Studie

Religion im Europäischen Parlament

Mit der Studie „Religion im Europäischen Parlament“ versucht man die religiöse Haltung der europäischen Abgeordneten zu ermitteln und festzustellen, inwiefern religiöse Werte die europäische Politik prägen. Dabei steht eine christliche Wertegemeinschaft im Vordergrund, während der Islam eine besondere Herausforderung darstellt.

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05
2014
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Das Projekt „Religion im Europäischen Parlament“ (RelEP) geht auf die Bestrebung zurück, über normative Sichtweisen bezüglich der Stellung und dem Einfluss von Religion in der europäischen Politik hinauszugehen. Zwei gegensätzliche Diskurse prallen aufeinander. Auf der einen Seite herrscht die Meinung vor, das „Vatikan-Europa“ sei christlich dominiert. Religionslobbys hätten europäische Institutionen belagert und die EU in einen Christen-Club umgewandelt. Auf der anderen Seite wird die Position vertreten, dass die EU ein seelenloses und materialistisches politisches System sei, in dem Werte und Traditionen keinen Platz haben. Schlimmer noch: die europäische politische Arena sei christenfeindlich und würde es gläubigen Menschen unmöglich machen, ein öffentliches Amt zu bekleiden.

Beiden Diskursen fehlt jedoch jegliche empirische Grundlage. Europäische Studien waren abgeneigt, sich mit Identitätsfragen, sowie kulturellen und religiösen Angelegenheiten zu befassen, da für die europäische Integration gemeinsame Interessen und wirtschaftliche Themen im Vordergrund standen. Dennoch rückte die Erweiterung der EU-Kompetenzen und das damit einhergehende „Demokratiedefizit“ die Identitätsthematik zunehmend in die politische Agenda. Der gescheiterte Versuch einer europäischen Verfassung begünstigte die Debatte über die Natur und Grenzen der europäischen politischen Gemeinschaft und über das was „Europa“ kennzeichnet. Religion war ein Teil dieser Suche nach Wurzeln und Substanz. Die zwei bestehenden Debatten über das christliche Erbe Europas und der mögliche Türkei-Beitritt haben dies veranschaulicht.

Religion zweitrangiger Einflussfaktor

RelEP ist der Versuch, festzuhalten woran Mitglieder des Europäischen Parlaments glauben und was sie damit machen. Zweck des RelEP ist, objektive Daten über die Rolle von Religion bei der Entscheidungsfindung, Koalitionszusammensetzung und politischen Sozialisation in der überstaatlichen Parlamentären Politik zur Verfügung zu stellen. 170 Mitglieder des Europäischen Parlaments verschiedener politischer und nationaler Zugehörigkeiten wurden interviewt. Das Ergebnis ist das erste Bild des religiösen Profils der europäischen demokratischen Repräsentanz.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Religion zwar zweitrangig ist, aber einen indirekten Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Abgeordneten hat. Vor allem ist Religion eine Angelegenheit, mit der sie sich beschäftigen, für einige Repräsentanten eine persönliche Inspiration und schließlich ein politischer Akteur. Kurzum: Religion ist im EU-Parlament weder dominierend noch verboten.

Türkei und Islam

Rechtliche Bestimmungen und politischer Konsensus geben vor, dass Religion sich säkularen Regeln fügen muss. Religiöse Akteure müssen sich der Pluralität und dem Relativismus unterwerfen. Um gehört zu werden ist es notwendig, von den Grundrechten Gebrauch zu machen und eine Koalition mit anderen religiösen oder nicht-religiösen Akteuren einzugehen. Mit anderen Worten, Religion muss sich den von Brüssel auferlegten Regeln fügen, Regeln einer Regierungsführung mit einem Multi-Ebenen-System und einer teilhabenden Demokratie. Dies unterscheidet sich nicht sehr von den Praktiken der Mitgliedsstaaten. Die einflussreicheren Glaubensgemeinschaften auf nationaler Ebene sind auch die Drahtzieher auf überstaatlicher Ebene. Der Islam verfügt über keine starke Lobby.

Vor diesem Hintergrund muss in der Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zwischen zwei Herausforderungen für die EU unterschieden werden: Integration eines großen muslimischen Landes mit nachfolgenden Fragen hinsichtlich kultureller Differenzen und die Aufnahme einer Gesellschaft, die weniger säkular ist als der europäische Durchschnitt und eine andere Beziehung zur Religion hat. Diese Unterscheidung zwischen Konfession und dem Ausmaß der Säkularisierung könnte beiden Seiten dabei helfen eine „Substanzialisierung“ der Identitäten zu vermeiden und einen Weg zu finden, die Interessen beider Seiten zu wahren.