Islamfeindlichkeit in Europa

„Es muss einen demokratischen Widerstand der Muslime geben“

Wie sind die gewalttätigen Übergriffe gegen Muslime und Moscheen zu bewerten? Warum nicht nur rechte Parteien dafür verantwortlich gemacht werden können und was Muslime dagegen tun sollten, erklärt Politikwissenschaftler Dr. Farid Hafez im IslamiQ-Interview.

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2016
Dr. Farid Hafez © FH

IslamiQ: Sprengstoffanschläge in Dresden, Schüsse in Remscheid. Nur zwei Beispiele an Moscheeangriffen der letzten Zeit. Ist es selektive Wahrnehmung oder werden Moscheeangriffe immer gewalttätiger?

Dr. Farid Hafez: 2015 wurden mehr als 1000 Attentate und 100 Brandanschläge auf Unterkünfte geflüchteter Menschen im deutschen Bundesgebiet vermerkt. Das heißt, es gibt insgesamt einen steigenden Trend im Hinblick auf rassistische Gewalt. Die beiden Beispiele, die sie geben, zeigen, dass die Intensivierung der Dimension der Gewalt auch im Hinblick auf den antimuslimischen Rassismus zutrifft. Inwiefern von einer Steigerung gesprochen werden kann, ist schwierig, da es bislang keine Zahlen zum Vergleich auf einer Zeitskala gibt.

IslamiQ: Wie ist denn die hohe Anzahl der Moscheeangriffe der letzten Zeit zu bewerten?

Hafez: Der Schritt zwischen einem gewaltsamen Wort und einer gewalttätigen Tat ist eine Frage der Konsequenz. Der Terrorist Anders Behring Breivik war nicht nur ein Terrorist, sondern ein Terrorist, der seine Tat auf Wahnvorstellungen über eine Islamisierung Europas gebaut hatte. Sein Akt des Terrors war aus seiner Sicht eine Verteidigung. Betrachtet man die ausufernde Sprache gegenüber dem ‚muslimischen Anderen‘, dann ist die Frage der Gewalt nicht mehr weit. Das gilt sowohl für soziale Foren wie auch für rechtspopulistische Kampagnen. Hier regiert eine Sprache der Gewalt. Und die nährt sich aus einer eher kultivierten rassistischen Sprache. Erinnern wir uns an Sätze wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, der eine breite Akzeptanz findet, so steckt darin ein Kern der Ausgrenzung. Die gewalttätige Ausgrenzung geht dann mehrere Schritte weiter, indem sie zuerst das Ausgegrenzte nicht mehr unter sich akzeptiert und es in weiterer Folge vernichten will.

IslamiQ: Auch Angriffe auf Muslime häufen sich. In Wien wurde eine Frau geschlagen. ENAR gab an, dass Musliminnen die ungeschütztesten Personen Europas sind. Dennoch halten sich viele zurück und machen die Vorfälle nicht publik. Welchen Ratschlag haben Sie an die Betroffenen?

Hafez: Es braucht zum einen ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus, in diesem Falle Islamophobie. Zum anderen braucht es ein Empowerment und Information darüber, welche Rechte ich habe. Wenn ein Ungerechtigkeitsempfinden gepaart mit Information, wie ich mich zur Wehr setzen kann existiert, dann wird demokratischer Widerstand ermöglicht. Die Communities können das unterstützen, indem sie den Betroffenen Mut zusprechen und sie auf einen legalen Konsens hinweisen, das diese Rassismen eigentlich verbietet.

IslamiQ: Wie kann man die steigende Islamfeindlichkeit langfristig eindämmen? Wurden die nötigen Schritte eingeleitet?

Hafez: Das ist keine kleine Frage. Der Rassismus ist ein jahrhundertealtes Phänomen und wird nicht übermorgen verschwinden. Dazu braucht es viele Anstrengungen, angefangen von Kinderliedern, über Schulbücher, bis hin zu einer Sensibilisierung zum Sprechen. Aber all das wird nur dann geschehen, wenn sich auch Machtverhältnisse verändern. Denn Rassismus ist nicht nur ein Vorurteil. Islamophobie basiert nicht auf einer Unkenntnis des ‚Islams‘ oder der ‚Muslime‘. Vielmehr geht es um ein Herrschaftsverhältnis, in dem die Dominanzgesellschaft die imaginierte Minderheit viel zu wenig zu Wort kommen lässt, wenig Anerkennung schenkt und real nicht mitentscheiden lässt.

Dr. Farid Hafez ist Politikwissenschafter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Politikwissenschaft der Universität Salzburg. Er gibt seit 2010 das Jahrbuch für Islamophobieforschung (www.jahrbuch.islamophobie.de) heraus.

