Muslimische Jugend Deutschland

„Eine Verbundenheit über die Landesgrenzen hinaus“

Der Tag der offenen Moschee (TOM) steht vor der Tür. Dieses Jahr unter dem Zeichen der muslimischen Jugend in Deutschland. Aus diesem Anlass hat IslamiQ eine Reihe von Beiträgen vorbereitet, in denen die muslimische Jugend aus verschieden Perspektiven vorgestellt wird. Dunya Adigüzel schreibt über die transnationale Vernetzung der muslimischen Jugend.

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09
2015
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Muslimische Jugend. © ZouZou auf shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.

Parallel zu der Entwicklung von Moscheegemeinden hat sich in Europa auch eine sehr vielfältige muslimische Jugendarbeit entwickelt. In der transnationalen Vernetzung der muslimischen Jugendlichen ist ein entscheidender Impuls für diese Entwicklung zu sehen. Denn durch den Austausch wurden in den vergangenen 30 Jahren viele, positive Anstöße zum Nachahmen gegeben. Grob kann diese Entwicklung in zwei Vernetzungsgruppen muslimischer Jugendarbeit unterteilt werden. Zum einen ist es die Entwicklung durch die Vernetzung innerhalb einer Großorganisation, die in sich eine Jugendabteilung gebildet hat. Zum anderen haben muslimische Jugendliche eigenständige Organisationen gegründet und sind über diese im Austausch mit Schwesterorganisationen in anderen Ländern. Im Folgenden sollen diese beiden Organisationsformen am Beispiel von ausgewählten Organisationen beschrieben werden.

Die Organisation von muslimischen Jugendlichen innerhalb etablierter muslimischer Religionsgemeinschaften lässt sich am Beispiel der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) beobachten. Die IGMG ist eine europaweite, islamische Religionsgemeinschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den religiösen Bedürfnissen von Muslimen in Europa nachzukommen. Eine ausgefeilte, muslimische Jugendarbeit wurde dabei schnell zu einer Notwendigkeit. Angeleitet durch erwachsene Muslime wurde seit 1985 eine Struktur muslimischer Jugendarbeit entwickelt, die in allen Moscheegemeinden der IGMG europaweit vorzufinden ist. Diese einheitliche Struktur konnte sich deshalb entwickeln, weil die Vernetzung der Jugendarbeit der Moscheegemeinden über die Jugendorganisation in der IGMG Zentrale gewährleistet war. Seit nun mehr 30 Jahren kommen Jugendliche auf der Führungsebene der Jugendabteilungen aus den verschiedenen Ländern Europas, die über Moscheegemeinden der IGMG verfügen, zusammen, um sich gegenseitig zu beraten und auszutauschen.

Allerdings bleibt es nicht allein bei einem strukturellen Austausch der Führungsebene der IGMG Jugendabteilungen. Die Tätigkeitsbereiche der Jugendarbeit umschließen gegenseitige Besuche und den Austausch der Jugendlichen untereinander. Bei größeren wie bei kleineren Kulturreisen besuchen die Jugendgruppen die Moscheegemeinden anderer Regionalverbände. Neben der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten der anderen Länder kommt man dabei auch mit den Jugendlichen vor Ort zusammen. Dadurch lernt man sich näher kennen, tauscht sich über Probleme und Best Practice aus und erfährt, wie es um die Jugendarbeit bei den anderen steht.

