Kopftuchstreit in Deutschland

„Die Verbote haben ganze Existenzen zerstört“

Vor rund einem Jahr gab das Bundesverfassungsgericht an, dass das pauschale Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen verfassungswidrig ist. Aktuell wurde die Klage einer kopftuchtragenden Lehrerin vom Arbeitsgericht Berlin abgewiesen. Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. bewertet im IslamiQ-Interview die aktuellen Entwicklungen rund um das Kopftuch.

17
04
2016
Portrait Gabriele Boos-Niazy © Boos-Niazy

IslamiQ: Hat sich durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr, welcher besagt, dass das pauschale Kopftuchverbot an Schulen verfassungswidrig ist, die Situation für muslimische Lehrerinnen geändert?

Gabriele Boos-Niazy: Das kann man so pauschal nicht sagen. Rein nach dem Gesetzesbuchstaben – § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – wirkt der Beschluss des BVerfG auf alle Bundesländer, in denen es ein gesetzliches Kopftuchverbot gibt. D.h. die Landesgesetzgeber müssen ihre jeweiligen Gesetze nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auslegen. Das ist den Landesgesetzgebern auch bekannt, dennoch tun sich einige mit der Umsetzung aus politischen Gründen schwer.

Tatsächlich deutlich verbessert hat sich die Situation für alle Frauen mit Kopftuch im Schuldienst in NRW. Die Schulministerin, Frau Löhrmann, hat direkt nach Bekanntgabe des BVerfG-Beschlusses mitgeteilt, dass das Gesetz in NRW entsprechend angewandt wird. NRW ist auch das einzige Bundesland, das sein Schulgesetz faktisch geändert hat. Die Änderung hat gedauert, weil man auch die CDU, die das Verbot damals zusammen mit der FDP geschaffen hat, mit ins Boot holen wollte. Auch daran sieht man wieder, dass das keine „normale“ Gesetzesänderung war, die man einfach mit der eigenen Parlamentsmehrheit durchbringt.

IslamiQ: Und wie verlief die Gesetzesänderung in den anderen sieben Bundesländern, die zuvor ein „Kopftuchgesetz“ erlassen hatten und in der Folge ihre Gesetze angepasst haben?

Boos-Niazy: Bremens Bildungssenatorin erklärte kurz nach dem Beschluss, das Kopftuchverbot für aufgehoben; in Niedersachsen ging man ebenso vor. Der Gesetzestext blieb in beiden Fällen jedoch mit dem Argument, er enthalte keine Privilegierungsklausel, unverändert

In Hessen blieb der Gesetzestext, der den ganzen Bereich des Beamtentums betrifft, ebenfalls bestehen. Per Erlass wurde den Schulen zwar die Umsetzung des BVerfG-Beschlusses mitgeteilt, faktisch jedoch ein Verfahren eingeführt, das eher an eine Einzelfallprüfung erinnert. Die Schulleitungen sollen eine Prognose darüber abgeben, ob das Kopftuch der Lehrerin den Schulfrieden stören könnte/stören wird. Damit ist man allerdings wieder im Bereich der „abstrakten Gefahr“, die lt. dem Beschluss des BVerfG keine Grundlage für ein Verbot sein darf. Falls es aufgrund der Abschätzung einer Schulleitung zu einem Kopftuchverbot kommen sollte, wird wohl ein Gericht darüber entscheiden müssen, ob der hessische Weg Bestand hat.

Gabriele Boos-Niazy ist Diplom Sozialwissenschaftlerin und seit der Gründung des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen e.V. im Dezember 2009 im Vorstand. Sie befasst sich hauptsächlich mit den rechtlichen Konstellationen rund um das Kopftuch und dem deutschen Schulwesen. Das Aktionsbündnis ist eine Vereinigung von muslimischen Frauen unterschiedlicher nationaler Herkunft und religiöser Facetten, die sich zum Ziel gemacht haben, die Interessen der muslimischen Frauen gegenüber der Politik und der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen und zu vertreten.