IslamiQ: Rechtsextreme Gruppierungen wie die „Identitäre Bewegung“ verzeichnen immer mehr Zulauf. Dabei richten sie sich gezielt an Jugendliche und gegen Muslime und sind real und virtuell sehr gut organisiert. Sind die wachsenden Strukturen der rechtextremen Szene überhaupt noch nachvollziehbar?

Hafez: Zu den Erfolgsrezepten der „Identitären Bewegung“ gehört, dass sie sich kulturell dem Mainstream angepasst hat und sich linke politische Aktionsformen angeeignet hat. Statt rechtsextremer Gewalt werden Proteste wie medienwirksame Störaktionen gewählt. Zudem hilft es, dem Geruch des Rechtsextremismus fernzubleiben, wenn Mode und Sprache gängige Stilmittel enthalten und kein Image der Vorgestrigen verkörpern.

IslamiQ: Wahlerfolge der islamfeindlichen AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich zeigen einen beängstigenden Trend. Ist der islamkritische Populismus in Europa ein Garant für politische Erfolge?

Hafez: Ich würde dem etwas provokativ die islamophoben Handlungen von regierenden Parteien entgegenstellen. Kopftuchverbote gab es in Deutschland ohne AfD. Ein Islamgesetz gibt es in Österreich auch ohne die FPÖ. Ja, einerseits sind diese islamohpoben Populismen ein gewisser Garant für politische Erfolge. Und: Nein, mich beunruhigen weniger die dezidiert islamfeindlichen Positionen der Parteien, die der Neuen Rechten zuzurechnen sind. Mich beängstigen eher die aus der Mitte kommenden islamophoben Handlungen, über die es scheinbar eine sachliche Debatte gibt, an der verschiedene Milieus in der Gesellschaft teilhaben, ohne mit dem Verruf in Verbindung gebracht zu werden, hier rassistisch zu handeln.

IslamiQ: Sie sind Mitherausgeber des ersten europaweiten Berichts über Islamophobie, der 2016 erschien. Warum erst jetzt?

Hafez: Das Leben ist eine Sammlung ungeplanter Synergien. Die Idee eines Berichts wurde über einem türkischen Kaffee, den ich mit einem alten Freund getrunken habe, geboren. Eigentlich hätte es das seit dem 11. September 2001 geben sollen.

„Mich beängstigen eher die aus der Mitte kommenden islamophoben Handlungen, über die es scheinbar eine sachliche Debatte gibt, an der verschiedene Milieus in der Gesellschaft teilhaben, ohne mit dem Verruf in Verbindung gebracht zu werden, hier rassistisch zu handeln.“

IslamiQ: Sprachwissenschaftler wie Dr. Elisabeth Wehling lehnen den Begriff „Islamophobie“ ab, da Phobien in anderen Kontexten oftmals nachvollziehbar sind (Klaustrophobie etc.). Was halten Sie von dieser Kritik?

Hafez: Das ist ihr gutes Recht. Aber ich denke, es wurde zu viel deutschsprachige Tinte in der Auseinandersetzung um diesen Begriff vergossen. Ich finde es amüsant, dass im Zusammenhang mit dem Begriff der Homophobie derartige Debatten nicht aufgetaucht sind. Und das sagt einiges aus. Dennoch: Am Ende kommt es in den Sozialwissenschaften nicht darauf an welches Wort man verwendet, sondern wie man einen Begriff definiert, also was wir darunter verstehen, damit meinen. Der Begriff Antisemitismus ist rein sprachlich betrachtet auch Unfug. Aber wir haben uns darüber verständigt, was wir grob betrachtet darunter verstehen. Ebenso halte ich es mit dem nun bereits 20 Jahre alten Begriff der Islamophobie. Sie ist für mich ident mit dem Begriff des antimuslimischen Rassismus. Ich verstehe darunter eine Ausgrenzung des tatsächlich oder vermeintlich Muslimischen, das essentialisiert und herabgewürdigt wird, um bestehende Machtpositionen zu stabilisieren und zu erweitern.

IslamiQ: Mit einem „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ wollen die CSU und die sächsische CDU das konservative Profil der Union schärfen. Wie ist dieser „patriotische“ Aufruf der u. a. auf das „abendländische Wertefundament“ pocht, aktuell zu bewerten?

