Riem Spielhaus

„Anerkennung ermöglicht Handlungsfähigkeit“

Die Friedrich-Ebert Stiftung hat ein Gutachten über die Gleichstellung des Islams veröffentlicht. Wir sprachen mit Mitverfasserin Dr. Riem Spielhaus über die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland.

28
05
2015

IslamiQ: Sie sind Mitverfasserin eines Gutachtens zur Frage der „rechtlichen Anerkennung des Islams in Deutschland“. Was ist Ihre Ausgangsfrage, was sind die zentralen Ergebnisse?

Dr. Riem Spielhaus: Vor etwa drei Jahren kam mit dem Vertragsschluss der beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit islamischen Religionsgemeinschaften vor Ort und wenig später mit Hessens Anerkennung der Ahmadiyya Muslim Jamaat als Körperschaft sowie der DITIB als Partner für den Religionsunterricht nach Art 7. Abs. 3 des Grundgesetzes neuer Schwung in die Anerkennung des Islams in Deutschland.

Diese Entwicklungen untersuchten mein Kollege Martin Herzog und ich genauer. Wir fanden, dass einige Bundesländer mit Übergangslösungen, Modellversuchen und Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren islamische Religionspraxis ermöglicht haben, die Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften voraussetzen und bisher zum Teil sogar Gemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vorbehalten waren. An Stelle der stockenden Anerkennung als Körperschaft gewannen nun Staatsverträge und andere Formen der Partnerschaft zwischen Staat und muslimischen Organisationen als Formen der Anerkennung an Bedeutung. Dabei übernahmen einzelne Länder wie Berlin, Hamburg, Bremen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen eine Vorreiterrolle.

In der Gesamtschau der Bundesländer fanden wir, die Anerkennung des Islams ist mittlerweile durchaus besser als ihr Ruf. Allerdings sind islamische Religionsgemeinschaften noch längst nicht der katholischen und protestantischen Kirche oder der Jüdischen Gemeinde gleichgestellt. Wir stellten auch fest, dass die Freiheit der islamischen Religionsausübung in Deutschland derzeit nicht überall in vollem Umfang gegeben ist. In manchen Bundesländern kann man mehr Islam praktizieren als in anderen. Die Arbeit islamischer Organisationen wiederum basiert in hohem Maße auf Ehrenamt und Finanzierung durch Spenden. Hier fehlen einerseits nötige Strukturen und andererseits Transparenz in Bezug auf die Anzahl der Mitglieder, was in einigen Bundesländern bisher die Anerkennung als Religionsgemeinschaften oder Körperschaften öffentlichen Rechts verhindert hat. Es ist also sowohl auf staatlicher Seite als auch auf Seite islamischer Gemeinden und ihrer Verbände noch einiges zu tun.

IslamiQ: Angenommen Muslime lebten in Deutschland, ihre Religion sei aber nicht „rechtlich anerkannt“. Was würde das für den Alltag des einzelnen Muslims bedeuten?

Dr. Spielhaus: Lassen Sie mich zurückfragen: Wie sieht denn der religiöse Alltag von Muslimen derzeit aus? Das tägliche Gebet, das Fasten oder die Almosenspende lassen sich ohne jegliche formelle rechtliche Anerkennung praktizieren und brauchen auch keine Organisationen. Für die gemeinschaftliche Praxis allerdings sind Strukturen erforderlich. Die braucht man bereits, um einen Raum anmieten zu können, in dem das wöchentliche Freitagsgebet verrichtet werden kann oder zum Sammeln und Verwalten von Spenden. Für komplexere Fragen wie der Einführung von Religionsunterricht oder der Einrichtung von Friedhöfen ist dann schließlich eine Anerkennung im rechtlichen Sinne Voraussetzung.

Für den Alltag von Musliminnen und Muslimen in diesem Lande bedeutete das bisher, dass ihre Kinder am katholischen oder evangelischen Unterricht teilnahmen oder eben eine Pause mehr hatten, dass ihre Toten zur Beerdigung in die „Heimat“ verschickt wurden oder aber eben nicht nach islamischen Ritus beerdigt werden konnten und das muslimische Gefängnisinsassen nicht am Freitagsgebet teilnehmen konnten. So manch ein Muslim kann bisher nicht am Gebet zum Opferfest teilnehmen, weil sein Arbeitgeber nicht auf ihn verzichten möchte.