In Baden-Württemberg wurde eine Gesetzesänderung bis nach der kürzlich erfolgten Wahl aufgeschoben. Das dortige Gesetz enthält eine verfassungswidrige Privilegierung christlich-abendländischer Kulturwerte, daher geht eine Mehrheit der Parlamentarier davon aus, dass es geändert werden muss. Die CDU hat zusammen mit den Kirchen im Vorfeld eine Art generelle Erlaubnis zum Tragen eines Kopftuches mit einem möglichen Verbot, über das die Leitungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen in Eigenregie bestimmen dürfen, entwickelt. Ein entsprechender Gesetzestext existiert jedoch noch nicht.

In Bayern haben Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes erarbeitet, der jedoch von der Parlamentsmehrheit abgelehnt wurde. Das Kulturministerium ließ verlauten, es gebe keinen Handlungsbedarf, da sich der Beschluss des BVerfG nur auf das Gesetz in NRW beziehe (was rechtlich falsch ist) und das Gesetz in Bayern keine Privilegierung christlich-abendländischer Traditionen enthalte (was faktisch sehr wohl der Fall ist), jeder Einzelfall werde geprüft. Darüber, anhand welcher Kriterien das erfolgen soll, gibt es keine Informationen. Der Lackmustest wird auch hier die Bewerbung einer Lehrerin mit Kopftuch sein.

Das Saarland ist das einzige Bundesland mit Kopftuchverbot, in dem eine Änderung nicht thematisiert wird. Die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte im November 2015 das Verbot für nach wie vor gültig und der zuständige Minister für Bildung und Kultur, Ulrich Commerçon (SPD), schweigt.

In Berlin haben wir jetzt die erste richterliche Entscheidung gesehen, der vermutlich noch weitere folgen werden.

Nicht vergessen werden darf, dass auch in Bundesländern, in denen es kein Verbot gab, in einigen Schulen Lehrerinnen mit Hinweis auf ihr Kopftuch nicht eingestellt wurden. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Praxis sich jetzt geändert hat.

IslamiQ: Der Beschluss sieht vor, dass die Störung des Schulfriedens ein Kopftuchverbot rechtfertigen kann. Wissen Sie, ob es in jüngster Vergangenheit solche Vorfälle gab?

Boos-Niazy: Nein, davon ist uns nichts bekannt. Ehrlich gesagt, hätte es mich auch gewundert, wenn ein solcher Fall aufgetreten wäre. Das Bundesverfassungsgericht macht hier doch sehr konkrete Vorgaben, welchen Kriterien die Diagnose „Störung des Schulfriedens“ genügen muss. Demnach kann es ein Verbot im Einzelfall nur geben, wenn eine Lehrerin ein missionarisches oder verbal werbendes Verhalten an den Tag legt und versucht, Schüler konkret zu beeinflussen. Keine der Lehrerinnen, die wir kennen, käme auf einen solchen Gedanken. Nach einem jahrelangen Berufsverbot ist auch davon auszugehen, dass sie übervorsichtig sind und jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen und sicherlich auch scharf beobachtet werden.

Ein allgemeineres Verbot für bestimmte Schulen oder Schulbezirke für eine begrenzte Zeit ist nur dann möglich, wenn dort nachweislich besondere substantielle Konfliktlagen in einer beachtlichen Zahl von Fällen vorliegen. Das Gericht nennt in seinem Beschluss (Rn 113) als Beispiel eine Situation, „[…] in der – insbesondere von älteren Schülern oder Eltern – über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und […] in die Schule hineingetragen […]“ werden.

Wenn die Schulleitung alle pädagogischen Maßnahmen, die üblicherweise bei Schulkonflikten zur Lösung zum Einsatz kommen, erfolglos ergriffen hat und zu dem Schluss kommt, dass nur die Versetzung der Lehrerin mit Kopftuch den Konflikt – zu dem sie nicht selbst etwas beigetragen hat – lösen wird, ist der Lehrerin eine Versetzung zumutbar oder sie kann wahlweise ihr Kopftuch ablegen.

Die Frage ist also: An wie vielen der über 31.000 Schulen in der Bundesrepublik existiert eine derartige Konstellation, während gleichzeitig die Schulleitung nicht in der Lage ist, diese Konflikte zu lösen und zudem noch eine Lehrerin mit Kopftuch arbeitet? Insgesamt dürften das ja bundesweit nicht mehr als ein paar Dutzend sein. Vor diesem Hintergrund entbehren Gefahrenszenarien, die hin- und wieder durch die Medien geistern, jeglicher sachlichen Grundlage.

