöglichen.

Leserkommentare

Charley sagt:
Auch wenn ich kein Muslim bin, ... aus diesen Zeilen spricht ein langes, innerlich reiches, herzengagiertes Leben. Man kann fühlen, was ihn im Herzen belebt und bewegt. Dafür steht er ein! Und es ist eine menschliche Ehrlichkeit, mit der er seine Erfahrungen mit dem Islam anderen anbietet. Und es ist zugleich auch bescheiden! Dass er für "seinen" Islam wirbt, ist ok! Mich wird er zwar nicht werben, aber er hat in seiner Art, für seine Art meinen menschlichen Respekt! Ein schöner Artikel!
30.12.16
0:03
halime sagt:
Er war ein Mensch, der ob muslim oder nichtmuslim gegrüßt hat. Er wollte dass Glück jedes Menschens
30.12.16
0:45