IslamiQ: Muslimische Gemeinschaften pochen auf ihre „rechtliche Anerkennung“. Warum eigentlich?

Dr. Spielhaus: Anerkennung ermöglicht Handlungsfähigkeit und religiöse Teilhabe. Sie ist nicht zuletzt Voraussetzung für jegliche Kooperationen mit dem Staat und für finanzielle und andere Formen der Förderung, wie sie ja auch andere Religionsgemeinschaften erhalten. Zum Anderen geht es islamischen Gemeinschaften darum, eine angemessene Position in dieser Gesellschaft zu finden. Dahinter steht der Wunsch nach gesellschaftlicher Wertschätzung beispielsweise für ihre Leistungen in der Jugend- oder Seniorenarbeit sowie nach dem Bekenntnis zu Zugehörigkeit und dauerhafter Präsenz von Muslimen in Deutschland. Viele Verbandsvertreter hoffen zudem auf die Symbolkraft des Körperschaftsstatus und erwarten, dass ihre Verfassungstreue und Demokratiefähigkeit mit solch einem Titel nicht mehr in Frage gestellt wird, sie sich mehr Gehör verschaffen können und der Islam dann endlich zu Deutschland gehört.

IslamiQ: Die relativen kleinen Gemeinschaften der Aleviten und die Ahmadiya haben den vielbesagten Körperschaftsstatus in verschiedenen Bundesländern recht unproblematisch bekommen. Wieso bleibt es bei anderen muslimischen Religionsgemeinschaften bei „Übergangslösungen“?

Dr. Spielhaus: Wie einige andere islamische Organisationen strebt die alevitische Gemeinschaft Deutschland den Körperschaftsstatus an. Sie ist in sechs Bundesländern über die Partnerschaft für den Religionsunterricht oder Staatsverträge als Religionsgemeinschaft anerkannt. Das sind aber auch die DITIB in Hessen und die islamischen Vertragspartner der Bundsländer Bremen und Hamburg. Mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat hat im Jahr 2013 eine Gemeinschaft des Körperschaftsstatus erhalten, die seit etwa einhundert Jahren in Deutschland aktiv ist. Sie konnte bei Antragstellung klare Mitgliederstrukturen nachweisen. Das war bisher die größte Schwachstelle anderer islamischer Antragsteller. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass es gerade kleineren Gemeinschaften als erstes gelang, den durchaus schwierigen Anforderungen für die rechtliche Anerkennung zu entsprechen. In kleineren Organisationseinheiten lassen sich Strukturanpassungen sicherlich einfacher vornehmen als in großen und mithin heterogenen Moscheezusammenschlüssen.

IslamiQ: Wieso geben sich muslimische Gemeinschaften immer wieder mit „Notlösungen“ zufrieden, obwohl der verfassungsrechtliche Rahmen genügend Möglichkeiten bietet?

Dr. Spielhaus: Man kann das Glas als halb voll oder halb leer bezeichnen. Worin Sie Notlösungen erkennen, sehen wir pragmatische Modellprojekte und Übergangslösungen, die Handlungsspielräume schaffen, auch wenn islamische Organisationen noch nicht die Kriterien für die Partner des Staates zum Beispiel im Islamischen Religionsunterricht erfüllen. In Nordrhein-Westfalen wurde so eine zeitlich begrenzte Brückenlösung für den Islamunterricht eingeführt und mit einer Gesetzesänderung im Schulgesetz verankert. Ab 2019 soll der islamische Religionsunterricht laut Gesetz dann allerdings mit anerkannten Religionsgemeinschaften als Partnern durchgeführt werden. Während Verwaltungsbeamte lange Zeit auf die Erfüllung der Kriterien gepocht haben, werden diese in den letzten Jahren flexibler ausgelegt. Hier steht häufig ein politischer Wille dahinter, doch Lösungen zu finden, auch wenn die muslimischen Partner noch Unterstützung auf dem Weg zu langfristigen Kooperationen nach verfassungsrechtlichen Standards brauchen. Politik und Verwaltung gehen also auf die Muslime in diesem Lande zu, wenn sie nach „Notlösungen“ suchen.