IslamiQ: Warum ließen einige Länder ihre Gesetzestexte unverändert?

Boos-Niazy: Einige Länder wiesen darauf hin, dass ihr Verbot keine Privilegierung bestimmter Religionen/Weltanschauungen vorsah und deshalb nicht verändert werden müsste. Faktisch jedoch wurde ja anhand dieses vermeintlich neutralen Gesetzestextes ausschließlich kopftuchtragenden muslimischen Frauen der Zugang zum Schuldienst oder darüber hinaus verwehrt (von kippatragenden jüdischen Männern ist uns nichts bekannt). Genau das war ja das Ziel der Gesetze, wie sich anhand der Parlamentsprotokolle mühelos nachweisen lässt. Tatsächlich hat die Weigerung, die Gesetzestexte zu ändern, aus meiner Sicht politische Gründe.

Das Kopftuch ist nach wie vor ein Thema, das quer durch die Parteien emotional diskutiert wird. So finden sich in der CDU Stimmen, die gegen ein Kopftuchverbot sind und bei den Grünen Stimmen, die sich für ein Verbot aussprechen. Wir haben es also hier mit einem Thema zu tun, zu dem es nicht, wie bei anderen Themen einen Konsens in den jeweiligen Parteien gibt. Deshalb ist es schwierig und zeitaufwändig, einen Konsens zu finden und dafür ist die Gruppe der muslimischen Lehrerinnen einfach nicht wichtig genug. Zudem ist das kein Thema, mit dem man Wählerstimmen gewinnen kann, im Gegenteil. In Niedersachsen wurde zudem darauf hingewiesen, dass der Erhalt des Textes die Grundlage für ein Verbot aufgrund einer konkreten Gefahrenlage im Einzelfall sein kann.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
@ Andreas: Ihre Einschätzung, das Kopftuch sei etwas ganz Unschuldiges und Ideologiefreies, halte ich doch für sehr naiv. Das mag zwar auf manche Trägerinnen zutreffen, auch viele jedoch nicht. Schon gar nicht auf Fereshta Ludin, die ja durch ihren - angeblichen - Diskriminierungsprozess - wegen der Nichteinstellung in den deutschen Schuldienst eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Ihre Familie ging 1979 nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan ins Exil nach Saudi Arabien, einem der fundamentalistischsten und intolerantesten Länder. Diese dogmatische salafistische saudische Staatsideologie scheint Frau Ludin doch sehr stark inhaliert zu haben. Natürlich wird sie das nicht zugeben, dann wäre sie eine schlechte Lobbyistin.
26.04.16
7:51
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Keine Religion oder Weltanschauung ist davor gefeit, ideologisch missbraucht zu werden. Sich auf sein Grund- und Menschenrecht auf freie Religionsausübung zu berufen und dieses in einem Rechtsstaat notfalls einzuklagen, ist allerdings kein Beweis dafür, dass wir es beim Islam mit einer Ideologie zu tun haben.
26.04.16
11:17
Daniela sagt:
Ich glaube nicht, dass ich in Minirock, Sandalen und schulterfreiem Top in einem streng muslimischen Land unterrichten dürfte ( ob ich überhaupt unterrichten dürfte, weil ich ja eine Frau bin ). Für mich wäre es kein Problem, mich der Kleiderordnung, die in meinem Arbeitgeber-Land herrscht, anzupassen ( Wer zahlt, bestimmt die Musik ), aber für Menschen muslimischen Glaubens ist Integration bzw. Anpassung eine schiere Unmöglichkeit.
26.04.16
14:56
Frieder Schäfer sagt:
Der Artikel ist geprägt von der grünen Multikulti-Ideologie, die keine demokratische Ligitimation hat. Beispiel: .. in BW ist die christliche- abendländische Kultur privilegiert ... Ja, darf den die gastgebende Kultur nicht einen Vorrang beanspruchen? Gibt es ein Land auf der Welt - außer Deutschland - in dem Oberhaupt eine solche Frage gestellt werden kann? Meines Erachtens muss dem Gastrecht mit dem Hausrecht in Beziehung gesetzt werden.
