Islamdiskurs

„Islamismus“!? – Muslime fordern Begriffsänderung

Im öffentlichen Diskurs werden Begriffe wie „Islamismus“ ohne Bedenken verwendet. Viele Muslime haben aber ihre Probleme damit. Es ist Zeit für eine Begriffsänderung. Aber welche?

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2015
Worte © Nina A.J. auf flickr, bearbeitet by IslamiQ.

Nachdem Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime (ZMD), im Interview mit der taz (Samstag), den Begriff „Islamismus“ verwendete, erntete er viel Kritik. Mazyek wird in der taz wie folgt zitiert: „Wenn man es wirklich ernst meint damit, den Islamismus zu bekämpfen, dann braucht man die Muslime als Partner.“

Mazyek distanzierte sich später auf Facebook davon und gab an, „dass der Begriff Islamismus sich eingeschlichen“ habe. Er lehne diesen Begriff „rundherum ab“, da er sich mittlerweile zu einem „Kampfbegriff“ entwickelt habe. Außerdem verdeutlichte er, dass unter dem Begriff „Islamismus“ jeder etwas anderes verstehen könne, z. B. die „IS-Terroristen“. Rein semantisch könnten aber auch islamisch geprägte Parteien, wie die Muslimbrüder in Ägypten, unter den Begriff „Islamismus“ fallen. Es müsse einen „adäquate(n) Ersatzbegriff“ geben, der einen innermuslimischen, wissenschaftlichen Austausch mit sich ziehe.

Der Vertreter des Islamrats im Koordinationsrat der Muslime (KRM), Murat Gümüş, bewertet die Begriffsänderung ebenfalls als fällig: „In den vergangenen drei Monaten wurde in der KRM Runde vier Mal und in persönlichen Gesprächen gefühlte 20 Mal der Vorschlag unterbreitet, Begriffe wie ‚Islamismus’ etc. durch Einbindung von Wissenschaftlern und Interessierten gemeinsam zu erörtern und ein gemeinsames mögliches Vorgehen anzudenken. Bis heute stieß dieser Vorschlag auf wenig Interesse und Zustimmung. Ich wundere mich daher und bin gleichzeitig froh, dass sich nun doch einige dazu bewogen haben, das Thema so anzugehen.“

Auch der Journalist Eren Güvercin kommentierte die Diskussion auf Facebook und schlägt vor, dass der KRM ein „Glossar als Formulierungshilfe in der Berichterstattung“ erstellen soll. Manche folgten Mazyeks Aufruf, Alternativen vorzuschlagen. Unter den Vorschlägen befinden sich Begriffe wie „muslimischer Neofanatismus“ oder „muslimischer Fundamentalismus“ als Ersatz für „Islamismus“. Einig ist man sich jedoch darin, dass es nicht „islamischer Terrorismus“ oder „Islamismus“ heißen sollte, da man so den Begriff „Islam“ fälschlicherweise semantisch abrufen würde und somit eine ideologische Nähe assoziieren könnte. Das Adjektiv „muslimisch“ sei hingegen tragbar, da es eine Konzentration auf den Menschen bewirke, so Mazyek.

