Terrororganisation

Offener Brief verschiedener Islam-Gelehrter an die IS

In einem offenen Brief setzten sich mehr als 120 muslimische Gelehrte aus aller Welt theologisch-wissenschaftlich mit der Ideologie der Terrororganisation IS auseinander und erteilen dieser eine klare Absage. Der Brief wurde vor 2014 verfasst und hat heute wieder mehr Aktualität denn je.

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2014
Symbolbild: London
Symbolbild: London © by Lies Thru a Lens  auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

In einem offenen Brief an Abu Bakr al-Baghdadi verurteilen mehr als 120 Islamgelehrte aus den renommiertesten islamischen Institutionen weltweit die Ideologie und Handlungen der Terrororganisation IS. Zu den Unterzeichnern zählen der ägyptische Großmufti Schawki Ibrahim Allam und hohe Vertreter der Al-Azhar-Universität in Kairo, der Jerusalemer Mufti Muhammad Ahmad Hussein, der jordanische Prinz und Religionswissenschaftler Ghazi bin Muhammad, der frühere Großmufti von Bosnien und Herzegowina Mustafa Ceric sowie viele Gelehrte und Geistliche aus Arabien, Nordafrika, Asien, Europa und den USA.

Das 18-Seitige Dokument stellt eine theologische Auseinandersetzung mit den Ideen der Terrormiliz IS dar, in dem die Gelehrten den Extremisten die Kompetenz für Religionsurteile absprechen. Dabei kommen sie vor allem zu dem Schluss, dass die Ausrufung des Kalifats durch die IS nach islamischem Recht nicht rechtmäßig sein kann.

Allerdings ist das Dokument bewusst in einer theologisch-technischen Fachsprache gehalten. Das Schreiben benutze jene klassischen islamischen Quellen, die auch von der IS benutzt würden, um Nachfolger anzuwerben, teilte der Leiter des Rats für Amerikanisch-Islamische Beziehungen, Nihad Awad mit, dessen Institution in Washington das Dokument verbreitete. Der Text sei also nicht für Laien bestimmt.

24 Abweichungen von „Qurán“ und „Sunna“

Es handelt sich dabei um eine Punkt-für-Punkt-Widerlegung der IS-Philosophie. Das Dokument ist in 24 Gesichtspunkte gegliedert, in denen sich die Gelehrten verschiedenen Aspekten des Islam widmen, die im Widerspruch zu den Aussagen und Taten der IS stehen.

Starke Betonung erfährt hier das Verbot von Mord, Folter und Misshandlung unschuldiger und Andersgläubiger. Dabei wird die besondere Rolle von Christen und Jesiden hervorgehoben, die als Anhänger der Buchreligionen und religiöser Minderheiten im Islam besonderen Schutz genießen. Ausdrücklich verurteilt das Schreiben außerdem die Ermordung von Journalisten und humanitären Helfern, Leichenschändung, Versklavung, Zwangsbekehrungen und Unterdrückung von Frauen als Verstoß gegen die Glaubenslehre. Der Dschihad wird als reiner „Verteidigungskrieg“ beschrieben. Ein bewaffneter Aufstand sei aus Sicht des Islam nur dann legitim, wenn es um Widerstand gegen massive religiöse Unterdrückung gehe. Demgegenüber kenne der Islam eine Pluralität von Lehrmeinungen. Die Auslegung der religiösen Lehre müsse also zeitgemäß erfolgen.

