„Islamismus“ und Co.

Dringend gesucht: neue Begriffe

Die einen möchten die Ereignisse beim Namen nennen: Wenn Muslime ein Verbrechen „im Namen des Islams“ begehen, sei das „Islamismus“. Die anderen wehren sich gegen den Generalverdacht: Gerade die Vermischung mit dem Islam sei falsch. Ali Mete gibt einen Überblick über die Diskussion.

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2015
Brockhaus © by Thomas Kohler auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

Muslime durchleben wieder Tage des Erklärungszwangs. Ständig müssen sie erklären, dass Dschihad kein „heiliger Krieg“ und Islam nicht Terror ist. Dschihad ist für Muslime die stete Bemühung, Gottes Wohlwollen zu erlangen und „Islam ist Frieden“, so ein griffiger Slogan. Wenn es doch nur so einfach wäre!

Einer der Hauptgründe für die Erklärungsnot der Muslime ist die tägliche Verwendung dieser zentralen Begriffe – aber mit dezidiert negativer Konnotation. Mit dem neuen globalen Terrorismus sind die Kampfbegriffe „Islamismus“, „Salafismus“ und neuerdings „Dschihadismus“ in aller Munde. Ohne Weiteres werden sie von Wissenschaft, Politik und Medien verwendet. Noch schlimmer ist, dass sie auch von Muslimen – vom einfachen Moscheegänger bis zum Spitzenvertreter – leichtsinnig gebraucht werden. Im Grunde ist das nicht verwunderlich. Wenn Begriffe wie „Islamismus“ und Islam oft genug und lange Zeit miteinander vermischt werden, wird man den „Islamismus“ automatisch mit dem Islam assoziieren und auch dessen Bedeutungen übernehmen.[1] Ehe man sich versieht, ist ein Jahrzehnt vergangen, in dem islamische Gemeinschaften sich immer wieder gegen derlei gesellschaftlich destruktive Begriffe gewendet haben.

„Islamismus“-Definitionen: kontraproduktiv bis gefährlich

Für den Verfassungsschutz ist Islamismus eine „religiös motivierte Form des politischen Extremismus“. Besonders interessant für ihn sind Organisationen, die einer vermeintlich „legalistischen Strategie“ folgen, um „ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen“.[2] Ein islamisches, da schariakonformes, Leben ist also extremistisch!? Dieses Verständnis ist undifferenziert und fatal für die Partizipation der islamischen Gemeinde in Deutschland. Denn gerade die Gewährleistung der umfassenden Religionsausübung ist Ziel und Zweck einer jeden islamischen Gemeinschaft.[3] Man sieht also, dass der Begriff des „Islamismus“ kaum von der legitimen Arbeit islamischer Gemeinschaften unterschieden werden kann. Mit anderen Worten: Nach der Logik des Verfassungsschutzes sind alle islamischen Gemeinschaften „legalistische Islamisten“.

Nicht weniger problematisch ist die mediale und politische Verwendung von „Islamismus“. Vorab ist zu bemerken, dass es nach den jüngsten Pariser Anschlägen eine gewisse Bemühung um differenzierte Berichterstattung gab, die die Ereignisse beim Namen nannte: nämlich als Terror – wenn auch mit dem Zusatz „islamistisch“. Ein anderes Beispiel ist die Bezeichnung „IS“. Viele Medien sprechen vom „sogenannten IS“. Trotzdem wird hier einer terroristischen Organisation eine gewisse Staatlichkeit und Islamkonformität zuerkannt. In beiden Fällen ist das „Islamische/Islamistische“ wesentlicher Bestandteil der medialen Bezeichnung.

Die Wissenschaft indes interessiert sich in erster Linie für das Phänomen „Islamismus“. Es findet eine Verschiebung des Forschungsinteresses hin zur Ursachenforschung statt. Aber auch hier wird an Begriffen wie „Islamismus“ und neuerdings „Dschihadismus“ festgehalten. Exemplarisch für diese Entwicklung sei die Arbeit von Jürgen Manemann genannt. Der Titel seines Buches, „Der Dschihad und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg?“[4], lässt erahnen, wo Manemann die Ursachen der aktuellen Entwicklungen sieht. Allerdings wird auch in diesem Buch an dem Begriff „Dschihadismus“ festgehalten.