Leserkommentare

shm sagt:
„Glossar als Formulierungshilfe in der Berichterstattung“ - eine Sprachpolizei wollen Sie also !! Herr Eren Güvercin - Sie sind ein Polit-Agitator kein Journalist - oder als solcher eine unerträgliche Schande für unseren Berufsstand !!! Ansonsten - dass sich ideologisch-religiöse Agitationsfuzzis zu Sprachkontrolleuren aufspielen, sollte Anlass genug sein sie kräftigtst auf die Pfoten zu hauen - noch gilt in diesem Land der Artikel 5 des Grundgesetzes = EINE ZENSUR FINDET NICHT STATT SHM
21.12.15
18:54
Ali sagt:
Es geht nicht um Zensur, sondern um eine verantwortungsbewusste Sprache. 'Islamismus' hat nunmal den Nachteil, dass dort das Wort 'Islam' vorkommt. Wenn man immer wieder betont - und das tun sehr viele -, dass nur ein sehr geringer Teil der Muslime 'extremistisch' ist, ist es dann nicht falsch, gleich den Namen einer ganzen Religion zu benutzen? Vermutlich sind die IS-Leute stolz, wenn sie 'Islamisten' genannt werden. Man muss die Phänomene beim Namen nennen. Darum geht es hier.
21.12.15
22:12
Enail sagt:
Welcher Religion nennen sich diese Terroristen zugehörig? Ich denke, dass das alles Muslime sind. Und sie halten sich nun mal an den Koran, der leider nicht nur friedliche Seiten sondern auch eben Gewalt predigt. Und da es angeblich Gottes Wort ist, darf es auch nicht infrage gestellt werden. Sie leben nicht die friedliche Seite dieser Religion aus, sondern halten sich an die gewalttätige Seite. Sie gehören dem Islam an und auf Grund ihres Handelns und Tuns können sie ruhig als Islamisten bezeichnet werden, denn es ist der Islam auf den sie sich berufen und ihre Verbrechen auf der gesamten Welt damit rechtfertigen.Es ist eine Wortglauberei, und wieder so typisch für Muslime, die alles ablehnen und verhandeln wollen was nicht in ihr Konzept passt.
22.12.15
1:55
Johannes Disch sagt:
Mazyek hat Unrecht, wenn er den Begriff "Islamismus" ablehnt und es zeigt, dass Mazyek nicht auf der Höhe der Forschung ist. Islamismus ist schon seit Anfang der 90iger Jahre ein anerkannter Begriff in der Internationalen Sozialwissenschaft. (Religiöser) Fundamentalismus ist die Politisierung von Religion. Das ist die wissenschaftlich anerkannte Definition von religiösem Fundamentalismus. Fundamentalismus gibt es in allen Weltreligionen. Beim Islam ist die fundamentalistische Variante der Islamismus. lg Johannes Disch
22.12.15
11:44
Charley sagt:
Es geht wohl um eine Abgrenzung. Wohl an! Aber dann auch inhaltlich und wenn man sich dann von vielen diffusen, unge-klär-ten Spielarten des Islam abgegrenzt hat und damit eine gesun(den)de Selbstfindung vollzogen hätte, so könnte etwas Erfrischendes durch die Welt gehen und wie sich dann dieser Islam nennt, es könnte ein Bedürfnis sein, da dann dazu gehören. Wie sich dieser Islam dann nennt, ist nebensächlich. Also, warum um die Bestimmung eines alten Begriffs kämpfen als einen neuen Inhalt dann auch neu benennen?
22.12.15
13:04
Johannes Disch sagt:
Islamismus ist-- wie ich bereits in meinem ersten Posting sagte-- ein wissenschaftlich anerkannter Fachbegriff. Die Musik spielt da natürlich hauptsächlich an US-Universitäten. Grundlegend ist das fünfbändige Werk "Fundamentalism Project" der "Academy of Arts and Science" (Chicago Press, 1991-1996, erweiterte Neuauflage 2008). Deutsche Islamwissenschaftler spielen da so gut wie keine Rolle. Erst Recht kein Abdel-Samad. So viel zur "Qualität" der deutschen "Islamkritiker." (Es gibt lobenswerte Ausnahmen wie Tilman Nagel und Mathias Rohe und noch einige wenige andere. Die meisten deutschen "Islamkritiker" kennen dieses fünfbändige Grundlagenwerk nicht. Das spiegelt sich auch in dem "Niveau" der endlosen deutschen "Islam-Reform-Debatte." Es ist absurd, wenn Mazyek vorschlägt, einen wissenschaftlich anerkannten Begriff nicht mehr zu verwenden. Da drängt sich tatsächlich der Eindruck auf, als wollte jemand Sprachpolizei spielen. Bei "Islamismus" kommt das Wort Islam vor?? Ah, da schau her. Die Djihadisten des IS verstehen sich nun mal als Muslime und sie berufen sich auf den Koran. Dass Sie das selektiv tun und den historischen Kontext der Suren ausblenden oder nicht kennen, ändert daran nichts. Auch der islamische Fundamentalismus ist vielfältig. So ist nicht jeder Fundamentalist oder Orthodoxe ein Djihadist. Und auch der Salafismus-- der eine Spielart des fundamentalistischen Islam ist-- hat viele Facetten. Und auch die "Muslimbrüder" gehören nun mal zum Politischen Islam. Genauso wie die türkische AKP. Will sagen: Das Phänomen ist vielfältig und man muss sich schon ein bisschen auskennen und in der Lage sein, die Dinge differenziert zu betrachten. Dabei ist ein Vorschlag wie der von Mazyek nicht hilfreich. Es nützt nix und ist wenig glaubwürdig und wenig hilfreich, wenn gewisse Verbandsvertreter immer wieder reflexartig rufen, das alles-- der Terror des IS-- hätte nix mit "Dem Islam" zu tun. Hat es sehr wohl. Und der erste Schritt für eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit diesem Phänomen liegt darin, dass muslimische Verbandsvertreter das endlich eingestehen und nicht immer wieder versuchen, das mit Begriffsakrobatik zu vernebeln. lg Johannes Disch
22.12.15
14:23
Charley sagt:
@Johannes Disch: schlicht und einfach: Respekt vor feiner Klarheit! Wirklich zitierenswert!
24.12.15
10:51
Johannes Disch sagt:
@Charley Danke. Ich wünsche Ihnen -- und natürlich auch allen Anderen-- ein Frohes Fest und einen "Guten Rutsch." lg Johannes Disch
24.12.15
12:52
Ali M. sagt:
@Johannes Disch: Mit dem Begriff 'Fundamentalismus' kann ich persönlich leben. Er ist religionsübergreifend, ja geht über Religionen hinaus. Beim 'Islamismus' ist es aber so, dass hier die Ursachen des Phänomens ausgeblendet/übersprungen werden und direkt die Religion an sich zur Ursache gemacht wird. Es ist selbstverständlich, dass sich Muslime und deren Vertreter zu Wort melden. Immerhin wird hier das Wesen des Glaubens einer ganzen Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht gestellt.
25.12.15
23:00
Johannes Disch sagt:
@Ali M. -- "Immerhin wird hier das Wesen des Glaubens einer ganzen Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht gestellt." (Ali M.) Nicht, wenn man zwischen dem Islamismus als einer politisch-totalitären Pervertierung des Islam und dem Islam als spiritueller Religion unterscheidet. Leider treffen viele pauschale "Islamkritiker" diese Unterscheidung nicht mehr, sondern erklären den Islamismus zu einer Erfindung von Islamwissenschaftlern. Diese pauschalen "Kritiker" behaupten, es würde diesen Unterschied nicht geben oder der Islam sei nur politisch zu interpretieren. Und manche-- wie der unselige Abdel-Samad-- gehen sogar so weit, zu behaupten, niemand hätte Mohammed besser verstanden als der IS. So entsteht ein Generalverdacht. Und dem ist natürlich vehement zu widersprechen. Ein Generalverdacht ist abzulehnen. Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber wenn man den Begriff "Islamismus" inhaltlich korrekt verwendet, dann geht er meines Erachtens in Ordnung. lg Johannes Disch .
26.12.15
0:44
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