Studie zu Geschlechterrollen

Christen und Muslime für Gleichberechtigung

Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge belegt, dass christliche und muslimische Migranten in Deutschland bei Geschlechterrollen ähnliche Vorstellungen haben und sich für Gleichberechtigung aussprechen. So manche vorherrschende Klischees über Muslime werden durch die Studie entkräftet.

07
05
2014
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat bereits im Februar 2014 ihre Studie „Geschlechterrollen bei Deutschen und Zuwanderern christlicher und muslimischer Religionszugehörigkeit“ veröffentlicht. Auf die Ergebnisse der kaum beachteten Studie macht der Mediendienst Integration am heutigen Mittwoch (07.05.2014) aufmerksam. Wichtige Erkenntnisse: Muslime und Christen haben bei den Geschlechterrollen ähnliche Ansichten. Eine deutliche Mehrheit spricht sich für Geschlechtergerechtigkeit aus und diese steht ausdrücklich nicht zur Disposition. Die Religionszugehörigkeit liefert zudem keine Erklärung für unterschiedliche Geschlechterrollen.

Für die repräsentative Studie wurden Christen und Muslime in Deutschland zu ihren Einstellungen zu Geschlechterrollen sowie gelebte Geschlechterrollen in verschiedenen Lebensbereichen untersucht. Insgesamt wurden über 3.000 Personen befragt, darunter Christen mit Migrationshintergrund aus Italien, Rumänien, Polen sowie solche ohne Migrationshintergrund und Muslime mit Migrationshintergrund aus dem Iran, der Türkei, aus Südosteuropa, Südasien, Nordafrika und dem Nahen Osten.

Ausgangspunkt für die Untersuchung war laut BAMF die Frage, inwiefern bei der muslimischen Bevölkerung ein Bedarf im Hinblick auf die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit besteht. Eine eingehende Untersuchung der Geschlechterrollen bei verschiedenen Personengruppen in Deutschland war das erklärte Ziel der Studie. Dabei wurden besonders Personen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Herkunft berücksichtigt. Im Ergebnis kommt das BAMF zum Schluss, dass vor allem sozio-ökonomische Verhältnisse bei der Geschlechtergerechtigkeit eine Rolle spielen.

Christen und Muslime für Gleichberechtigung

So kommt die Studie zum Schluss, dass Gleichberechtigung als universelles Menschenrecht unabhängig von Religion und Herkunft sowohl unter den befragten Christen als auch unter den befragten Muslimen einen fest verankerten Wert dar stellt. Nur jeweils eine Minderheit – unter Christen rund 11 % und unter Muslimen rund 17 % – wiesen Ansichten auf, die zumindest teilweise als frauenbenachteiligend einzustufen sind. Das BAMF stellte hier auch einen Zusammenhang zum Bildungsgrad und Chancengleichheit fest. Personen mit einer nicht in Deutschland erworbenen sehr geringen formalen Bildungsqualifikation, unabhängig ihrer Religion, stimmen weniger häufig für eine Chancengleichheit von Frau und Mann.

Klassische Rollenbilder, bei denen der Frau Haushalt und Familie zugeordnet und der Mann in der Ernährerrolle gesehen wird, sind bei Muslimen (Liberalitätswert = 57,3) deutlich stärker verbreitet als bei Christen (Liberalitätswert = 74,1). Unter Angehörigen der Folgegeneration findet jedoch unabhängig von der Religionszugehörigkeit eine deutliche Ablösung vom klassischen Rollenmodell statt (Liberalitätswert: Christen = 85,5; Muslime = 71,1).

Die ausführliche Studie zum Thema ist derzeit nur online über das BAMF beziehbar (Bitte hier klicken). Sie liegt noch nicht in gedruckter Form vor.

Hausarbeit und Unterhalt traditionell aufgeteilt

Hausarbeit wird sowohl unter Christen als auch unter Muslimen in hohem Maße traditionell aufgeteilt. Aufgaben im Haushalt wie Wäsche waschen, Putzen und Kochen werden nach wie vor größtenteils von Frauen alleine erledigt; Männer übernehmen dagegen Aufgaben wie Reparaturen. Dennoch gibt die große Mehrheit sowohl der christlichen als auch muslimischen Frauen an, mit dieser Aufteilung der Haushaltsaufgaben zufrieden zu sein (Zufriedenheitswerte zwischen 75 % und 91 %).

An Eltern- und Familienaufgaben beteiligen sich größtenteils beide Partner. Muslimische Frauen sind jedoch vergleichsweise häufiger allein für die Erziehung der Kinder zuständig. Entsprechend sind muslimische Frauen mit einem Anteil von rund 20 % mit der Aufteilung der Familienarbeit häufiger unzufrieden als christliche (10 %). Zwei Drittel der Muslime in einer Partnerschaft befinden sich zudem in der Erwerbskonstellation „Mann Vollzeit – Frau geringfügig oder gar nicht erwerbstätig“. Damit liegen traditionelle Erwerbskonstellationen unter Muslimen deutlich häufiger vor als unter Christen (38,2 %).

Dies entspricht jedoch nicht den Wunschvorstellungen der Befragten. Die große Mehrheit der Muslime und Christen wünscht sich, dass beide Partner Vollzeit erwerbstätig sind. Ein zentraler Grund für die niedrige Arbeitsmarktbeteiligung von muslimischen Frauen sind Kinder im Alter unter sechs Jahren, die häufiger in muslimischen Haushalten zu finden sind.

Selbstbestimmung der Frau auch von Bildungsgrad abhängig

Ein zentraler Faktor für die Unabhängigkeit von Frauen ist ihre Entscheidungsautonomie bei Belangen, die sie selbst betreffen. Dies ist bei rund einem Zehntel der Musliminnen aus den einbezogenen Herkunftsländern zumindest nur eingeschränkt gegeben, weil ihre Partner allein darüber entscheiden, ob sie arbeiten oder nicht. Damit finden sich hier erste Hinweise darauf, wie groß der Anteil der Partnerschaften ist, in denen die Männer zumindest bei bestimmten Themen die Entscheidungsmacht haben.

Bei einem hohen Bildungsabschluss sind Frauen im Vergleich seltener allein für typisch „weibliche“ Haushaltstätigkeiten zuständig. Ein stärkerer Einsatz der Männer findet bei einem hohen Schulabschluss auch im Bereich der Familienarbeit statt. Vor allem Elternaufgaben werden häufiger gemeinsam ausgeübt, und Frauen kümmern sich häufiger um organisatorische Aufgaben. Verfügen Personen über die Hochschulreife, so leben sie häufiger in einer Partnerschaft, bei der beide Partner voll erwerbstätig sind.

Christliche wie auch muslimische Frauen mit Migrationshintergrund beteiligen sich häufiger am Erwerbsleben, wenn sie bereits über „gute“ Sprachkenntnisse verfügen. Beherrschen sie die deutsche Sprache „sehr gut“, ist der Anteil vollzeiterwerbstätiger Frauen in Partnerschaften am Höchsten.

Keuschheit ist für Muslime wichtig

Bei einem Thema gibt es aber doch starke Unterschiede: Ansichten über Keuschheitsnormen bleiben unter Muslimen unberührt. Rund die Hälfte der in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen Muslime misst Keuschheitsgeboten weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Hingegen haben Keuschheitsnormen für Christen der Folgegenerationen so gut wie keine Bedeutung mehr. Auch hier stellt die BAMF fest: Unabhängig von der Religionszugehörigkeit vertreten Personen, die ihren Alltag an religiösen Vorschriften ausrichten, traditionellere Einstellungen zu Geschlechterrollen.