Das Problem aus muslimischer Sicht

Das Hauptproblem aus muslimischer Perspektive ist, dass grundlegende Begriffe der Religion, ja der Name der Religion selbst, vollends in einen negativen Kontext gesetzt werden. Es wird zugelassen, dass Extremisten Begriffe vereinnahmen, was einer schleichenden Legitimation gleichkommt. Dies geschieht in einer derart pauschalisierenden Form, dass die bloße Ablehnung dieser Assoziation dazu geeignet ist, Misstrauen zu erwecken. Somit wird die ganze Gemeinschaft unter Verdacht gestellt. Kurz: Der Begriff des „Islamismus“ ist aus muslimischer Perspektive abzulehnen, da in ihm das Wort Islam vorkommt.

Dasselbe gilt für den Dschihad. Eine das muslimische Leben durchdringende Einstellung, die im Einsatz für Gerechtigkeit in der Gesellschaft mündet, sollte eigentlich begrüßt werden. Stattdessen wird ein Wort wie „Dschihadismus“ erfunden und damit der religiösen Referenz für gesellschaftliches Engagement von Muslimen der Boden entzogen.

Dringend gesucht: Alternativen

Die Diskussion über diese Begriffe ist nicht neu, sondern wird auch innermuslimisch seit vielen Jahren geführt. Umso wichtiger ist es, dass endlich Alternativen gefunden werden. Zwei Dinge sind dabei besonders wichtig: Erstens müssen – so banal das klingt – die Probleme beim Namen genannt werden. Das Problem ist nicht der Islam, ja eigentlich ist es auch nicht der „Islamismus“, wenn er als selbstverständliche Bezugnahme auf die religiösen Referenzen verstanden wird. Das ist z. B. bei christlichen Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen oder bei christlichen Politikern der Fall. Beide haben einen religiös begründeten Auftrag oder zumindest verorten sie die religiöse Referenz für ihr Handeln im christlichen Glauben. Solange diese Handlung nicht grundgesetzwidrig ist, kann niemand belangt werden. Niemand wird auf die Idee kommen und diese Personen des „Christianismus“ bezichtigen, weil sie versuchen, ihren Anhängern und auch Andersgläubigen (!) Räume für ein „christliches“ Leben anzubieten.[5]

Zweitens müssen auf der Grundlage der Phänomene die Ursachen erforscht werden. Phänomene sollten nicht vorschnell benannt werden, ohne die Ursachen geklärt zu haben. Genau das wird beim „Islamismus“, später beim „Salafismus“ und nun beim „Dschihadismus“ gemacht. Ausgehend von den Äußerungen terroristischer Gruppen werden deren Selbstbezeichnungen leichtgläubig übernommen. Die Wirkung derartiger Begriffsverwendungen wird hier unterschätzt. Im Gegensatz dazu: Islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland versuchen seit vielen Jahren Politik und Medien dazu zu bewegen, sie als eben solche zu bezeichnen. Vergebens: noch immer sind sie im besten Fall muslimische Verbände und Vereine, nicht islamische Religionsgemeinschaften!

 


[1] Das zeigt schon die Sinus-Milieustudie „Diskriminierung im Alltag“ aus dem Jahre 2009. http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/ publikationen/zusammenfassung_Diskriminierung_im_Alltag_Sinusstudie.pdf?__blob=publicationFile; S. 6f.

[2] https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/_lI#islamismus (22.12.2015).

[3] siehe dazu die Satzungen bzw. Selbstdarstellungen der großen islamischen Religionsgemeinschaften DITIB (http://www.ditib.de/default1.php?id=5&sid=10&lang=de), Islamrat (http://islamrat.de/selbstdarstellung/), VIKZ: (http://www.vikz.de/info/satzung.pdf) und ZMD (http://zentralrat.de/2596.php).

