Ramadan

„Wie kann man das denn aushalten?“

29 Tage haben Muslime gefastet. Wir haben sie sich gefühlt und was haben sie alles zu hören bekommen? Ein persönlicher Rückblick auf den Ramadan.

16
07
2015
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Heute ist der letzte Tag des Fastenmonats. Wir sind das letzte Mal in der Nacht mit schläfrigen Augen aufgewacht und haben um drei Uhr morgens mit der ganzen Familie an einem Tisch gesessen und gegessen. Das letzte Mal einen Liter Wasser in Rekordzeit getrunken. Wir werden das letzte Mal in diesem Jahr am Abend dankbar die Augen schließen, Gebete aufsagen und voller Freude auf das Essen schielen. Das letzte Mal in diesem Jahr die Süße der Dattel so intensiv schmecken und das letzte Mal den ersten Schluck Wasser über alle Organe fließen spüren. Mit dem Wissen, dass unser Prophet Muhammad (s) genau auf die gleiche Art und Weise sein Fasten brach, wird es uns mit Freude erfüllen und wir werden an die letzten 30 Tage zurückdenken und dankbar sein.

Diese Dankbarkeit ist vollgespickt von Erinnerungen an den zurückliegenden Fastenmonat, an Momente die uns nervten, freuten und berührten. Die vielen Menschen, die fragten ob man denn gar nichts essen könne, schüttelten bei entsprechender Verneinung den Kopf. Diejenigen, die nüchtern feststellten, dass man aber bestimmt was trinken könne, versanken in Mitleid, als man lächelnd auch das verneinte. „Das kann doch nicht gesund sein“ und „Wie kann man denn das aushalten?“. Es werden Ärzte zitiert, auf Berichte und Nachrichten verwiesen. Menschen würden in Pakistan sterben und während plötzlich Menschenleben aus dem Mittleren Osten wertvoll für die westlichen Medien werden und Menschen Mitleid zeigen, lese ich, dass jedes Jahr Menschen aufgrund der starken Hitze umkommen, unabhängig ob diese Hitze zur Zeit des Fastenmonats fällt oder nicht.

Außerdem wie sollen sie denn auch verstehen, wie es sich anfühlt. Dass 18 Stunden nicht zu essen und nicht zu trinken hart sein kann, bezweifelt niemand. Dass die Zeit manchmal nicht zu vergehen weiss und die Nerven ausreizen, auch nicht. Doch dann kurz vor Iftar fängt es an, langsam trudeln alle ein. Auch die Familienmitglieder, die sonst nie „Zeit haben“ oder „keinen Hunger haben“ und nicht zum Essen kommen oder immerfort an ihrem Handy spielend teilnahmslos im Essen herumstochern, sitzen in diesem Monat dicht beieinander und warten. Vergessen ist das Handy, vergessen die Umwelt.

Monat des Zusammenkommens

Denn der Ramadan ist neben dem Fasten auch ein Monat der Gemeinschaft, des Zusammenkommens. Das Fasten wird gemeinsam gebrochen, das Essen gemeinsam gegessen und das Gebet gemeinsam verrichtet. In einer Überlieferung lautet es: „Wer einem Fastenden speist, bekommt die gleiche Belohnung wie dieser, ohne dass die Belohnung des Fastenden geschmälert wird.“ Es wird eingeladen, Moscheen öffnen ihre Türen für Bedürftige und Flüchtlinge, ehrenamtliche Helfer schaffen es tausende Menschen zu speisen. Der Monat ist übersät von guten Taten und lächelnden Gesichtern.

„Ja aber trotzdem, ich verstehe das Fasten einfach nicht. Tut mir leid.“ Wie sollen sie denn auch nachvollziehen können, wie es ist nach dem Fastenbrechen mit Vorfreude zur Moschee zu fahren. Menschen mit dem Friedensgruß zu begrüßen und sich gemeinsam auf das freiwillige Taraweh-Gebet in der Nacht vorzubereiten. Bei dem Gebet, dass bis zu einer Stunde dauern kann und man dicht an dicht in den verschiedenen Positionen verharrt, hat man die Möglichkeit bei allnächtlicher Teilnahme den kompletten Koran zu hören. Dass man aufgrund der gelebten Gemeinschaft und den langen intensiven Koranrezitationen mit Tränen der Dankbarkeit und Reue die Gebete verrichtet und die Nähe zu dem Erhabenen und Allmächtigen stärkt und nach dem Gebet die langersehnte innere Ruhe spürt, ist für andere schwer verständlich.

Jeden Abend weitete sich diese Ruhe weiter aus bis heute, dem letzten Tag des Ramadan. Und wie jeden Abend werde ich gleich am Tisch sitzen, doch dieses Mal wird die Vorfreude auf das Essen überschattet von der Trauer, dass diese innere Ruhe ab heute nicht mehr weiter anwächst sondern fortwährend schwindet. Die Trauer darüber, dass man die gemeinsamen Fastenbrechen und das gemeinsame Beten vermissen wird. Mit dem Bittgebet, dass ich auch im nächste Jahr den Ramadan antreten kann, werde ich gleich mein Fasten brechen. Und genau dann bin ich es, die Mitleid empfindet.