Eine weitere Maßnahme zur Vernetzung stellen die regelmäßig stattfindenen Wettbewerbe dar, die von der zentralen Jugendabteilung angeleitet und von allen Regionalverbänden der IGMG durchgeführt werden. Bei diesen Wettbewerben stellen die Jugendlichen ihre Fähigkeit in Bereichen wie Koranrezitation, Gedichte schreiben, Kurzflime oder Fotografie, Gebetsruf oder Wissen unter Beweis. Diese freundschaftlichen Wettkämpfe unter den Jugendabteilungen der verschiedenen IGMG Regionalverbände innerhalb Europas führt zu einer besonderen Art der Verbundenheit der Jugendlichen untereinander. Darauf zielen auch die groß angelegten Veranstaltungen der Zentrale ab, bei denen jährlich Tausende Jugendliche aus ganz Europa zusammenkommen. Auf diesen Symposien zu gesellschaftlichen, philosophischen, politischen und anderen Themen kann man beobachten, wie stark diese Gemeinschaft inzwischen geworden ist. Hier findet ein freudiges Wiedersehen schwedischer, deutscher, belgischer oder französischer Muslime statt, und es hat den Anschein, als wäre es ein großes Familientreffen. Was alle verbindet, ist einmal die Zugehörigkeit zum Islam als gemeinsame Religion und zur IGMG als Gemeinschaft. Darüber hinaus ist aber auch die türkische Sprache als gemeinsames Kommunikationsmittel von zentraler Bedeutung.

Transnationale Vernetzungen

Wo aber die gemeinsame Sprache die Jugendlichen vereint, schließt sie aber ungewollt andere Jugendliche, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind, aus. Dies brachte muslimische Jugendliche, die sich nicht in den zumeist ethnisch ausgerichteten Moscheegemeinden wiederfanden, dazu, eigene Strukturen zu entwickeln. Für die Entwicklung dieser Form der muslimischen Jugendarbeit ist die transnationale Vernetzung ebenfalls von zentraler Bedeutung. Der erste Anstoß kam dabei aus England. Hier sind Muslime durch die gesetzlichen Regelungen besser gestellt, als in manch anderem europäischen Land. Dadurch konnte sich eine muslimische Jugendarbeit entwickeln, die auch von staatlicher Förderung profitiert und so eine gewisse Professionalität entwickeln konnte. Mitte der 80er Jahre wurde hier die „Young Muslims UK“ (YMUK) gegründet, die neben anderen Programmen jährlich Camps für muslimische Jugendliche organisieren. Diese Camps sind aber nicht allein für muslimische Jugendliche aus England, sondern grundsätzlich allen Jugendlichen offen. Durch Mundpropaganda kam es dann Anfang der 90er dazu, dass muslimische Jugendliche aus Deutschland von den Camps erfuhren und daran teilnahmen. Begeistert von der Organisation und den Programmen für muslimische Jugendliche beschlossen diese deutschen-muslimischen Jugendlichen, etwas Ähnliches in Deutschland zu etablieren. Daraus entstand dann 1994 mit einem ersten Zeltlager die „Muslimische Jugend in Deutschland“ (MJD). Organisatorisch wie strukturell verbindet die YMUK und die MJD zwar nichts. Allerdings tragen beide die Idee mit Fokus auf das Land, indem man lebt, für muslimische Jugendliche zu arbeiten. Die MJD erntwickelte ähnlich wie die YMUK in England Camps für muslimische Jugendliche.

Nicht lange nachdem die MJD mit ihrem Jahresmeeting, welches inzwischen eine Teilnehmerzahl von jährlich 1000 Jugendlichen zählt, Fuß gefasst hatte, kamen auch Teilnehmer aus Österreich dazu. Dieser Dominoeffekt erreichte inzwischen auch die Schweiz und Italien, wo sich ähnliche Organisationen durch den Kontakt zu der MJD gegründet haben. Aber auch in Frankreich finden jährlich Großveranstaltung für muslimische Jugendliche in der Landessprache statt, die aber ein europaweites Publikum finden. Neben den gegenseitigen Besuchen der größeren Veranstaltungen werden von den muslimischen Jugendorganisationen auch Länderreisen organisiert. So werden durch die MJD nach wie vor Studienreisen in unterschiedliche Länder wie England, Schweden oder auch der Türkei organisiert, bei denen der Austausch mit muslimischen Jugendlichen vor Ort auf dem Programm steht.