Selbst die Bezeichnung „Islamischer Staat“ wird in dem Dokument stets in Anführungszeichen gesetzt. Die Unterzeichner rieten davon ab, diesen Begriff zu verwenden, weil er bereits einen falschen Anspruch vertrete. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Brigitte Dohmeier sagt:
Die Benennung "Islamisten", die immer wieder zu hören ist, beinhaltet den Missbrauch einer Religion. Es handelt sich um Terroristen, die auch so bezeichnet werden sollten. Der Terrorismus, der diesen Namen nutzt, stifte gezielt Verwirrung und Unfrieden. Ich bin keine Muslima. Mir ist bekannt, weder im Koran, noch in anderen Schriften, wird ein derartiges Verhalten geduldet oder gar erwartet. Ich begrüße diesen Brief und das Engagement.
30.09.14
8:19
Ute Diri-Dost sagt:
Dem stimme ich voll zu.
30.09.14
19:07
Nese Kul sagt:
Danke für die Veröffentlichung dieses Artikels. Ich als Muslimin bin schockiert über die Machenschaften des angeblichen " IS", welcher selbst mindestens 20 muslimische Gelehrten ermordet hat, ganz zu schweigen von muslimischen Kindern , Frauen und Alten. Das hat mit dem Islam GAR nichts zu tun , ganz im Gegenteil. Der Prophet sas. hat selbst vor den Leuten wie der IS gewarnt, indem er sie genau beschrieben hat und ihnen ein jensitiges Dasein "als Hunde der Hölle" angekündigt hat ( s." Khawarid ").
09.11.14
12:44
Sapere Aude sagt:
[…] Land erst kürzlich mit der Pressefreiheit umgegangen wurde. Und wenn 120 muslimsche Gelehrte sich in einem offenen Brief gegen ISIS aussprechen, dann ist das lobenswert. Aber vielleicht hören sie auch mal auf, hinten […]
08.01.15
10:03
Johannes Disch sagt:
Schön, dass dieser Brief wieder in Erinnerung gebracht wird.
18.11.15
15:11
Forscher sagt:
Dieser offene Brief wurde von MEMRI (JIHAD AND TERRORISM THREAT MONITOR) wissenschaftlich widerlegt und als Taqiyya entlarvt. Diese Islamgelehrten praktizieren bei ihrer „Beweisführung“ genau das, was sie IS vorwerfen.
26.11.15
8:06
Aufklärer sagt:
@Forscher diese taqiyya sache zieht nicht mehr. ich kenne kein einzigen vortrag oder buch, der das taqiyya behandelt hat. stattdessen finde ich zig videos und bücher über die verschiedensten themen im islam.
24.12.15
12:41
Kent sagt:
Der "Open Letter" ist eine sehr gute hermeneutische Analyse, allerdings für Laien schwer verständlich. Ein Kommentar wäre sicherlich hilfreich, damit Menschen ohne Tafsir- und Fiqhkenntisse den Inhalt auch verstehen! "Forscher" nennt MEMRI (ein zweifelhaftes Organ, das bewusst arabische Medien verdreht und falsch wiedergibt) als Quelle. Welch ein lächerlicher Versuch 120 so verschiedene und international agierende Gelehrte pauschal abzuwerten.
05.06.17
10:48
Johannes Disch sagt:
Solche Briefe islamischer Gelehrter gibt es schon so lange, seit es den islamistischen Terror gibt. Und trotzdem hört man nach jedem Anschlag reflexhaft, friedliche Muslime müssten sich davon distanzieren. Dieser Brief zeigt, dass sie das schon lange tun.
06.06.17
0:40
grege sagt:
Der Brief mag schon mal einen Fortschritt beinhalten, aber Isis stellt nur die blutige Spitze des Eisbergs dar. Muslime werden ja nicht müde, daraufhinzu weisen, dass Rechtsradikalismus und Islamfeindlichkeit die Mitte der Gesellschaft erreicht hätten. Hier in Deutschland gibt es bisher keinen nahmhaften Islamverband, der frei ist von Extremismusvorwürfen. Genau dieser Problematik muss sich auch die muslimische Community bewusst werden und in derselben Analogieden Extremimus auch in ihrer eigenen Mitte anerkennen und bekämpfen. Leider wird dieses Phänomen bisher beharrlich ignoriert. Distanzierung reicht hier nicht aus, sondern eine aktive Positionierung mit einer Großportion Zivilcourage sind gefragt. Beides wird bisher vermisst
07.06.17
20:31
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