Betten aufstellen reicht nicht

Leben im Flüchtlingsheim birgt verschiedene Konflikte

Die jüngsten Vorfälle in einer Flüchtlingsunterkunft in Burbach haben erschreckt. Doch wie sieht der Alltag in einer solchen Einrichtung aus? Welche Probleme gibt es? Wie reagiert die Leitung darauf? Samuel Dekempe (KNA) hat sich in Nieheim umgesehen und teilt seine Eindrücke.

13
10
2014

Ein Afrikaner steht vor einem Flipchart und erklärt einer kleinen Gruppe, wie die Zahl „Vier“ auf Deutsch ausgesprochen wird. „Ich bringe ihnen das bei, was ich selbst gerade lerne“, sagt er auf Englisch. Er dreht sich seinen „Schülern“ wieder zu und wiederholt mit ihnen die Zahl. Sie gehören zu den 150 Flüchtlingen, die derzeit im „Weberhaus“, einem ehemaligen Kolping Bildungshaus mitten im Zentrum des westfälischen Kurorts Nieheim, untergebracht sind.

Es ist eins der 16 Unterkünfte in Nordrhein-Westfalen, die als erste Anlaufstelle für die Menschen aus den weltweiten Krisengebieten Afrika, Syrien oder Irak dienen. Diese multikulturelle Dichte birgt Konflikpotenzial, das vom Betreiber viel Fingerspitzengefühl verlangt, damit es nicht zu unkontrollierten Eskalationen wie jüngst in Burbach kommt.

Die Flüchtlinge hierzulande haben einen weiten Weg vor sich: Zuerst melden sie sich in einer zentralen Ausländerbehörde, wo sie fotografiert, registriert und mit Dokumenten ausgestattet werden. Danach geht es in eine „zentrale Unterbringungseinrichtung“ wie das Weberhaus, bevor sie auf Kommunen verteilt werden.

Sicherheitsdienst soll deeskalierend wirken

„Eigentlich sollten unsere Bewohner hier maximal drei Tage bleiben“, sagt Leiter Michael Wöstemeyer. „Teils müssen sie aber bis zu einem Monat warten, bevor es für sie weitergeht.“ Gerade wenn der Aufenthalt der „Bewohner“, wie der Einrichtungsleiter sie nennt, länger als geplant dauert, komme Unzufriedenheit auf. Diese entlade sich nicht selten in Gewalt. Auch deshalb komme das Kolping Bildungswerk Paderborn als Betreiber nicht daran vorbei, wie in Burbach mit einem Sicherheitsdienst zu arbeiten. „Bei uns haben die Wachleute aber den klaren Auftrag, deeskalierend zu wirken – und wenn es gar nicht mehr anders geht, die Polizei zu rufen“, betont Wöstemeyer.

Er weiß aber auch nicht genau, wie man mit dem gegenwärtigen Flüchtlingsansturm, diesem „Wilden Herbst“, umgeht. In Nieheim und demnächst in Bad Driburg hält Kolping 150 bis 200 Plätze vor; Burbach nimmt bis zu 700 Personen auf. Wöstemeyer plädiert für kleine Einrichtungen mit maximal 100 Flüchtlingen, um Streit oder gar Gewalt vorzubeugen. „So wie es in jedem Ort selbstverständlich ist, dass es eine Schule gibt, sollte es auch normal sein, dass eine Flüchtlingsunterkunft vorhanden ist.“ Zudem sollten sich Ehrenamtliche, etwa aus Pfarrgemeinden, mehr engagieren – allerdings nur unter Leitung von erfahrenem Fachpersonal.

Eigentlich nur für ein Jahr

Im April 2013 wurde die Unterkunft in Nieheim eröffnet, aber nur für ein Jahr. Sie sollte die zentrale Unterbringung in Bielefeld entlasten. In Nieheim mussten 40 Mitarbeiter eingestellt, der Brandschutz aufgerüstet und Etagenbetten aufgebaut werden. Ein Jahr später wurde die Einrichtung wieder geschlossen – wie geplant. Doch vor sechs Wochen öffnete Kolping das Heim wieder wegen der Vielzahl der Flüchtlinge. Mit ein paar Betten aufstellen war es aber auch diesmal nicht getan. Kolping betreibt eine Küche, zwei Kleiderkammern, eine Wäscherei, eine Kinderspielstube sowie einen Sanitätsraum, der von einer Krankenschwester betreut wird. Und es gibt einen Raum der Stille für alle: In der einen Ecke liegt ein muslimischer Gebetsteppich, in der anderen steht ein christlicher Altar.

„Ein Drittel unserer Bewohner kommt derzeit aus Balkanländern wie Serbien, Kosovo und Albanien“, berichtet Wöstemeyer. „Gerade sind aber auch 15 Menschen aus Syrien hier, viele Afrikaner und sogar Menschen aus Sri Lanka.“ Sie lebten zu viert oder zu sechs in einem Zimmer. Und natürlich werde darauf geachtet, dass Familien nicht getrennt werden.

Auch mit Blick auf einen anderen möglichen Konfliktherd hat Kolping vorgesorgt. Bedenken der Anwohner wurden aus dem Weg geräumt, indem sich der Betreiber bereits vor Eröffnung mit ihnen traf. Wöstemeyer: „Kommunikation ist das A und O bei solchen Projekten.“ Inzwischen habe sich ein Netzwerk gefunden, welches das Heim durch Kleiderspenden oder Kunstprojekte unterstütze. Und als sich Nachbarn einmal über Lärm beklagten, habe sich der Schuldige schnell gefunden: Es waren nicht die Heimbewohner, sondern die Gäste eines 70. Geburtstags nebenan. (KNA)

Leserkommentare

Andreas sagt:
Statt wenige große Asylbewerberheime mit vielen Bewohnern sollte es viele kleinere Unterkünfte mit weniger Bewohnern geben. Die könnte man dann auch gerechter auf alle Gemeinden verteilen, so dass sich die Probleme nicht an wenigen Orten ballen, sondern die Lasten verteilt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch die Probleme mit den Anwohnern auch weniger werden könnten. Vielleicht wäre es dann sogar möglich, die Unterkünfte für die Asylbewerber als Teil der Nachbarschaft zu sehen, anstatt als Fremdkörper, gegen den es zu protestieren gilt. Die Menschen sind nicht vor ihren Problemen in der Heimat geflüchtet, um hier neuen Problemen zu begegnen, sondern um hier entweder vorübergehend Unterschlupf zu finden, bis es zu Hause wieder besser wird oder auch, um hier eine neue Heimat zu finden. Soltten wir den Flüchtlingen dabei nicht helfen?
13.10.14
14:52