Neben dem Austausch von Best Practice innerhalb der muslimischen Jugendarbeit wird die transnationale Vernetzung auch für eine emotionale Unterstützung genutzt. Wie leben die Jugendlichen in den anderen Ländern? Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen? Wie gehen sie mit Diskriminierung und Ausgrenzung um? Welche Ansätze haben sie? Bei den Besuchen macht man sich gegenseitig Mut und erzeugt durch das Kennenlernen und die Gespräche eine Verbundenheit über die Landesgrenzen hinaus.

Verbundenheit über die Grenzen

Über die Gründung von Jugendorganisationen in den einzelnen Ländern Europas entstand 1994 auch ein europäisches Netzwerk für muslimische Jugendorganisationen: „Forum of European Muslim Youth and Student Organisation“ (FEMYSO). Hier wird versucht über Workshops und Seminare muslimische Jugendliche zu vernetzen und in Themenbereichen wie Antirassismusarbeit zu stärken. Auch wenn FEMYSO sich selbst als einziges Sprachrohr muslimischer Jugendlicher beschreibt, sind die Aktivitäten durch das eher sporadische Engagement der Mitgliedsorganisationen sehr begrenzt. Die Mitgliedsorganisationen sind unter anderem die Jugendorganisation der IGMG, aber auch eigenständige Jugendorganisationen wie die MJD sind vertreten. Das besondere an FEMYSO ist es, dass hier muslimischen Jugendorganisationen eine Plattform haben, auf der sie miteinander reden können. Dass dies unterschiedlich stark genutzt wird und auch je nach Engagement der Jugendlichen in seiner Qualität wie Quantität schwankt, liegt im Wesen ehrenamtlicher Jugendarbeit.

Es zeigt sich deutlich, dass die muslimische Jugendarbeit gerade durch den transnationalen Austausch muslimischer Jugendlicher in den letzten 30 Jahren sehr stark gewachsen ist. Dadurch konnten vielerorts Anstöße gegeben werden, selbst aktiv zu werden und die eigene Jugendarbeit vor Ort mit zu gestalten. Teilweise wurde dabei auch der Kontakt zu nichtmuslimischen Jugendorganisationen gesucht. Dies geschah beispielsweise in Deutschland in Tandemprojekten, bei denen es darum ging, muslimische Jugendorganisationen in die etablierten Strukturen der Jugendarbeit einzubinden. Insbesondere in der Jugendarbeit der MJD wurde durch die Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend“ (AEJ) pädagogische Konzepte für die eigene Jugendarbeit erschlossen. Die Lehrmethoden für Gruppenleiter, Rhetorik, Mediation etc. können im Grunde von jeder beliebigen Jugendorganisation durchgeführt werden. Diese Öffnung haben die unabhängigen Jugendorganisationen leichter vollziehen können, da sie aber auch auf diesen Input angewiesen sind. Durch die Unterstützung ausgebildeter Pädagogen in größeren Religionsgemeinschaften wie der IGMG war der Austausch zu anderen Jugendorganisationen bisher keine Priorität.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Austausch zwischen Jugendlichen ein zentraler Bereich der Jugendarbeit generell ist. Da die muslimische Jugendarbeit sich in den vergangenen Jahren in Europa erst entwickelt hat, war immer schon ein sehr starkes Interesse am Austausch von Best Practice, aber auch daran eine übergreifende Gemeinschaft zu bilden. Aufgrund der relativ niedrigen Hürden für das Reisen innerhalb Europas entwickelte sich vor allem unter angehenden Akademikern eine intensive Vernetzung. Für die Entwicklung der muslimischen Jugendlichen ist diese Horizonterweiterung eine besondere Möglichkeit, sich selbst zu entfalten. Letztendlich war die transnationale Vernetzung mit Grund für die schnelle Entwicklung von organisierter, muslimischer Jugendarbeit in vielen europäischen Ländern. Das diese Arbeit hauptsächlich ehrenamtlich und somit auch die Vernetzung durch die Jugendlichen selbst finanziert wurde, zeugt von der enormen Leistung, die muslimische Jugendlichen in den vergangenen 30 Jahren in Europa vollbracht haben.