[4] Jürgen Manemann, „Der Dschihad und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg?“, Bielefeld 2015, (Hervorhebungen von AM).

[5] Ähnliches gilt für das türkische Pendant „İslamcı“, das nicht unbedingt negativ verstanden wird. „İslamcılık” bezeichnet die Neuinterpretation von Theorie und Praxis islamischer Prinzipien in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Leserkommentare

Vincent Berger sagt:
Wenn Muslime nicht wollen, dass Terror im Namen des Islam als "islamistischer Terror" bezeichnet wird, so gibt es dafür eine einfache Möglichkeit. Endlich eine breite, öffentliche, demokratisch, kritische Auseinandersetzung mit dem Koran führen! Endlich eine kritische Auseinandersetzung speziell mit gewissen, problematischen Suren, die von Terroristen zitiert und benutzt werden. Solange dies nicht in nennenswerter Weise öffentlich passiert, muss sich keiner wundern, wenn die "Ungläubigen" Angst und Sorge vor dem Islam haben. Ich - als deutscher Atheist - habe den Koran gelesen und bin absolut entsetzt gewesen, welche kämpferische, immer wiederkehrende Linie gegenüber Christen, Juden und Ungläubigen da propagiert wird. Ich habe mich nach der Lektüre sogar gewundert, dass es nicht viel mehr Islamischen Terror gibt, denn was da teilweise im Koran steht, kann einem nur Grund zur Sorge geben. Solange aber die islamische Welt überwiegend jede historisch, kritische ,moderne Interpretation des Korans ablehnt, solange demokratische Proteste gegen die erzkonservativen Führer der überwältigenden Mehrheit aller islamischen Ländern ausbleiben, werden die Besorgnisse der Menschen hinsichtlich des Islam nicht geringer werden. Es ist ganz einfach: solange keine erkennbare, grosse islamische Bewegung für eine moderne "Neu-interpretation" des Korans erkennbar wird, solange keine breite, selbstkritische, islamische Debatte stattfindet, warum es seit Jahrhunderten keinerlei Fortschritt, keine nennenswerte Erfindungen aus islamischen Ländern gibt - wird der Nährboden für islamistischen Terror auch nicht verschwinden.Die islamische Welt braucht pluralistische Bildung, Aufklärung, Kämpfer für Demokratie und Liberalität, nur dann kann sie sich irgendwann mal von ihren eigenen Tyrannen und ihren Extremisten befreien. Ich nehme an, dass Sie diesen Kommentar nicht drucken, weil er Ihnen zu islamkritisch und Ihnen jede wirkliche Islamkritische Debatte - auch wenn sie unendlich notwendig und heilbringend wäre - nicht angenehm ist. Damit würden Sie dann nur exakt bestätigen, was ich geschrieben habe. Sollten Sie ihn drucken, Respekt.
27.12.15
13:52
Ali M. sagt:
Lieber Herr Berger, wie Sie sehen, wurde Ihr Kommentar freigeschaltet, denn solange diese einem sachlichen Austausch dienen, wird nicht darauf geschaut, was geschrieben wird, sondern wie geschrieben wird. Bez. Ihrer impliziten Forderung, 'der Islam' solle sich 'reformieren', sei auf den Debattenbeitrag von Hakki Arslan verwiesen: http://www.islamiq.de/2015/11/22/13826/ 'Islamismus' hat nunmal den Nachteil, dass dort das Wort 'Islam' vorkommt. Wenn man immer wieder betont - und das tun sehr viele -, dass nur ein sehr geringer Teil der Muslime 'extremistisch' ist, ist es dann nicht falsch, gleich den Namen einer ganzen Religion zu benutzen? Vermutlich sind die IS-Leute stolz, wenn sie 'Islamisten' genannt werden. Man muss die Phänomene beim Namen nennen. Darum geht es hier. Denn beim 'Islamismus' habe ich den Eindruck, dass hier die Ursachen des Phänomens ausgeblendet/übersprungen werden und direkt die Religion an sich zur Ursache gemacht wird. Das Wesen des Glaubens einer ganzen Religionsgemeinschaft wird unter Generalverdacht gestellt.