Gleichzeitig lässt sich keine Notwendigkeit für eine Sonderbehandlung des Islams in Deutschland erkennen, die auch dem deutschen Religionsverfassungsrecht widersprechen würde. Übergangsregelungen und Modellprojekte können also Hilfsmittel sein bis islamische Verbände die notwendigen Strukturen aufgebaut haben, aber sie können eine gleichberechtigte Integration für die Integration islamischer Organisationen ins religionsverfassungs­recht­liche System nicht ersetzen.

IslamiQ: In dem Gutachten wird oft von „islamischen Verbänden“ gesprochen. Diese beschreiben sich selbst aber eher als „muslimische Religionsgemeinschaften“. Wäre es nicht ein erster Schritt zur „rechtlichen Anerkennung“, die Gemeinschaften beim Namen zu nennen?

Dr. Spielhaus: Das ist zugegebenermaßen etwas verwirrend, da wir es hier mit verschiedenen Ebenen zu tun haben. Einerseits sind da die Inhalte, mit denen sich Gemeinschaften beschäftigen. In unserem Fall ist das die Religionsausübung. Andererseits haben wir in unserem Gutachten vor allem auf Fragen des Rechtsstatus konzentriert. Und dafür stehen in Deutschland verschiedene Organisationsformen und Rechtskonstruktionen zur Verfügung. Die einfachste Form ist der eingetragene Verein im Privatrecht. Als solche sind die meisten islamischen Gemeinden hierzulande organisiert. Uns beschäftigte nun die Frage, ob es Aspekte der Religion gibt, für die die Rechtsform des Vereins nicht ausreicht. Gerade hier sehen wir in den vergangenen Jahren Veränderungen.

Die Möglichkeiten privatrechtlich – also in Vereinen und Verbänden – organisierter Gemeinschaften sind dabei größer geworden. Man könnte fast sagen, dass Verständnis des deutschen Religionsverfassungsrechtes passe sich der neuen Realität einer religiös pluralen Gesellschaft an. Das ist eine Gesellschaft, in der längst nicht mehr alle Religionsgemeinschaften in der Form von Körperschaften organisiert sind, sondern eben auch in eingetragenen Vereinen, in deren Zusammenschlüssen in Verbänden und anderen Organisationsformen.

Einige islamische Verbände sind mittlerweile im Zuge der Einrichtung eines Islamischen Religionsunterrichtes oder von Vertragsabschlüssen auch offiziell als Religionsgemeinschaften anerkannt worden. Sie sind also gleichzeitig islamische Verbände und Religionsgemeinschaften. Angesichts der Laufenden Prüfverfahren auf die Anerkennung als Religionsgemeinschaften in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist übrigens davon auszugehen, dass sich deren Zahl in der nahen Zukunft erhöht. Ohne derartige Verfahren prüft der Staat allerdings die Eigenschaft von Gemeinden als Religionsgemeinschaften nicht. Religiöse Menschen und Gemeinden haben gleichermaßen die Freiheit und die Wahl, ohne staatliche Begutachtung ihren Glauben zu leben solange sie keine Kooperationen mit oder Finanzierung durch den Staat wünschen, die eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft voraussetzen.

Finanzielle Förderungen könnten zwar die Professionalisierung der Arbeit islamischer Organisationen unterstützen, gleichzeitig ist Professionalität aber eine der Voraussetzungen für die meisten Formen staatlicher Förderung. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen empfehlen wir Weiter­bildungen und Kooperationen zur Schaffung der Voraussetzungen für die Anerkennung.

Leserkommentare

Thomas Friedrich sagt:
Es ist einigermaßen überraschend: nicht wenige muslimische Organisation vertreten Thesen, die im Widerspruch zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik stehen (Demokratie, Gleichberechtigung, Menschenrechte nur unter Vorbehalt der Scharia, etc.). Wesentliche staatliche Werte werden also abgelehnt. Und dennoch erheben jene Organisationen den Anspruch, unter den Schutz des - eigentlich abgelehnten - Staates zu gelangen. Es kann nur umgekehrt gehen: die staatliche Obhut inkl. steuerlicher Förderung setzt aber selbstverständlich voraus, dass die Organisationen sich inhaltlich und vorbehaltlos zu den festgeschrieben Werten des Staatswesens bekennen (und z.B. nicht nur nur formal-halbherzig die Staatsbürgerschaft als "Vertrag" anerkennen, o.ä.).
30.05.15
0:20