Interviewreihe KRM

„Geschwisterlicher Umgang als Voraussetzung für eine Einheit“

IslamiQ befragte die einzelnen Vertreter der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertretenen Religionsgemeinschaften. Es geht um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des KRM. Heute Murat Gümüş vom Islamrat für die BRD.

01
06
2015
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IslamiQ: Es wird kritisiert, dass in Zeiten der Islamkritik ein sechsmonatiger KRM-Sprecherwechsel zu Irritationen führt, da man sich immer wieder an eine neue Figur gewöhnen muss. Ist diese Kritik verständlich?

Murat Gümüş: Die Kritik mag plausibel klingen. Jedoch möchte ich daran erinnern, dass der Sprecher oder die Sprecherin lediglich das Meinungsbild des KRM nach außen trägt, welches von der persönlichen Einstellung des Sprechers unabhängig ist. Jedoch finde ich diese Kritik nicht ganz unangebracht. Eine öffentlichkeitswirksamere Ankündigung des Sprecherwechsels könnte Irritationen vorbeugen. So wüsste jeder, wer nun bei Anfragen an den KRM zu kontaktieren ist.

IslamiQ: Bekir Alboğa sagt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Es hat leider in den letzten zwei, drei Jahren bestimmte Störungen seitens bestimmter Dachverbände gegeben“. Man möchte aber an der Einheit festhalten. Wie ist das zu verstehen?

Gümüş: Meinungsaustausch kann auch immer zu Meinungsverschiedenheiten und manchmal auch zu intensiven Diskussionen führen. Da ist nichts Sonderbares dran. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass wenn man schon Probleme ansprechen möchte, dass man dies in einer geschwisterlichen Gepflogenheit tut und diese Probleme nicht nach außen trägt. Das sage ich nicht zum Zwecke der ‚political correctness‘.

Muslime in Deutschland stellen Erwartungen an die islamischen Religionsgemeinschaften. In erster Linie, dass sie geschwisterlich, solidarisch und aufrichtig miteinander umgehen. Tut man dies nicht, handelt und agiert man an der muslimischen Basis vorbei. Diese Eigenschaften stellen meiner Meinung nach die Hauptvoraussetzungen für eine Einheit dar, die aus unserem Selbstverständnis heraus wünschenswert ist. Ich weiß nicht, ob Herr Alboğa genau dies zum Ausdruck bringen wollte. Ich bin mir aber sicher, dass er dem, was ich beschrieben habe, gänzlich zustimmen würde.

KRM-Interviewreihe:
Der Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) stand für ein Interview nicht zur Verfügung.

IslamiQ: Muslimischen Organisationen in Deutschland wird oft vorgeworfen, sie seien ihren ursprünglichen Heimatländern zu sehr verbunden und ließen sich von diesen beeinflussen. Würden Sie einen Einfluss dieser Art negativ bewerten?

Gümüş: Die Diskussion muss meiner Meinung nach depolitisiert und mehr aus einer migrationssoziologischen Perspektive betrachtet werden. Der Großteil der Gemeindemitglieder hat entweder die Staatsbürgerschaft seines ursprünglichen Heimatlandes und/oder führt familiäre oder emotionale Beziehungen zu diesem Land. Das ist ein Fakt. Es ist aber auch ein Faktum, dass sie sich mittlerweile in Deutschland beheimatet fühlen und hier ihren Lebensmittelpunkt sehen. Jede Organisation – und damit meine ich nicht nur die islamischen Religionsgemeinschaften –, die ein solches Mitgliederprofil aufweist, ist gut beraten, dieses vieldimensionale Verortungsgeflecht ihrer Mitglieder zu beachten, um den an sie gerichteten Anspruch Rechnung tragen zu können.

Für islamische Religionsgemeinschaften heißt das, dass sie bei Bedarf auch die Funktion einer Interessenvertretung gegenüber beider Länder einnimmt und die Interessen ihrer Mitglieder beiden Ländern gegenüber äußert, was vollkommen normal ist. Problematisch kann dieses Verhältnis zwischen Religionsgemeinschaften und staatlichen Strukturen werden, wenn es zu Vereinnahmungsversuchen kommt, wovor sich alle Beteiligten hüten sollten. Ich habe den Eindruck, dass Regierungs- oder Staatsvertreter dieser Sensibilität durchaus bewusst sind und die islamischen Religionsgemeinschaften selbstbewusst genug sind, um hierzu die nötige Differenzierung treffen zu können.

IslamiQ: Die Junge Islam Konferenz bemängelt, dass die islamischen Religionsgemeinschaften mehrheitlich die Interessen der ersten und zweiten Generation der muslimischen Einwanderer vertreten würden. Heute seien 50 Prozent der Muslime unter 25 Jahren. Wie sehen Sie das?

Gümüş: Als jemand, der bis vor Kurzem in der Jugendorganisation der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) auf verschiedenen Ebenen Leitungsfunktionen ausgeübt hat, kann ich diese Kritik im Kontext des Islamrates und der nicht nachvollziehen. Gerade die IGMG, mit ihren unzähligen religiösen, sozialen, kulturellen, sportlichen, bildungsspezifischen und berufsbildenden Angeboten bietet den Jugendlichen ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur geistig-intellektuellen und sportlichen Entwicklung.

IslamiQ: Man möchte sich erneut über die Aufgaben und Ziele des KRM beraten hieß es zuletzt den Medien gegenüber. Über welche Möglichkeiten wird nachgedacht?

Gümüş: Da die Beratungen noch andauern, halte ich es nicht für richtig, hier konkrete Angaben zu machen. Jedoch kann gesagt werden, dass die Zuständigkeiten für Religionsangelegenheiten in den Bundesländern liegen und somit eine Flickenteppichbildung im Zusammenhang mit der Gestaltung muslimischen Lebens im öffentlichen Bereich gegeben ist. Wir aber bestrebt sind, unsere Beratungs- und Entscheidungsprozesse derart zu gestalten, dass flächendeckend möglichst gleiche Rahmenbedingungen in den Bereichen, wo staatliche Handlungsfelder und Handlungsfelder der Welt- und Religionsgemeinschaften zusammenkommen, zu unterstützen.