Hasskriminalität

Debatte über gesonderte Erfassung antireligiöser Straftaten

Die Debatte über die separate Erfassung islamfeindlicher und antisemitischer Straftaten geht weiter. Neben muslimischen und jüdischen Vertretern, fordern nun auch politische und gesellschaftliche Akteure die Differenzierung der strafrechtlichen Einordnung von Hasskriminalität.

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04
2015
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45 politisch motivierte Übergriffe auf Moscheen, 864 antisemitische Delikte mit 25 Gewalttaten: Das ist die Bilanz der Polizei für 2014. Im Strafrecht gelten diese Taten bislang jedoch nicht als eigenständige Delikte.

Hetze gegen jüdische Mitbürger hat in der jüngeren Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Auf anti-israelischen Kundgebungen etwa fielen muslimische Demonstranten negativ auf. Aber auch aus den Reihen der Muslime mehren sich Klagen über Diskriminierungen. Das American Jewish Commitee in Deutschland und der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, sowie die Amadeu Antonio Stiftung machen sich deswegen dafür stark, antimuslimisch und antisemitisch motivierte Straftaten genauer als solche zu bewerten und zu verfolgen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland schließt sich dieser Forderung ebenfalls an.

„Hate crimes“ in den USA

„Hate crimes“, zu deutsch „Hasskriminalität“, hat in den USA und Großbritannien bereits eigenständige strafrechtliche Relevanz. Dabei handelt es sich um Straftaten, die sich gezielt gegen Angehörige einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe richten, etwa Ausländer, Angehörige von Religionsgruppen, aber auch Obdachlose oder Transgender-Personen. Entscheidend ist, dass sich das Verbrechen nicht ausschließlich gegen eine einzelne Person richtet, sondern gegen die soziale Gruppe, der das Opfer angehört.

Geprägt wurde der Begriff in den 80er Jahren durch US-Bürgerrechtsgruppen, erklärt der Berliner Kriminologe Marc Coester. Ihnen sei klar gewesen: „Solche Taten haben Auswirkungen auf die betroffene Gruppe, aber auch auf die gesamte Gesellschaft, letztlich auf die Grundfesten der Demokratie.“ 1993 bestätigte das oberste US-Bundesgericht, der Supreme Court, Strafverschärfungen für diese Form von Kriminalität.

Einordnung politisch motivierter Kriminalität

Seit 2001 wird politisch motivierte Kriminalität auch in Deutschland erfasst. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst gruppiert Straftaten in mehreren Schritten ein – zunächst nach einem Themenfeld: „rechts“, „links“, „Ausländer“ oder „Sonstige“. Im zweiten Schritt geht es um die Art des Vergehens, also etwa Gewalt oder Propaganda. Danach kann ein Themenfeld bestimmt werden, eines davon heißt „Hasskriminalität“.

Diese recht grobe Einordnung kann indes dazu führen, dass Proteste von Kurden gegen den Terror des „Islamischen Staats“ ebenso unter „Hasskriminalität/Religion“ verbucht werden wie rassistisch motivierte Anschläge auf Moscheen. Das kritisierte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, unlängst als „absurd“. Aus Sicht der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, sind die Kategorien viel zu ungenau.

Coester gibt zu bedenken, dass der Meldedienst nicht für rechtskräftige Urteile zuständig sei. Nach Ergebnissen der sogenannten Dunkelfeldforschung erfährt die Polizei ohnehin nur von etwa 30 bis 50 Prozent aller Hassverbrechen. „Sie ist darauf angewiesen, dass Zeugen und Opfer die Täter anzeigen“, so der Experte.

Neue Kategorien für antireligiöse Straftaten notwendig

Darüber hinaus gebe es nicht nur vermeintlich eindeutige Fälle wie den erklärten Neonazi, der einen Juden zusammenschlägt. Schwieriger werde etwa die Einordnung einer Jugendgang mit Migrationshintergrund, die ein schwules Pärchen verprügele. Abgesehen davon versuchen viele Straftäter spätestens vor Gericht, ihre politische Gesinnung zu verschleiern.

Kriminologe Coester räumt ein, dass es genau deswegen schwer fallen wird, eindeutige gesetzliche Regelungen zu formulieren und fügt hinzu: „Man müsste wegkommen vom althergebrachten Spektrum der politischen Einstellungen ‚rechts‘, ‚links‘ und ‚Mitte'“. Das Konzept der „Hate Crimes“ schließe „sämtliche einschlägige Handlungen ein, die auch aus der Mitte der Gesellschaft oder von anderen Subkulturen aus Vorurteilen heraus begangen werden“.

Eine differenzierte Statistik könnte ein erster Schritt sein, um die Ursachen etwa für antireligiös motivierte Straftaten zu ergründen. Vor allem aber, betont Coester, müsse sich die Gesellschaft der Debatte stellen. So gebe es etwa Gesprächsbedarf darüber, welche sozialen Gruppen als mögliche Opfer von Hasskriminalität in Frage kommen.

Bislang betrifft dies Gruppen mit einem unveränderlichen, identitätsstiftenden Merkmal und einer Geschichte der Ausgrenzung. „Die Kriminalitätskategorie der ‚Hate Crimes‘ beschreibt insofern auch die Architektur unserer Gesellschaft“, sagt Coester. „Die Auseinandersetzung darüber muss die Gesellschaft führen.“(KNA/iQ)