Interreligiöse Dialoge

„Theologen sollten andere Religionen integrieren“

Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel fordert eine neue, religionsübergreifende Theologie. Sein Neues Buch „Interreligiöse Theologie“ diskutiert Chancen und Probleme eines solchen Ansatzes.

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2013
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(exc) Eine neue, religionsübergreifende Theologie fordert der Münsteraner Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, wenn Theologen nur die heiligen Schriften der eigenen Religion befragen und das breite Menschheitswissen in zentralen religiösen Fragen nicht einbeziehen“, sagt der Forscher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Keine andere Wissenschaft könne es sich leisten, Datenmaterial zu ignorieren. Eine interreligiöse Theologie sei somit unumgänglich. Sie ziehe nicht nur christliche Quellen, sondern etwa auch buddhistische und islamische Texte und Traditionen heran. Das gelte gerade mit Blick auf die wachsende globale Vernetzung. „Allerdings darf interreligiöse Theologie nicht als Theologie einer weltweiten ‚Einheitsreligion‘ missverstanden werden. Es handelt sich vielmehr um eine neue Form, Theologie zu betreiben – im beständigen Austausch zwischen verschiedenen konfessionellen und religiösen Perspektiven.“

In einem neuen Buch „Interreligiöse Theologie“, das Prof. Schmidt-Leukel mit dem evangelischen Basler Theologen Prof. Dr. Reinhold Bernhardt im „Theologischen Verlag Zürich“ (TVZ) herausgegeben hat, befassen sich Religionswissenschaftler und Theologen mit den Chancen und Problemen dieser theologischen Richtung. Prof. Bernhardt spricht kommenden Donnerstag in Münster über religiöse Vielfalt und ihre Wahrnehmung. „Die interreligiöse Theologie bietet große Chancen im Umgang mit der wachsenden religiösen Pluralität unserer Gesellschaften“, so Prof. Schmidt-Leukel. Sie könne helfen, Vorurteile über andere Religionen zu überwinden. „Wer sich tiefgehend mit einer anderen Religion auseinandersetzt, wird ihren Reichtum entdecken und Respekt entwickeln.“

Vor diesem Hintergrund sei der Dialog der Religionen, der gesellschaftlich auf vielen Ebenen angestrebt wird, als theologische Aktivität im strengen Sinne zu verstehen, so der Forscher. Es gehe dabei nicht nur um friedliche Koexistenz, sondern darum, sich über Religionsgrenzen hinweg „mit jenen großen Fragen auseinanderzusetzen, die die Menschheit seit jeher in allen Kulturen und Religionen bewegt haben.“ Interreligiöse Theologie sei gerade mit Blick auf die Globalisierung die Theologie der Zukunft, unterstreicht Prof. Schmidt-Leukel.

Reinhold Bernhardt, Perry Schmidt-Leukel (Hg.), Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme (Beiträge zu einer Theologie der Religionen, Band 11), TVZ Theologischer Verlag Zürich, Zürich 2013, 296 Seiten, 29,20 Euro, ISBN 978-3-290-17718-8.

Wer kritisiert die interreligiöse Theologie?

Kritik am Ansatz der interreligiösen Theologie üben nach den Worten des Forschers vor allem jene Gläubigen und Religionsvertreter, die für ihre eigene Religion einen Absolutheitsanspruch beanspruchten. „Auch viele Theologen – nicht nur christliche – verstehen Theologie primär als Funktion ihrer Glaubensgemeinschaft oder Kirche.“ Sie diene dann der Auslegung einer konkreten konfessionellen Perspektive. „Wenn aber etwa ein christlicher Theologe davon ausgeht, dass göttliche Offenbarung ausschließlich in der biblischen Tradition bezeugt ist und dass Theologie in der Interpretation dieser Offenbarung besteht, dann ist interreligiöse Theologie nicht mehr möglich.“ Solche Gegenpositionen würden heute viel seltener vertreten als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Bedeutende Theologen wie Ernst Troeltsch und Paul Tillich hätten bereits im 20. Jahrhundert die Vision entwickelt, dass theologische Arbeit von einer wechselseitigen Durchdringung der großen Religionen bestimmt sein werde. Seit den 1970ern nahm dies dem Religionswissenschaftler zufolge unter Bezeichnungen wie „universale Theologie“, „globale Theologie“ oder „Welt-Theologie“ Gestalt an. Auch der Terminus „interreligiöse Theologie“ tauchte damals erstmals auf. Schmidt-Leukel: „Wenn es um das Verständnis Gottes, der Welt und des Menschen geht, greift eine interreligiöse Theologie nicht allein auf die biblische Tradition zurück, auf westliche philosophische Konzepte und die Erkenntnisse der Wissenschaften, sondern eben auch auf die Erfahrungen, Überlegungen und Einsichten anderer Religionen.“

Im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) forschen rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern und 14 Nationen. Sie untersuchen das komplexe Verhältnis von Religion und Politik quer durch die Epochen und Kulturen. Es ist der bundesweit größte Forschungsverbund dieser Art und von den 43 Exzellenzclustern in Deutschland der einzige zum Thema Religion.

„Atheismus und Agnostizismus entgegenwirken“

Eine Theologie, die „nach der Wahrheit im Zeugnis der anderen“ forscht, kann nach Einschätzung des Wissenschaftlers auch religionskritischen Weltanschauungen wie Agnostizismus, Skeptizismus und Atheismus entgegenwirken. „Bei der bisherigen Theologie entsteht im Unterschied zur interreligiösen Theologie der Eindruck, dass sich alle Religionen hoffnungslos widersprechen und es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, die Position der einen denen aller anderen vorzuziehen. Das leistet religionskritischen Anschauungen Vorschub“, so Prof. Schmidt-Leukel.

Als Beispiel für den interreligiösen Umgang mit theologischen Grundsatzthemen nennt der Wissenschaftler die Frage, ob „Gott“ auf personale oder impersonale Weise gedacht werden solle. „Meines Erachtens finden sich in allen großen Religionen letztlich beide Ansätze, aber mit unterschiedlicher Betonung. In Judentum, Christentum und Islam steht eine personale Vorstellung im Vordergrund, obwohl impersonale Konzepte nicht fehlen. Im Buddhismus, Daoismus und in Teilen des Hinduismus liegt der Schwerpunkt auf impersonalen Konzeptionen, obwohl auch dort personal geprägte Vorstellungen nicht fehlen.“ Interreligiöse Theologie könne die Gründe dafür erforschen und feststellen, dass es sich nicht zwangsläufig um einander ausschließende, sondern um ergänzende Vorstellungen handele. „Verwirrung und Durcheinander entstehen eher dann, wenn man Theologie nicht in dieser Weise betreibt.“ (vvm/ska)