Hafez: Im Detail erlaube ich mir keine Bewertung, weil ich den Begriff nicht kenne. Aber meist verwenden politische Akteure derartig schwammige Begriffe als politische Kampfbegriffe, mithilfe derer Einschließungs- und v. a. Ausschlussmechanismen befeuert werden sollen. Das ist der Fall für die angeblich „christlich-jüdische Tradition“ des Abendlandes, ein Hohn gegenüber den Jahrhunderte dauernden Pogromen gegen Jüdinnen und Juden und im Wesentlichen eine Fiktion, die darauf abzielt, das Muslimische und andere Einflüsse im Werden des Westens als Wesensfremd auszuschließen. Der Versuch von Mitte-Rechts-Parteien, die nunmehrige erfolgreiche rechtspopulistische Herausforderung, die AfD, rechts zu überholen, würde lediglich den Effekt haben, dass es zu einem immer gehässigeren und gewalttätigeren Klima kommen würde.

Das Interview führte Esra Lale.

Leserkommentare

Holger Berger sagt:
Wenn hier über die 'Islamophopie' gesprochen wird - identisch mit 'antimuslimischem Rassismus' - würde ich ich es sehr schätzen, wenn Sie auch die 'Homophobie' berücksichtigen würden. Denn diese ist ja unter Islam-Koran-Anhängern bzw. muslimisch orientierten Personen in der Regel besonders stark ausgesprägt. Homophobie ist ja entsprechend 'antihomosexueller Rassismus'. Und ich verstehe auch darunter eine Ausgrenzung des tatsächlich oder vermeintlichen Homosexuellen, das essentialisiert und herabgewürdigt wird, um bestehende Machtpositionen zu stabilisieren und zu erweitern - ganz im Sinne einer angeblich göttlichen Mission mit absolut ewig gültigem Wahrheits- und Herrschaftsanspruch. Und wenn hier in der Überschrift geschrieben wird - "ISLAMFEINDLICHKEIT IN EUROPA...'Es muss einen demokratischen Widerstand der Muslime geben'" - so erwarte ich eine faire Berichterstattung mit folgender Überschriftl: HOMOSEXUELLENFEINDLICHKEIT IN EUROPA - Es muss einen demokratischen Widerstand der Homosexuellen geben.
10.10.16
1:06
Ute Fabel sagt:
Der Antisemitismus der Nationalsozialismus basierte auf der - absurden - Annahme, Juden seien eine minderwertige Rasse. Deshalb wurden auch erklärte Religionsgegner- Antitheisten - wie Sigmund Freund nur aufgrund ihrer Abstammung verfolgt. Der Vergleich zwischen diesem Antisemitismus und dem angeblichen "antiislamischen Rassimus" ist daher unangebracht. Ich habe den Eindruck, dass viele islamische Religionsvertreter von allen wie Kuscheltiere behandelt werden wollen und von "Islamophobie" sprechen, wenn sich diese Erwartung nicht erfüllt. Fundamentale und auch überspitzte Religionskritik ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil des aufgeklärten Humanismus. Wogegen angekämpt werden sollen, ist ein pauschaler Hass gegen Muslime. Ich selbst halte zwar den Islam für einen abergläubischen, verstandesfeindlichen Unsinn. Den Koran, den ich selbst in mehreren Übersetzungen gelesen habe, enthält meiner Überzeugung nach weit mehr Schlechtes als Gutes. Ich habe aber dennoch im Laufe meines Lebens zahlreiche gläubige Muslime kennengelernt, die sich für charakterlich wertvolle Menschen halte.
10.10.16
8:13
Manuel sagt:
"Der Rassismus ist ein jahrhundertealtes Phänomen und wird nicht übermorgen verschwinden." Genau, man fängt der Islam in Deutschland eine innerislamische Diskussion zum islamischen Antisemitismus, Rassismus gegenüber den so genannten "Ungläubigen" und dem Geschlechterrassismus gegenüber den Frauen an? Auf andere ständig mit dem Finger zeigen und selbst keine Diskussion darüberzulassen, ist mehr eine Doppelmoral!
10.10.16
14:26
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen rationaler Kritik und Übergriffen auf Muslime und deren Einrichtungen.
10.10.16
16:29
Johannes Disch sagt:
@Holger Berger Das Problem des antimuslimischen Rassismus kontern Sie mit dem Vorwurf der Homophobie, die es in Teilen der islamischen Welt auch tatsächlich gibt. Sollen wir beides jetzt miteinander aufrechnen? Macht das Eine das Andere weniger schlimm? Zu diesem Ablenkungsmanöver greifen viele nämlich auch immer, wenn es um das Thema des zunehmenden Rechtsradikalismus geht, der sich vor allem gegen Fremde und insbesondere gegen Muslime und Flüchtlinge richtet: Ja, aber der Linksradikalismus... Die Homophobie ist in dem Artikel nicht das Thema, sondern die Islamophobie bzw. der antimuslimische Rassismus.