27.12.15
18:19
Trara sagt:
@Ali M.: Warum wird immer nur die Terrororganisation IS erwähnt, wenn es um Islamismus geht? Es gibt sehr viele andere islamistische Gruppierungen in Syrien, im Irak, im Jemen, in Libyen, usw. Die islamistische Terrororganisation IS besitzt nur eine "effektivere" PR-Abteilung, um es überspitzt zu sagen. Was ist mit den Taliban in Pakistan und Afghanistan? In Bangladesh werden Menschen von Islamisten ermordet. In Indonesien und auf den Malediven breitet sich der fundamentalistische und extremistische Islam immer weiter aus, usw. Es sind doch nicht nur einzelne extremistische Gruppen, sondern auch komplette Systeme, siehe Saudi-Arabien. Alles nur "Phänomene", Herr M.?
27.12.15
20:26
Remmets Giwdul sagt:
Vor Jahren schrieb ich – Fathwa: Weisung, Erklärung, Definition – Dass verschiedene muslimische Vereine einer Erklärung von Christen und Juden beigetreten sind, wonach ein Mord im Namen Gottes (Allahs) nicht erlaubt ist/sei, ändert nichts daran, dass eine von allen Oberen, weltweit anerkannten Islamgelehrten, Immamim usw. keine mir bekannte Fathwa im Umlauf gesetzt oder erlassen wurde, wonach solche Mörder nicht nur keine Märtyrer sind und auch kein muslemisches Paradies nach ihrem Morde, sondern die Tschehennah und der Sheitan (Teufel) auf sie wartet. Der Beitritt allein genügt nicht, sein Inhalt wird von den Anzusprechenden nicht ernst genommen. Nur nebenbei sei auf folgende Sure und Abschnitt im Koran hingewiesen: Sure acht/24 oder 25 oder 26 je nach Zählweise der verschiedenen Kranausgaben: „Und hütete euch vor einer Versuchung, die nicht nur besonders diejenigen von Euch treffen wird, die Unrecht taten. Und wisset, dass Alläh streng im Bestrafen ist.“ (Aus der Übersetzung von Scheich Abdulläh as Sämit, Frank Bubenheim und Dr. Nadeen Elyas) Der „Allerbarmer und Barmherzige“, hat er nicht davor gewarnt, dass er nicht nur diejenigen, welche „Unrecht“ tun oder taten, sondern auch alle Rechtgläubigen von ihm bestraft werden – modern ausgedrückt – unter den „Generalverdacht“ des Unrechts fallen?
27.12.15
23:25
Charley sagt:
@Remmets Giwdul: “Vor Jahren schrieb ich – Fathwa: Weisung, Erklärung, Definition"...... Wo (?) schriebst du? Ansonsten gut und klar. Genau dieser Verdacht, dass bei aller verbal bekundeten Ablehnung von Gewalt doch bei vielen Moslems ein Überlegenheitsgefühl ("wahre" Wahrheit) existiert, welches einen Machtanspruch legitimiert welcher das evlt. (!) einen ("klammheimlichen" (!)) Gewaltanspruch rechtfertigt,... genau dieser Verdacht lebt vielfach ("Witze über Mohammed, Allah, Koran können tödlich sein"), und..... woher weiß ich, dass DER Moslem, mit dem ich grad Rede, nicht auch ein Fanatiker ist?
02.01.16
9:33
charley sagt:
"Das eigentliche Problem des Islams sind nicht die Extremisten, die sind nur Symptome. Das Problem sind die Reformverweigerer." Der Theologe Mouhanad Khorchide über den schwierigen Prozess, den Islam zu reformieren. (das ganze Interview ist über google zu finden!)
04.01.16
14:12