27.04.16
14:34
Ute Fabel sagt:
@ Andreas: Welche positiven Werte und Ideale drückt Ihrer Meinung nach das Kopftuch eigentlich aus, vor welchen wir alle so tiefen Respekt haben sollen? Sollte die aufdringliche Zurschaustellung des eigenen (Aber-) Glaubens durch das Kopftuchtragen im öffentlichen Bildungssystem erlaubt werden, würde ich mir wünschen, dass möglichst viele atheistische Lehrer den Mut aufbringen im Unterricht Nudelsiebe aufzusetzen. Gleiches Recht für alle! Wenn Pädagogen ihren (Aber)-Glauben allen unter die Nase halten dürfen, dann muss das auch für den Unglauben gelten. In Neuseeland wurde den atheistischen Pastafaris soeben staatlich das Recht zuerkannt Ehen zu schließen
27.04.16
18:04
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Mit unsinnigen Forderungen kommen wir auch nicht weiter. Statt die Diskussion um das Kopftuch immer weiter ins Lächerliche zu ziehen, könnte man Musliminnen einfach ihr Kopftuch tragen lassen. Als das, was es ist, ein Kleidungsstück. Es muss keinerlei Werte und Ideale ausdrücken. Das genau ist der Denkfehler der Islamgegner. Ein Nudelsieb ist dagegen eigentlich kein Kleidungsstück, sondern ein Küchengerät. Und einen Lehrer, der meint, so etwas im Unterricht auf dem Kopf tragen zu müssen, kann ich nicht wirklich ernst nehmen. Ich wusste auch nicht, dass alle Atheisten meinen, das Tragen eins Nudelsiebs auf dem Kopf sei eine atheistische Notwendigkeit. Es ist doch wohl eher eine Art Karikatur, die einzig dazu dienen soll, sich über religiöse Menschen lustig zu machen. Atheisten, die das nötig haben, sind für einen fruchtbaren Gedankenaustausch völlig ungeeignet.
28.04.16
11:08
Ute Fabel sagt:
Parodien und Karikaturen sind oft die besten Augenöffner, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Sie machen selbst gar nichts lächerlich sondern zeigen nur die vorhandene Lächerlichkeit jener Verhaltensweisen auf, die sie aufs Korn neben. Eine Frau, die ihre persönliche Identität durch das kompromisslose Tragen einer Religionsuniform definieren will, ist hochgradig dogmatisch und verbohrt und verdient keinen Repekt. Falscher und unverdienter Repekt ist gefährlich und schädlich. Bei Religionen und Ethik sollte es um innere Werte gehen, nicht um Äußerlichkeiten. Niko Alm, der mittlerweile Abgeordeter im österreichischen Parlamt ist, konnte ein Führerscheinfoto mit Nudelsieb durchsetzen. Warum nicht? Das ist doch lustiger anzusehen, als die Kopftuch- Einförmigkeit, zu denen in Religionsdiktaturen wie dem Iran und Saudi Arabien Frauen gezwungen werden.
29.04.16
10:40
Carina sagt:
@Ute Fabel: Es macht aber einen Unterschied, ob diese Parodien und Karikaturen aus den eigenen Reihen kommen und tatsächlich Kritik darstellen oder von außen und eigentlich nur Hetze darstellen.
12.05.16
14:17
Manuel sagt:
@Carina: Saitre ist dann auch noch Hetze wenn es den Islam betrifft oder?
21.05.16
11:03
Kritika sagt:
L.S. Der Bericht berichtet: » Sie ( Gabriele Boos-Niazy) befasst sich hauptsächlich mit den rechtlichen Konstellationen rund um das Kopftuch « Traurich, wenn man (oder hier Frau) so einen Unsinn wie das Kopftuch zum Lebensinhalt gemacht hat. Kann sie Ihr Leben wirklich keinen tieferen Sinn geben? Und wer bezahlt sie eigentlich dafür? Gruss, Kritika
24.10.18
23:36
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