10.10.16
16:34
Malte sagt:
Der islamistische Rassismus, der unter Muslimen verbreitet ist, wird natürlich völlig unterschlagen. Wieder einmal wird unterschlagen, dass Muslime nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind. Da braucht man doch nur mal in muslimische Länder zu schauen. Als in Ägypten die Muslimbrüder regiert haben, gab es verstärkt Angriffe auf koptische Kirchen und Übergriffe auf Kopten. Am Wochenende hat die sächsische Polizei nach einem Terroristen aus Ägypten gefahndet, in dessen Wohnung in Chemnitz ein fertiger Sprengsatz rumlag. Hiermit sollte sich Herr Hafez mal lieber beschäftigen, anstatt die Bürger des Landes, in dem er lebt, zu diffamieren und zu unterstellen, dass eigentlich alle Deutschen den Rechtsextremismus unterstützen. Muslime sollten sich einfach mal an die eigene Nase fassen.
10.10.16
17:02
Johannes Disch sagt:
@Malte Was den syrischen Attentäter von Chemnitz betrifft: Man sollte dabei nicht unerwähnt lassen, dass es Syrer waren, die den Attentäter überwältigt und der Polizei übergeben haben. Auch Sie lenken in ihrem P ab, und erwähnen die Probleme in der islamischen Welt, hier: In Ägypten. Das ist in dem Interview aber nicht das Thema. Das Thema ist die zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland, und die kommt vor allem von rechts. Dr. Hafez unterstellt keineswegs, alle Deutsche wären rechtsextrem. Er stellt einfach nur fest, dass der antimuslimische Rassismus zunimmt, und dass dieser vor allem von Rechtsaußen kommt. Und die Vorfälle der letzten Monate und die Kriminalstatistiken geben ihm recht. Statt Dinge aufzurechnen, sollten wir uns diesem Problem stellen. Es stellt nämlich tatsächlich eine ernsthafte Gefahr für unsere Demokratie dar.
11.10.16
13:08
Enail sagt:
Kürzlich las ich einen Artikel über das ehemals überwiegend christliche Land Libanon. Hier konnte ich erfahren, was muslimische Flüchtlinge aus dem einst toleranten Land, das als die Schweiz des Nahen Osten genannt wurde und dessen Hauptstadt ehemals als das Paris des Nahen Osten bezeichnet wurde, gemacht haben. Ich lernte auch in den neunziger Jahren eine christliche Libanesin kennen, die mit ihren Kindern nach Deutschland floh. Und zwar nachdem der Libanon viele muslimische Flüchtlinge aus den Nachbarländern aufgenommen hat. Und je mehr es wurden, umso mehr wurden die Christen bedroht. Es fanden Mord und Verfolgung von Christen durch Muslime, denen sie Schutz gewährt haben, statt. Auch meine Bekannte erzählte vieles davon. Muss man sich da wundern, wenn man Skepsis an den Tag legt, wenn man mitbekommt, dass immer mehr Forderungen an das aufnehmende Land gestellt werden um diese sogenannte Religion hier zu installieren. Warum weigern sich Saudi Arabien, Kuwait und die Emirate ihre Glaubensbrüder aufzunehmen? Warum wollen sie alle in den Westen, den sie eigentlich verachten? Es wird Europa so gehen wie z.B. dem Libanon, sobald die Muslime in der Mehrheit sind. Leider gibt es kein vorbildliches muslimisches Land, dem man nacheifern möchte oder könnte. Gewalt gegen Muslime aber auch Gewalt gegen Christen ist in jeglicher Form abzulehnen. Christl. Flüchtlinge werden auch hier von Muslimen bedroht und diskriminiert, einige wurden auf ihrer Flucht übers Mittelmeer aus dem Boot geworfen, weil sie Christen waren. Ist das auch Rassismus oder nennt man das Christenverfolgung, weil die Religion doch der Grund der Verfolgung ist? Was ist dann der Islam, wenn dort die Diskriminierung Rassismus genannt wird?
12.10.16
0:19
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Der Islamismus und der erzkonservative Islam stellt auch eine gefahr für unsere Demokratie dar, aber da halten Sie ja schützend Ihre Hand darüber und kommen dann mit dem GG.
12.10.16
20:46
Peter sagt:
als Schwuler lege ich keinerlei Wert auf eine weitere Ausbreitung des Islams. Wohin diese Religon führt, sieht man am Iran, Saui Arabien, jetzt Türkei...
13.10.16
14:51
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